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RVG Entscheidungen

§ 48

Erstreckung, Beiordnungsantrag, Verbindung, Zeitpunkt

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Osnabrück, Beschl. v. 13.05.2016 - 10 Qs 27/16

Leitsatz: Die Erstreckung hängt von der vorherigen Stellung eines Beiordnungsantrages ab.


In pp.
Die Sache wird wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer übertragen.
Die Beschwerde des Verteidigers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Iburg vom 05.04.2016 (Az. 23 Ds 556/15) wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Der Beschwerdewert beträgt 742,57 Euro.

Gründe
I.
Gegen den Angeklagten waren ursprünglich zwei Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen Hausfriedensbruchs unter den Aktenzeichen 530 Js 46515/15 und 530 Js 46518/15 sowie ein Verfahren wegen Nötigung unter dem Aktenzeichen 530 Js 46514/15 anhängig. Mit Schriftsatz vom 17.09.2015 zeigte der Verteidiger in allen drei Verfahren seine Bevollmächtigung an und beantragte Akteneinsicht. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 12.11.2015 wurden die drei Verfahren unter dem letztgenannten Aktenzeichen verbunden. Unter dem 14.12.2015 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage bei dem Amtsgericht Bad Iburg, woraufhin der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 30.12.2015 seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragte. Die Bestellung erfolgte mit Beschluss vom 04.01.2016.

Mit einem Antrag auf Festsetzung der Gebühren beantragte der Verteidiger die Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühren sowie der Post- und Telekommunikationspauschale zuzüglich Umsatzsteuer für das vorbereitende Verfahren in allen drei Ursprungsverfahren. Das Amtsgericht setzte die vorgenannten Gebühren mit Verfügung vom 31.03.2016 jedoch nur einfach fest.

Hiergegen hat sich der Verteidiger mit Schriftsatz vom 04.04.2016, auf den Bezug genommen wird (Bl. 83-84 d. SB Beschwerde), gewandt und hilfsweise beantragt, die Bestellung als Pflichtverteidiger auch auf die hinzuverbundenen Verfahren zu erstrecken. Das Amtsgericht Bad Iburg hat den Antrag auf nachträgliche Erstreckung mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen (Bl. 85 d. SB Beschwerde). Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Verteidigers. Die Landeskasse ist gehört worden.

II.
1. Die Beschwerde ist zulässig, im Hinblick auf die Kostenfestsetzung insbesondere statthaft gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 1 RVG. Zwar hat das Amtsgericht ausdrücklich nur den hilfsweise gestellten Antrag auf Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung beschieden. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 04.04.2016 wendet sich indes vorrangig gegen die (unterbliebene) Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühren sowie der Postentgeltpauschale in den beiden hinzuverbundenen Verfahren und war daher als Erinnerung gemäß § 56 Abs. 1 RVG auszulegen, die das Amtsgericht konkludent gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 RVG zurückgewiesen hat.

Die Beschwerde ist im Hinblick auf die Kostenfestsetzung auch fristgerecht erhoben worden (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Satz 3 RVG). Gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG war die Sache insoweit wegen der grundsätzlichen Bedeutung auf die Kammer zu übertragen.

Soweit sich die Beschwerde auch auf die Erstreckungsentscheidung bezieht, ist sie ebenfalls nach § 304 StPO statthaft. Da das RVG gegen Entscheidungen über Anträge nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG keinen Rechtbehelf vorsieht, gelten die allgemeinen Regeln der StPO (KG Berlin StraFo 2012, 292 m.w.N.).

2. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht Bad Iburg die Gebühren für das vorbereitende Verfahren nur einmal festgesetzt und auch die Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf die zuvor hinzuverbundenen Sachen ermessensfehlerfrei abgelehnt.

a) Entgegen der Auffassung des Verteidigers ist auch in Fällen, in denen die Beiordnung des Verteidigers erst nach Verbindung der Verfahren erfolgt, ein Erstreckungsantrag gemäß § 48 Abs. 6 Satz 3 StPO erforderlich, ohne den dieser für die bis zur Verbindung entfalteten Tätigkeiten als Wahlverteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren keine Pflichtverteidigergebühren abrechnen kann.

Nach § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG erhält der Pflichtverteidiger die Vergütung auch für seine Tätigkeit als Wahlverteidiger vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung. Werden Verfahren miteinander verbunden, kann das Gericht nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG diese Wirkungen auch auf Verfahren erstrecken, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung erfolgt war. Streitig ist insoweit, ob die Regelung in § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG nur für den Fall gilt, dass zu einem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt bereits als Pflichtverteidiger bestellt wurde, später weitere Verfahren, in denen keine Beiordnung erfolgt ist, hinzuverbunden werden oder auch in Fällen, in denen - wie hier - zunächst eine Verbindung der Verfahren erfolgt und erst anschließend der Pflichtverteidiger bestellt wird.

Teilweise wird aus dem Wortlaut und der Systematik der Regelung hergeleitet, dass § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG nur auf nach der Beiordnung hinzuverbundene Verfahren anwendbar sei und in Fällen einer Beiordnung nach Verbindung der Verfahren der Bevollmächtigte auch hinsichtlich der verbundenen Verfahren seine zuvor als Wahlverteidiger erbrachten Tätigkeiten nach § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG geltend machen könne (so OLG Bremen, StRR 2012, 436; KG Berlin StraFo 2012, 292 und NStZ-RR 2009, 360; Burhoff, StraFo 2014, 454 mit der Folge, dass auch ohne Erstreckungsentscheidung ein Anspruch auf Pflichtverteidigervergütung in allen Einzelverfahren besteht; ähnlich auch OLG Rostock StRR 2009, 279, das jedoch davon ausgeht, der Rechtsanwalt könne seine Tätigkeit im hinzuverbundenen Verfahren lediglich als gesonderten Gebührenanspruch des Wahlverteidigers gegen seinen Mandanten geltend machen).

Nach anderer Auffassung handelt es sich bei der Vorschrift des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG um eine Spezialregelung für alle Fälle der Verfahrensverbindung, unabhängig davon, ob die Beiordnung als Pflichtverteidiger vor oder nach der Verbindung erfolgt ist (OLG Braunschweig, NStZ-RR 2014, 292; OLG Koblenz, StraFo 2012, 319; OLG Oldenburg, NStZ-RR 2011, 261; OLG Celle, B. v. 02.01.2007, 1 Ws 575/06 - juris). Dem schließt sich die Kammer an. Denn weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte geben Veranlassung, die Regelung nicht auf alle Verfahrensverbindungen - und zwar unabhängig vom Zeitpunkt der Verbindung - anzuwenden (OLG Oldenburg, a.a.O.). Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Einführung des ehemaligen § 48 Abs. 5 RVG, der dem heutigen Abs. 6 entspricht, eine Klarstellung dahingehend bezweckt, dass sich die Rückwirkung der Pflichtverteidigerbestellung nicht automatisch auch auf verbundene Verfahren erstrecken sollte, in denen bislang kein Pflichtverteidiger bestellt war (BT-Drucksache 15/1972, S. 201). Nach der ratio legis der Neuregelung soll dem Gericht vielmehr die Möglichkeit eröffnet werden, nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob auch in dem hinzuverbundenen Verfahren die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich ist (vgl. OLG Braunschweig, a.a.O.). Das Erfordernis einer Erstreckungsentscheidung zeitlich einzuschränken, ist damit weder nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte noch systematisch angezeigt.

b) Das Amtsgericht hat die Erstreckung der Pflichtverteidigerbeiordnung auf die beiden von der Staatsanwaltschaft hinzuverbundenen Verfahren 530 Js 46515/15 und 530 Js 46518/15 ermessensfehlerfrei abgelehnt. Zwar kann ein Erstreckungsantrag nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG auch noch nach Abschluss des Instanzenzuges im Kostenfestsetzungsverfahren gestellt werden (allg. M., vgl. nur KG Berlin, StraFo 2012, 292; LG Braunschweig, StraFo 2015, 349; LG Düsseldorf, B. v. 12.01.2012, 11 KLs 42/10 - juris).

Die Anordnung der Erstreckung steht gemäß § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG im Ermessen des Gerichts und soll in der Regel angeordnet werden, wenn in dem Verbundverfahren eine Pflichtverteidigerbestellung unmittelbar bevorgestanden hätte (BT-Drucksache 15/1972, S. 201). Dies ist nach teilweise vertretener Auffassung stets dann der Fall, wenn bereits die materiellen Voraussetzungen des § 140 StPO gegeben sind, also grundsätzlich ein Fall der notwendigen Verteidigung auch in dem später hinzuverbundenen Einzelverfahren vorlag (s. KG Berlin, StraFo 2012, 292; LG Cottbus, StRR 2013, 305; Burhoff, a.a.O.; offen gelassen von OLG Hamm, B. v. 18.01.2011, 5 Ws 394/10 - www. burhoff.de).

Weder dem Wortlaut der Vorschrift noch der Gesetzesbegründung ist jedoch zu entnehmen, wann eine Beiordnung "unmittelbar bevorsteht". Dass lediglich die materiellen Voraussetzungen des § 140 StPO vorliegen müssen, ist durch nichts belegt. Vielmehr steht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers eben dann nicht unmittelbar bevor, wenn sich ein Rechtsanwalt als Wahlverteidiger zur Akte meldet, ohne einen Antrag auf Beiordnung zu stellen. Denn gemäß § 141 Abs. 1 StPO wird auch in den Fällen notwendiger Verteidigung ein Pflichtverteidiger nur dann bestellt, wenn der Betroffene noch keinen Verteidiger hat. Tritt indes ein Rechtsanwalt in Fällen, in denen grundsätzlich die Voraussetzungen des § 140 StPO gegeben sind, als Wahlverteidiger auf, so wird er erst auf entsprechenden Antrag - und unter Niederlegung des Wahlmandats - als Pflichtverteidiger beigeordnet. § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG ermöglicht daher bei vorhandenem Wahlverteidiger die Erstreckung der Beiordnung nur, wenn vor der Verbindung ein Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger gestellt worden ist (wie hier LG Bielefeld, StRR 2008, 360; LG Berlin, JurBüro 2006, 29).

c) Da die Voraussetzungen für eine Erstreckung der Bestellung als Pflichtverteidiger gemäß § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG mangels eines vor Verbindung gestellten Beiordnungsantrages nicht vorliegen, besteht auch kein Anspruch auf Festsetzung der Grund- und Verfahrensgebühren sowie der Post- und Telekommunikationspauschale in den hinzuverbundenen Verfahren 530 Js 46515/15 und 530 Js 46518/15.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.


Einsender: entnommen juris.de

Anmerkung: Die Entscheidung ist falsch.


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