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RVG Entscheidungen

§ 56

Erinnerung; Frist

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Jena, Beschl. v. 20. 03. 2006, 1 Ws 407/05

Fundstellen:

Leitsatz: 1. Die Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG - hier der Staatskasse - ist an keine Frist gebunden. Sie wird auch nicht dadurch unzulässig, dass die Vergütung bereits ausgezahlt worden ist.
2. Die Festsetzung der an den Pflichtverteidiger zu zahlenden Vergütung erfolgt nach § 55 RVG und nicht nach § 464b StPO. Der Vergütungsanspruch des bestellten Verteidigers kann nur gemäß §§ 54, 46 RVG eingeschränkt werden.
3. Die Regelung des § 54 RVG erfasst ausschließlich Gebühren und ist auf Auslagen nicht anzuwenden. Ein Verlust des Anspruchs auf Auslagenerstattung kann sich für den bestellten Verteidiger nur aus § 46 Abs. 1 RVG ergeben.


1 Ws 407/05
850 Js 20216/04-2 KLs LG Erfurt

20.03.2006

THÜRINGER OBERLANDESGERICHT

Beschluss

In der Strafverfahren



...

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

hier: Kostenfestsetzung

hat auf die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts Martin Stolpe gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 18.08.2005 der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schwerdtfeger,
Richter am Oberlandesgericht Schulze und Richterin am Landgericht Schade
am 20. März 2006

beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 18.08.2005 mit der Maßgabe abgeändert, dass die aus der Landeskasse zu erstattenden Auslagen auf 842.68 € festgesetzt werden.

2. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.


Gründe

I.

In vorliegender Strafsache erhob die Staatsanwaltschaft Gera am 29.09.2004 gegen X. und V. Anklage wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 3 Fällen. Mit Schriftsatz vom 18.10.2004 beantragte Rechtsanwalt S. gegenüber dem Landgericht, ihm für den Angeklagten X. einen Einzelsprechschein zu erteilen und teilte mit, dass nach dem Anbahnungsgespräch entschieden werde, ob eine Vertretung als Wahlverteidiger in Betracht kommt oder ob im Namen des X. um Beiordnung nachgesucht wird.
Mit Schriftsatz vom 27.10.2004 überreichte der Beschwerdeführer eine Vollmacht für den Angeklagten X. und beantragte, diesem als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Zwischen dem Angeklagten und ihm bestünde ein besonderes Vertrauensverhältnis. Für den Fall der Beiordnung werde er sein Wahlmandat niederlegen. Außerdem beantragte der Rechtsanwalt Akteneinsicht.
Durch Beschluss vom selben Tag wurde der Antragsteller als Pflichtverteidiger beigeordnet. Außerdem erhielt er am 08.11.2004 Akteneinsicht in 3 Bände Hauptakten, 2 Ordner Beiakten und 6 weitere Beiakten. Mit Schriftsatz vom 23.11.2004 beantragte der Antragsteller, die Stellungnahmefrist zur Anklage bis zum 30.11.2004 zu verlängern. Eine Besprechung mit dem Angeklagten in der JVA Gera könne erst am 24.11.2004 stattfinden. Außerdem müsse er sich zunächst in die sehr umfangreichen Akten einarbeiten. Ebenfalls mit Datum vom 23.11.2004 beantragte er die Festsetzung eines Vorschusses aus der Staatskasse i.H.v. 1.078,16 €. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller vom Mandanten einen Vorschuss von 573,91 € bereits vereinnahmt.
Mit Beschluss vom 03.12.2004 wurde ein Vorschuss von 715,08 € aus der Staatskasse festgesetzt und an den Antragsteller ausgezahlt. Mit Schreiben vom 02.12.2004 beantragte der Verteidiger, dem Angeklagten einen Dolmetscher beizuordnen. Daraufhin wurde mit Beschluss des Landgerichts vom 02.12.2004 eine Reise des Verteidigers in die JVA Gera zu einem Verteidigergespräch mit seinem Mandanten unter Hinzuziehung eines Dolmetschers für erforderlich erachtet und genehmigt.
Mit Schriftsatz vom 07.12.2004 beantragte Rechtsanwalt S., ihn von der Pflichtverteidigung zu entpflichten. Grund hierfür sei seine erhebliche Arbeitsüberlastung und die Feststellung des Verfahrensumfangs, welche erst nach Bestellung und Akteneinsicht möglich gewesen sei. Der Angeklagte sei mit der Entpflichtung des Unterzeichners sowie der Bestellung von Rechtsanwalt A. zum Pflichtverteidiger einverstanden. Hierfür würden auch keine Mehrkosten sowie Verzögerungen des Verfahrens entstehen, da die bereits kopierten Akten an Herrn Rechtsanwalt A. übergeben worden seien. Auf diesen Antrag hob das Landgericht durch Beschluss vom 22.12.2004 die Beiordnung des Antragstellers auf und ordnete dem Angeklagten X. T. H. Rechtsanwalt A. als Verteidiger bei.
Mit Schriftsatz vom 04.01.2005 beantragte der Antragsteller die Festsetzung folgender Gebühren und Auslagen:

Grundgebühr § 14 Abs. 1 RVG, Nr. 4101 VV................................. 162,00 €
Verfahrensgebühr, § 14 Abs. 1 RVG, Nr. 4113 VV........................ 151,00 €
Ablichtungskosten, Nr. 7000 (1) VV für 1393 Seiten..................... 226,45 €
Auslagenpauschale für Post und Telekommunikations-
dienstleistungen, Nr. 7002 VV........................................................... 20,00 €
Fahrtkosten, Nr. 7003 W für 660,00 km (3 x 220 km
Fahrt Leipzig - Gera - Leipzig am 27.10., 24.11., 06.12.2004)....... 198,00 €
Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV für 5 Stunden
Leipzig - JVA Gera - Leipzig am 27.04.2004.................................... 35,00 €
Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV für 7 Stunden
Leipzig - JVA Gera - Leipzig am 24.11.2004.................................... 35,00 €
Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VV für 6 Stunden
Leipzig - JVA Gera - Leipzig am 06.12.2004.................................... 35,00 €
Zwischensumme............................................................................... 862,45 €
16 % Umsatzsteuer (MwSt) aus 862,45 €........................................ 937,99 €
Zwischensumme............................................................................ 1.044,00 €
Kosten für Dolmetscher.................................................................... 442,84 €
Zwischensumme............................................................................ 1.463,28 €
abzgl. Vorschuss........................................................................... ./. 715,08 €
Gesamtsumme................................................................................... 748,20 €

Auf diesen Antrag wurde mit Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers vom 03.06.2005 die an den Antragsteller aus der Staatskasse weiterhin zu zahlende Vergütung auf 385,72 € festgesetzt. Mithin wurden dem Antragsteller insgesamt Gebühren und Auslagen i.H.v. 1.100,80 € zugebilligt.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.06.2005, zugestellt am 07.06.2005, legte Rechtsanwalt S. am 08.06.2005 „Beschwerde" ein, die als Erinnerung auszulegen war. Am 20.06. wurde durch die Rechtspflegerin die Vorlage an den Bezirksrevisor verfügt, um zur Erinnerung des Verteidigers vom 08.06.2005 Stellung zu nehmen. Unter dem 13.07.2005 beantragte die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Erfurt namens der Staatskasse, die Erinnerung des Verteidigers zurückzuweisen und legte gleichzeitig namens der Staatskasse gegen die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren vom 03.06.2005 Erinnerung ein und beantragte, die Vergütung auf 0,00 € festzusetzen.
Mit dem angefochtenen Beschluss hob die 2. Strafkammer des Landgerichts Erfurt auf die Erinnerung der Bezirksrevisorin den Festsetzungsbeschluss vom 03.06.2005 auf und setzte die an den Antragsteller zu zahlende Vergütung auf 0,00 € fest. Die Erinnerung des Antragstellers wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss geht davon aus, dass dem Antragsteller nach § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 ZPO kein Anspruch auf Gebühren und Auslagen zustehe. Die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers habe im vorliegenden Fall auf Gründen beruht, die der Antragsteller zu vertreten habe. Dies betreffe nicht nur die Gebühren, sondern auch die Auslagen. Bereits bei Akteneinsicht vom 08.11.2004 sei dem Antragsteller der Umfang des Verfahrens bekannt gewesen. Wenn zwischen dem Verteidiger und dem Angeklagten ein „besonderes Vertrauensverhältnis" bestanden habe, sei auch das „Anbahnungsgespräch" vom 27.10.2004 nicht erforderlich gewesen. Auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses wird ergänzend verwiesen.
Gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 18.08.2005, dem Verteidiger zugestellt am 29.08.2005, richtet sich die am 05.09.2005 beim Landgericht Erfurt eingegangene sofortige Beschwerde des Verteidigers, die mit Schriftsätzen vom 26.09.2005 und 14.02.2006 weiter begründet wurde.
Mit dem Rechtsmittel wird geltend gemacht, dass die Erinnerung der Staatskasse verspätet eingelegt worden sei. Die Wochenfrist nach § 311 Abs. 2 S. 1 StPO sei nicht eingehalten worden. Auch sei eine Erinnerung nach der Auszahlung der festgesetzten Vergütung nicht mehr zulässig. Einen konkreten Beschwerdeantrag hat der Beschwerdeführer nicht gestellt. Hilfsweise wurde beantragt, die Fotokopierkosten, die Auslagen für den Dolmetscher für dessen Tätigkeit am 06.12.2004 sowie die Fahrtkosten einschließlich der Tage- und Abwesenheitsgelder für die Besuche in der JVA Gera am 29.10.2004, 24.11.2004 sowie 06.12.2004 festzusetzen.
Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die Bezirksrevisorin bei dem Thüringer Oberlandesgericht hat mit Zuschrift vom 12.01.2006 die Zurückweisung der Beschwerde mit der Maßgabe beantragt, dass die Fotokopierauslagen gem. Nr. 7000 VVRVG i.H.v. 226,45 € zu erstatten sind.

II.


Das Rechtsmittel ist fristgerecht eingelegt worden.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 18.08.2005 hat das Landgericht Erfurt über die als Erinnerung auszulegende Beschwerde des Antragstellers vom 08.06.2005 sowie über die Erinnerung der Staatskasse vom 13.07.2005 gegen den nach § 55 RVG vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des 1. Rechtszuges erlassenen Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 03.06.2005 entschieden (§ 56 Abs. 1 RVG). Gegen diesen Beschluss kann nach § 56 Abs. 2 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG innerhalb von 2 Wochen sofortige Beschwerde eingelegt werden, die keiner besonderen Form bedarf.

Die sofortige Beschwerde ist im bezeichneten Umfang begründet.
Das Landgericht hat im angefochtenen Beschluss zu Recht auch über die Erinnerung der Staatskasse vom 13.07.2005 entschieden, denn diese wurde zulässig erhoben.
Entgegen dem Beschwerdevortrag ist die Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG an keine Frist gebunden (vgl. Hartmann, KostG, 35. Aufl., § 56 RVG, Rn. 7; Riedel/Sußbauer, EVG, 9. Aufl., § 56, Rn. 5; Hartung-Römermann RVG, § 56, Rn. 8). Das Gesetz legt eine Erinnerungsfrist nicht fest; die Verweisung in § 56 Abs. 2 RVG bezieht sich ausschließlich auf das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Entscheidung über die Erinnerung. Soweit bei Gerold/Schmidt-von Eicken, RVG, 16. Aufl., § 56, Rn. 5 unter Verweisung u.a. auf § 573 Abs. 1 ZPO von einer Fristbindung ausgegangen wird, folgt der Senat dem nicht. Bei der Erinnerung nach § 56 RVG handelt es sich um eine Entscheidung nach dem RVG und nicht um eine den jeweiligen Verfahrensordnungen unterliegende Nebenentscheidung.
Dass die Vergütung (Gebühren und Auslagen) aufgrund des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 03.05.2005 an den Verteidiger bereits ausgezahlt worden ist, macht eine Erinnerung der Staatskasse nicht unzulässig. Das Gesetz sieht eine solche Einschränkung nicht vor. Die von Hartmann a.a.O bei Rn. 3 zu § 56 RVG in Bezug genommene Entscheidung des OLG Hamburg betrifft eine andere Fallgestaltung und ist nicht verallgemeinerungsfähig. Es ist auch kein Grund dafür ersichtlich, fehlerhaft zu hoch angesetzte Gebühren nach Anweisung nicht mehr gerichtlich nachprüfen zu lassen und zurückzufordern. Es ist lediglich anerkannt, dass das Erinnerungsrecht der Landeskasse gegenüber erhöhter Vergütungsfestsetzung zugunsten des beigeordneten Anwalts verwirkt sein kann. Nach OLG Düsseldorf (JurBüro 1996 144) soll dies nach Ablauf des auf die Kostenfestsetzung folgenden Kalenderjahres der Fall sein.

Die Beschwerde führt aber aus anderen Gründen zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Rechtsanwalt S. wurde dem Angeklagten X. T. H. mit Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 27.10.2004 zum Pflichtverteidiger bestellt. Damit hat er einen Vergütungsanspruch nach § 45 Abs. 2 RVG erworben (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1980, 1703). Die Festsetzung der zu zahlenden Vergütung erfolgt nach § 55 RVG, nicht nach § 464b StPO (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 464 b, Rn. 1). Dabei sind die Vorschriften des RVG maßgeblich. Eine Einschränkung der Vergütung kann damit nur nach den Vorschriften des RVG erfolgen. Der Anspruch auf Gebühren kann beim bestellten Verteidiger nach § 54 RVG in Wegfall geraten, wenn der bestellte Rechtsanwalt durch schuldhaftes Verhalten die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts veranlasst, und zwar in dem Umfang, in dem bei dem anderen Rechtsanwalt Gebühren entstehen. Nach § 46 RVG werden Auslagen nicht vergütet, die zur sachgerechten Durchführung der Angelegenheit nicht erforderlich waren. Die angefochtene Entscheidung hat diesen Ausgangspunkt verkannt. Die Grundsätze, die bei Entscheidungen in Kostenfestsetzungsverfahren nach § 464b StGB gelten, sind auf die vorliegende Fallgestaltung nicht ohne weiteres übertragbar. Eine unmittelbare Anwendung der Grundsätze des § 464a StPO, § 91 Abs. 2 ZPO kommt nicht in Betracht. Die im angefochtenen Beschluss in Bezug genommene Entscheidung des OLG Hamburg vom 10.11.1993 (JurBüro 1994, 295) ist für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Sie betrifft die Erstattungsfähigkeit der notwendigen Auslagen des Angeklagten bei Freispruch. Entsprechendes gilt für die Entscheidungen des OLG Rostock vom 20.09.1996 (StV 1997, 33) und des OLG Hamm vom 21.07.1988, (StV 1989, 116).

Vorliegend war vielmehr zu prüfen, ob nach Maßgabe der §§ 54, 46 RVG ein Gebühren- und Auslagenanspruch des Antragstellers nicht oder nur eingeschränkt besteht.
Die Anwendungsvoraussetzungen des § 54 RVG sind vorliegend gegeben. Zutreffend ist das Landgericht - dies ist auch bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 54 RVG maßgeblich - davon ausgegangen, dass die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts auf Gründen beruhte, die der Antragsteller zu vertreten hat. Rechtsanwalt S. hatte ausweislich der Akten (Schreiben der JVA Gera vom 12.10.2004, wonach der Angeklagten keinen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger benennen konnte, Schreiben des Antragstellers vom 18.10.2004 über vorgesehenes „Anbahnungsgespräch") und seines eigenen Vertrags erstmals am 27.10.2004 den Angeklagten X. in der JVA Gera aufgesucht und an diesem Tage Verteidigungsvollmacht erhalten. Die Anklage vom 27.09.2004 wurde trotz noch fehlender Vollmacht an den Antragsteller an diesem Tag aufgrund Verfügung vom 22.10.2004 zugestellt. Ob der Verteidiger allerdings vor dem ersten Gespräch mit dem Angeklagten die Anklageschrift kannte, steht nicht fest, da die Zustellung der Anklage am 27.10.2004, und damit möglicherweise erst nach dem Mandantengespräch, erfolgte. Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens waren dem Antragsteller aber spätestens mit der Akteneinsicht ab 08.11.2004 bewusst, weswegen er später aufgrund seiner bestehenden Arbeitsbelastung seine Entpflichtung beantragte. Dieser Sachverhalt belegt, dass der Antragsteller nicht rechtzeitig auf Umstände hingewiesen hat, die ihn voraussichtlich hindern werden, die Angelegenheit zu übernehmen und zu Ende zu führen. Dabei folgt aus dem Vortrag des Beschwerdeführers in vorliegender Sache, dass die erhebliche Arbeitsbelastung nicht erst im Dezember 2004 entstanden ist, sondern schon zuvor gegeben war. Auf diesen Umstand hätte der Verteidiger bereits mit der Verteidigungsanzeige hinweisen müssen und nicht ohne konkrete Kenntnis des Verfahrensumfanges und ohne vorherige Akteneinsicht die Bestellung zum Pflichtverteidiger beantragen dürfen. Darin liegt unabhängig vom Zeitpunkt des Antrages auf Entpflichtung ein schuldhaftes Verhalten i.S.v. § 54 RVG. Der Antragsteller hat dadurch die Bestellung eines anderen Rechtsanwaltes veranlasst und kann damit die Gebühren nach Nr. 4101 und 4113, die auch für Rechtsanwalt A. entstanden sind, nicht fordern.
Das Nichtbestehen eines Anspruchs auf Erstattung der Auslagen ergibt sich daraus jedoch noch nicht. Ob § 54 RVG auch Auslagen erfasst, ist in der umfangreichen Kommentarliteratur streitig. Dafür sprechen sich aus: Hartmann, a.a.O., § 54, Rn. 14, Bischoff/Jungbauer/Podlech-Trappmann, Kompaktkommentar RVG, § 54, Rn. 5; Gerold/Schmidt-von Eicken, RVG, 16. Aufl., § 54, Rn. 11; Mayer/Kroiß-Kroiß, RVG, § 54, Rn. 12. Das Problem wird erörtert im Anwaltskommentar-RVG. Gegen eine entsprechende Behandlung der Auslagen argumentieren: Riedel/Sußbauer, EVG, 9. Aufl., § 54, Rn. 3 und Hartung/Römermann, RVG, § 54, Rn. 27.
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Für sie spricht schon der klare Wortlaut der Norm, der nur Gebühren erfasst; § 1 RVG differenziert die Vergütung des Rechtsanwalts aber in Gebühren und Auslagen. Ein Verlust des Anspruchs auf Auslagen kann sich mithin ausschließlich aus § 46 RVG ergeben. Nur soweit § 46 Abs. 1 RVG entgegensteht, stehen dem Antragsteller die geltend gemachten Auslagen nicht zu.
Nach § 46 Abs. 1 RVG werden Auslagen dann nicht erstattet, wenn sie zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit nicht erforderlich waren. Die Vorschrift soll eine nicht gerechtfertigte Belastung der Staatskasse in den Fällen der §§ 44, 45 RVG verhindern. Vorliegendend ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass der Antragsteller durch schuldhaftes Verhalten die Bestellung eines anderen Rechtsanwaltes veranlasst hat, indem er, ohne sich über Umfang und Schwierigkeit der Sache im notwendigen Umfang informiert zu haben, seine Pflichtverteidigerbestellung beantragt hat. Deshalb sind jene Auslagen als nicht erforderlich anzusehen, die auch bei dem anderen Rechtsanwalt entstehen. Die bei § 54 RVG maßgeblichen Kriterien sind dabei entsprechend anzuwenden.
Eine solche Bewertung basiert im Unterschied zum „normalen" Anwendungsfall des § 46 RVG auf einer ex-post-Betrachtung. Das ist jedoch sachgerecht. Eine andere Betrachtungsweise würde dazu führen, dass derjenige beigeordnete Rechtsanwalt, der schuldhaft die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts veranlasst, hinsichtlich der Erstattung von Auslagen besser gestellt wäre, als derjenige, der verantwortungsbewusst prüft, ob eine Bestellung in Betracht kommt, einen solchen Antrag nicht stellt und Auslagen nicht aus der Staatskasse ersetzt bekommt. Um schon entstandene Auslagen ersetzt zu bekommen, bestände ein Anreiz, Anträge auf Beiordnung trotz fehlender Voraussetzungen zu stellen.
Dass einem Rechtsanwalt bei der Anbahnung eines Mandates Auslagen entstehen, für die möglicherweise kein Kostenschuldner eintritt, ist hinzunehmen.
Danach besteht vorliegend kein Anspruch auf Erstattung der Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VVRVG, da diese Auslagen auch bei Rechtsanwalt A entstanden sind.
Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld kann der Antragsteller nur für einen Besuch des Angeklagten in der JVA Gera beanspruchen.
Rechtsanwalt S. hat den Angeklagten dreimal, und zwar am 27.10., 24. 11. und 06.12.2005, in der JVA Gera aufgesucht. Nach dem Vortrag des Antragstellers, der durch die am 06.12.2005 unterzeichnete Vollmacht für Rechtsanwalt A. bestätigt wird, suchten beide Verteidiger den Angeklagten am 06.12.2005 gemeinsam in der JVA Gera auf. Rechtsanwalt A. hat ausweislich des Antrages auf Kostenfestsetzung vom 15.06.2005 für diesen Tag keine Fahrtkosten sowie Tage- und Abwesenheitsgeld geltend gemacht. Zwar ergibt sich daraus noch kein Anspruch des Antragstellers auf Erstattung der Auslagen für diesen Besuch in der JVA. Ein solcher Verzicht durch den anderen Verteidiger ist nämlich unbeachtlich, weil er der Regelung des § 49 Abs. 1 Satz 1 BRAO widerspricht und damit unwirksam ist (vgl. Beschluss des Senats vom 29.11.2005, 1 Ws 440/05). Jedoch ist aufgrund von Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens davon auszugehen, dass durch die Weitergabe von Informationen bei Übergabe des Mandats an Rechtsanwalt A. dieser jedenfalls einen Gesprächstermin weniger als ansonsten angezeigt benötigt hat. Die Kosten für die zwei weiteren Besuche in der JVA Gera sind aber als nochmals entstandene Auslagen anzusehen.
Anspruch auf Auslagenerstattung besteht schließlich hinsichtlich der Dolmetscherkosten. Diese sind dem Antragsteller anlässlich des Gesprächs zwischen dem Angeklagten und den beiden Verteidigern am 06.12.2005 entstanden und waren auch für die Pflichtverteidigung durch Rechtsanwalt A. erforderlich, ohne von diesem abgerechnet werden zu können.

Dem Antragsteller sind mithin folgende Auslagen zu erstatten:

Ablichtungskosten, Nr. 7000 VVRVG, ........................................... 226,45 €
Fahrtkosten, Nr. 7003 VVRVG für 220,00 km
(Fahrt Leipzig - Gera - Leipzig am 27.10.2004) ............................... 66,00 €
Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7005 VVRVG für 5 Stunden ....... 35,00 €
Zwischensumme ............................................................................... 327,45 €
16 % Umsatzsteuer (MwSt) aus 146,00 € .......................................... 53,39 €
Zwischensumme ............................................................................... 379,84 €
Kosten für Dolmetscher .................................................................... 462,84 €
Gesamtsumme ................................................................................... 842.68 €
Eine Anrechnung des vom Angeklagten erhaltenen Vorschusses erfolgt auf diesen Betrag nicht. Nach § 58 Abs. 3 RVG wird eine Anrechnung nur bezüglich der zu zahlenden Gebühren vorgenommen.

Über den Rückerstattungsanspruch der Staatskasse hat der Senat nicht zu entscheiden.


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