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RVG Entscheidungen

Nr. 4104 VV

Verfahrensgebühr, zusätzliche Verfahrensgebühr, Rahmengebühr, Bußgeldverfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 22.03.2012 - 517 Qs 5/12

Leitsatz: Zwar beginnt das gerichtliche Verfahren mit dem Eingang der Akten bei dem Gericht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass zugleich auch die entsprechende Verfahrensgebühr entsteht. Hierfür ist eine anwaltliche Tätigkeit während des gerichtlichen Verfahrens erforderlich.

Die Gebühr Nr. 5115 VV RVG ist keine Festgebühr.

Zur Bemessung der Rahmengebühr im Bußgeldverfahren.


Strafkammer
In der Bußgeldsache pp.
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat die 17. große Strafkammer des Landgerichts Berlin als Kammer für Bußgeldsachen
am 22. März 2012
beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 1. Dezember 2011 mit der Maßgabe aufgehoben, dass dem Beschwerdeführer weitere Verteidigergebühren in Höhe von 160,65 Euro zu erstatten sind.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen tragen die Landeskasse zu 1/3 und der Beschwerdeführer zu 2/3.
Gründe:
I.
Gegen den Betroffenen wurde wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit als Führer eines Kraftfahrzeugs durch Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in B. vom 17. Februar 2011 eine Geldbuße in Höhe von 220 Euro festgesetzt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet. Hiergegen legte der Betroffene durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 24. Februar 2012 Einspruch ein. Nachdem ihm auf seinen Antrag von dem Polizeipräsidenten in B. (im Folgenden: Verwaltungsbehörde) die Bußgeldakte übersandt worden war, trug der Verteidiger mit Schriftsatz vom 30. März 2011 vor, dass die zum Zeitpunkt der Geschwindigkeitsmessung vorherrschende Temperatur von unter -20°C außerhalb der zulässigen Betriebstemperatur der Messanlage gelegen habe. Zugleich beantragte er die Einstellung des Verfahrens. Nach Abgabe der Akten an die Amtsanwaltschaft Berlin und Vorlage durch diese an das Amtsgericht Tiergarten ersuchte der Amtsrichter die Verwaltungsbehörde um Ermittlungen hinsichtlich der von dem Verteidiger vorgetragenen Umstände. Wegen ungenügender Aufklärung des Sachverhaltes gab das Amtsgericht Tiergarten durch Beschluss vom 12. Juli 2011 die Sache gemäß § 69 Abs. 5 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurück. Diese stellte das Verfahren daraufhin gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 170 Abs. 2 StPO ein, wobei ihr nach dem Einstellungsbescheid vom 16. August 2011 die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen zur Last fielen.
Der Betroffene begehrt die Festsetzung und Erstattung seiner notwendigen Auslagen in einer Gesamthöhe von 621,42 Euro. Im Einzelnen macht er folgende Beträge geltend:
Außergerichtliche Tätigkeit
Grundgebühr gemäß Nr. 5100 W RVG 85,00 Euro
Verfahrensgebühr gem. Nr. 5103 W RVG 135,00 Euro
Verfahrensgebühr gem. Nr. 5115 W RVG 135,00 Euro
Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gem. Nr. 7002 W RVG 20,00 Euro
Gerichtliches Verfahren
Verfahrensgebühr gem. Nr. 5109 W RVG 135,00 Euro
Post- und Telekommunikationsdienstleistungen
gem. Nr. 7002 W RVG 20,00 Euro
Aktenversendungspauschale 12,00 Euro
Zwischensumme 522.20 Euro
19% Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 W RVG 99,22 Euro
Endsumme 621,42 Euro
Die Verwaltungsbehörde setzte mit Bescheid vom 7. Oktober 2011 - dem Verteidiger zugestellt am 14. Oktober 2011 - hiervon abweichend die zu erstattenden notwendigen Auslagen wie folgt fest:
Grundgebühr gem. Nr. 5100 W RVG 50,00 Euro
Verfahrensgebühr gem. Nr. 5103 W RVG 50,00 Euro
Verfahrensgebühr gem. Nr. 5115 W RVG 50, 00 Euro
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 W RVG 20,00 Euro
Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 W RVG 32,30 Euro
Erstattungsbetrag 202,30 Euro
Gegen diese Festsetzung beantragte der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19. Oktober 2011 - gleichtägig bei der Verwaltungsbehörde eingegangen - gerichtliche Entscheidung.
Mit Beschluss vom 1. Dezember 2011 - dem Verteidiger formlos übersandt - verwarf das Amtsgericht Tiergarten den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet.
Hiergegen legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2011 - gleichtägig bei Gericht eingegangen - Rechtsmittel ein. Zur Begründung weist er auf einen in Bußgeldsachen im Allgemeinen nicht unbeträchtlichen Umfang anwaltlicher Tätigkeit hin. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hätten mindestens durchschnittlichen Verhältnissen entsprochen. Er habe sich mit den Systemvoraussetzungen, unter denen das Messgerät überhaupt zum Einsatz kommen durfte, ferner mit den Witterungsverhältnissen zur Tatzeit zu befassen gehabt. Die Bedeutung der Sache sei ebenfalls mindestens durchschnittlich gewesen, insbesondere im Hinblick auf das drohende Fahrverbot, den drohenden Eintrag von drei Punkten im Verkehrszentralregister und die Höhe der Geldbuße. Zudem sei der Betroffene als Berufsfeuerwehrmann auf die Fahrerlaubnis angewiesen gewesen.
Die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren gemäß Nr. 5109 W RVG entstehe kraft Gesetzes mit der Abgabe der Sache an das Gericht. Der Beschluss des Gerichts über die Rückübertragung der Sache an die Verwaltungsbehörde zeige, dass das gerichtliche Verfahren auch von der Mitwirkung des Anwalts mit beeinflusst worden sei, wobei das Verteidigungsvorbringen im Vorverfahren auch als antizipiertes Vorbringen für das gerichtliche Verfahren von Bedeutung sei.
Die Erledigungsgebühr gemäß Nr. 5115 W RVG bemesse sich an der Rahmenmitte der in Betracht kommenden Verfahrensgebühr und sei eine Festgebühr.
Die Post- und Telekommunikationspauschale sei sowohl für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde als auch für das gerichtliche Verfahren festzusetzen.
Schließlich sei die gezahlte Aktenversendungspauschale in Höhe von 12 Euro festzusetzen und zu erstatten.
II.
Das als sofortige Beschwerde (§ 108 Abs. 1 OWiG) zu behandelnde Rechtsmittel des Betroffenen ist zulässig. Mangels förmlicher Zustellung des angefochtenen Beschlusses und entsprechendem Zustellnachweis ist aufgrund des Vortrags des Verteidigers davon auszugehen, dass die Beschlussausfertigung am 12. Dezember 2011 bei ihm eingegangen ist.
Die sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Über den durch den angefochtenen Bescheid festgesetzten Betrag hinaus stehen dem Betroffenen aus der Landeskasse zu erstattende Gebühren in Höhe von weiteren 135 Euro zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 25,65 Euro, insgesamt 160,65 Euro zu.
1. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Höhe nach billigem Ermessen. Diese Bestimmung ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nur dann nicht verbindlich, wenn sie von einem Dritten - hier der Landeskasse - zu ersetzen und unbillig ist, wobei Unbilligkeit in der Regel dann angenommen wird, wenn die angemessene Gebühr um mehr als 20% überschritten wird (Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 14 Rdnr. 54). Der Gebührenansatz hat sich gemäß § 14 RVG an Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und der Bedeutung der Angelegenheit zu orientieren. Gerade bei Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist in der Regel eine unter den Rahmenmittelsätzen liegende Verteidigergebühr angemessen (LG Dresden, Beschluss vom 28. Oktober 2010, -5 Qs 164/19 -, zitiert nach Juris). Dem geringen Aktenumfang (24 Blatt zum Zeitpunkt der Anzeige der Verteidigung) sowie dem leicht erfassbaren Sachverhalt steht jedoch wegen der erforderlichen Befassung mit den Temperaturverhältnissen, unter denen das Messgerät einsetzbar war, eine durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit gegenüber. Zudem wies die Sache wegen der Höhe der in dem angefochtenen Bußgeldbescheid festgesetzten Geldbuße, dem angeordneten Fahrverbot sowie dem drohenden Eintrag von drei Punkten in das Verkehrszentralregister eine jedenfalls durchschnittliche Bedeutung für den Betroffenen auf. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Kriterien ist eine Grundgebühr (Nr. 5100 W RVG) innerhalb des Gebührenrahmens von 20 Euro bis 150 Euro in Höhe von 75 Euro angemessen. Da die von dem Verteidiger in Ansatz gebrachte Mittelgebühr in Höhe von 85 Euro nicht mehr als 20% über der angemessenen Gebühr liegt, ist sie zwar überhöht, jedoch nicht unbillig, so dass diese festzusetzen und zu erstatten war.
2. Hinsichtlich der Gebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (Nr. 5103 W RVG) war unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien innerhalb des Gebührenrahmens von 20 Euro bis 250 Euro eine Gebühr in Höhe von 100 Euro angemessen. Da die von dem Verteidiger in Ansatz gebrachte Mittelgebühr in Höhe von 135 Euro mehr als 20% über der angemessenen Gebühr liegt, ist sie unbillig und daher nicht verbindlich. Festzusetzen und zu erstatten sind mithin lediglich 100 Euro.
3. Die zusätzliche Gebühr gemäß Nr. 5115 W RVG war - abweichend von der Festsetzung durch die Verwaltungsbehörde - unter Berücksichtigung der oben unter Ziff. II 1. genannten Kriterien ebenfalls auf 100 Euro zu erhöhen. Hierbei handelt es sich nach Auffassung der Kammer nicht um eine versteckte Festgebühr (Beschluss der Kammer vom 22. September 2011, -517 Qs 93/11-; LG Deggendorf, Beschluss vom 8. September 2005, -1 Qs 101/05 -, zitiert nach Juris; LG Berlin, Beschluss vom 22. August 2008, -504 Qs 107/08 -; a. A.: Burhoff in Gerold-Schmidt, RVG, 19. Aufl. W5115, Rdnr. 35; Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., Nrn. 5100-5200, Rdnr. 19). Zwar bemisst sich die Gebühr für den Wahlanwalt dem Wortlaut der Nr. 5115 Abs. 3 Satz 2 W RVG nach der Rahmenmitte der jeweiligen Verfahrensgebühr der Instanz, in der die Hauptverhandlung vermieden worden ist (Gerold-Schmidt, a.a.O, Rdnr. 26). Dennoch bleibt § 14 RVG anwendbar mit der Folge, dass die Umstände des Einzelfalles bei der Bestimmung der Gebühr heranzuziehen sind (Beschluss der Kammer vom 22. September 2011, -517 Qs 93/11 -; LG Berlin, Beschluss vom 22. August 2008, -504 Qs 107/08 -). Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 15/1971, S. 228), wonach „grundsätzlich“ die Mittelgebühr maßgebend sein soll, mithin je nach Lage des Einzelfalles von der Rahmenmitte abgewichen werden kann.
Die Nichtfestsetzung der Gebühr für das gerichtliche Verfahren gemäß Nr. 5109 W RVG ist nicht zu beanstanden. Zwar beginnt das gerichtliche Verfahren mit dem Eingang der Akten bei dem Amtsgericht (Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., 5107 - 5112 W Rdnr. 3). Dies bedeutet jedoch nicht, dass zugleich auch die entsprechende Verfahrensgebühr entsteht. Hierfür ist eine anwaltliche Tätigkeit während des gerichtlichen Verfahrens erforderlich. Ob die von dem Verteidiger erwähnte „Zwischeninformation an Mandant“ während des gerichtlichen Verfahrens erfolgte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die von ihm vorgetragene „Folgebesprechung Mandant zu Rückübertragungsbeschluss“ erfüllt die Voraussetzung nicht, da diese Besprechung offenbar nach dem Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 12. Juli 2011 erfolgte, der das gerichtliche Verfahren abschloss. Dass sich die im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde entfaltete anwaltliche Tätigkeit in irgendeiner Weise auf das gerichtliche Verfahren ausgewirkt hat, genügt nicht, um die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren entstehen zu lassen.
5. Zurecht erfolgte auch die Nichtfestsetzung der geltend gemachten zweiten Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 W RVG in Höhe von 20 Euro. Denn diese fällt nach Auffassung der Kammer im Bußgeldverfahren vor Verwaltungsbehörde und Amtsgericht nur einmal an (Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., Nrn. 7000-7002 Rdnr. 15).
6. Auch Festsetzung und Erstattung der Aktenübersendungspauschale in Höhe von 12 Euro ist zu Recht abgelehnt worden. Bei der Aktenübersendung handelt es sich um eine Serviceleistung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. März 1996, - 2 BvR 386/96 -, zitiert nach Juris; Beschluss der Kammer vom 22. September 2011, - 517 Qs 93/11 -) der Verwaltungsbehörde. Sie erspart dem Verteidiger die zwar kostenlose, jedoch mit zeitlichem Aufwand verbundene Akteneinsicht bei der Verwaltungsbehörde oder die Mitnahme der Akte von dort.
7. Schließlich ist der Umsatzsteuerbetrag in Höhe von 25,65 Euro hinzuzurechnen, womit sich ein insgesamt zu erstattender Betrag von 362,65 Euro ergibt.
8. Die Kosten- und Auslageentscheidung beruht- unter Berücksichtigung des Umfangs des Erfolges des Beschwerdeführers - auf § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 4 StPO.


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