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RVG Entscheidungen

Allgemeine Gebühren-/Kostenfragen - Sonstiges

Anfechtung, Kostenentscheidung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.03.2012 - III 3 Ws 28-32/12

Leitsatz: Der Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung steht § 464 Abs. 3 S. 1, 2. HS StPO nicht entgegen, wenn gegen die Hauptentscheidung zwar ein Rechtsmittel statthaft ist, dieses aber dem Beschwerdeführer nicht zusteht.


In pp.
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird hinsichtlich des Angeschuldigten H. als unzulässig, hinsichtlich der übrigen Angeschuldigten als unbegründet verworfen.

Auf die sofortigen Beschwerden der Angeschuldigten wird der angefochtene Beschluss wie folgt ergänzt:

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe
I.

Unter dem 19. April 2010 hat die Staatsanwaltschaft Krefeld Anklage gegen die Angeschuldigten wegen in der Zeit von 2002 bis 2009 in K. und anderenorts begangener Straftaten Anklage vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Krefeld erhoben. Darin wird ihnen u. a. vorgeworfen, gemeinschaftlich in 53 Fällen handelnd Mineralölsteuern bzw. ab 1. August 2006 Energiesteuer hinterzogen zu haben. Im Einzelnen ist dazu ausgeführt:

Die Angeschuldigten P.-H.S., M.-M.W., G.H. sind Gesellschafter der im Mineralölhandel tätigen T.S. KG, geschäftsansässig auf der N.str. 48, 4G. Der Angeschuldigte P.-H.S. ist faktischer Geschäftsführer der Gesellschaft. Die Angeschuldigten M.-M.W und G.H. sind für die Buchführung der Gesellschaft verantwortlich. Der Angeschuldigte H.-T.H. ist angestellter Kraftfahrer der Gesellschaft.

Aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses lieferten die Angeschuldigten dem gesondert Verfolgten M.K., der im Tatzeitraum an der Geschäftsanschrift E 9 in D eine Tankstelle betrieb, nicht voll versteuerten Dieselkraftstoff. Den Dieselkraftstoff erlangten die Angeschuldigten, indem sie Kunden der T.S. KG, die bei der Gesellschaft Heizöl (HEL) bestellten, weniger auslieferten als über die Messanlagen der Tankwagen angegeben. Über sogenannte Reibachleitungen wurde bereits als geliefert erfasstes Heizöl wieder in den Tankwagen zurückgepumpt. Durch den anschließenden Produkttausch Heizöl HEL/Dieselkraftstoff wurde nicht eingefärberter Dieselkraftstoff erwirtschaftet, der sodann an den gesondert verfolgten K. geliert wurde. ...

Neben der Hinterziehung von Mineralöl-/Energiesteuer legt die Staatsanwaltschaft den Angeschuldigten zu 1. bis 3. die Hinterziehung von Umsatz- und Einkommenssteuer zur Last. Der Angeschuldigte P.-H.S. wird darüber hinaus des Betruges, der falschen Versicherung an Eides Statt, der Urkundenfälschung sowie diverser Eichdelikte beschuldigt.

Mit Beschluss vom 7. Juli 2011 hat die 2. große Strafkammer - Wirtschafts­strafkamme - des Landgerichts Krefeld die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, soweit den Angeschuldigten Hinterziehung von Mineralöl-/Energiesteuer in 53 Fällen zur Last gelegt wird. Zugleich hat sich das Landgericht gemäß § 16 StPO für im Übrigen örtlich unzuständig erklärt.

Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, es bestehe kein hinreichender Tatverdacht im Sinne von § 204 StPO betreffend die Hinterziehung von Mineralöl-/Energiesteuer. Die Staatsanwaltschaft berechne den Verbrauchssteuerschaden aus der Differenz der Steuersätze für Heizöl- und Dieselkraftstoff. Sie gehe davon aus, dass die Angeschuldigten dem K. Dieselkraftstoff geliefert hätten, der zuvor aus einer Vielzahl nicht aufgeklärter Betrugstaten zum Nachteil von Heizölkunden generiert worden sei. Die Steuerschadensschätzung der Staatsanwaltschaft beruhe auf der Annahme, die Betrugstaten seien ausschließlich zum Nachteil von Heizölkunden verübt worden. Hiervon könne aber nicht ausgegangen werden. Sofern die Angeschuldigten Schwarzmengen an Dieselkraftstoff erwirtschaftet und diese an K. geliefert hätten, scheide eine Hinterziehung von Mineralöl-/Energiesteuer aus. Diese Vorgehensweise liege nicht außerhalb des Denkbaren. Denn angeklagt sei ein Fall des Betruges zum Nachteil eines Dieselkunden (Fall 78 der Anklage). Auch aus dem Ermittlungsbericht des Hauptzollamtes Krefeld vom 31. August 2009 ergebe sich, dass ein Betrug zum Nachteil von Dieselkunden nicht ausgeschlossen werden könne, wenn dies in der zur Rede stehenden Größenordnung hier auch sehr unwahrscheinlich sei.

Derartige Wahrscheinlichkeitsüberlegungen müssten indessen bei der Beurteilung des hinreichenden Tatverdachts außer Betracht bleiben.

Zudem fehle es in der Anklageschrift an verlässlichen Grundlagen zur Schadenschätzung. Allein die Angaben des Zeugen K. reichten nicht aus, den Steuerschaden zu ermitteln. Dies stimme überein mit der Einschätzung der Steuerbehörde, die von einer Nacherhebung der Verbrauchssteuer abgesehen habe, obwohl ihr dies sogar unter - verglichen mit den Anforderungen an eine strafrechtliche Verurteilung - erleichterten Voraussetzungen möglich gewesen wäre. Das Hauptzollamt Krefeld habe der T.S. KG auch weiterhin die Genehmigung für das Betreiben eines Zolllagers belassen, was indiziere, dass die Firma trotz allem als zuverlässig gelte.

Die Verneinung der örtlichen Zuständigkeit für die übrigen angeklagten Taten hat das Landgericht damit begründet, dass hierfür nach dem Entfallen des Verdachts der Hinterziehung von Mineralöl-/Energiesteuer, die als einzige der angeklagten Taten wegen der Meldepflicht beim Hauptzollamt Krefeld im Gerichtsbezirk begangen worden seien, kein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Krefeld verbleibe. Der Gerichtsstand des Zusammenhangs nach § 13 StPO sei mit der Nichteröffnung entfallen.

Gegen den Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Krefeld sofortige Beschwerde eingelegt. Sämtliche Angeschuldigte haben ihrerseits sofortige Beschwerde gegen die unterlassene Kostenentscheidung in dem Beschluss eingelegt.

II.

Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Angeschuldigten zu 4. richtet; im Übrigen ist sie unbegründet.

1.

Die sofortige Beschwerde gegen den Angeschuldigten zu 4. (H.) ist unzulässig, weil sie verspätet eingelegt wurde. Die Frist von einer Woche (§ 311 Abs. 2 erster Halbsatz StPO), innerhalb derer die sofortige Beschwerde bei dem zuständigen Gericht hätte eingelegt werden müssen (§ 311 Abs. 1, 306 Abs. 1 SPO), begann mit Bekanntmachung der angefochtenen Entscheidung (§ 311 Abs. 2 zweiter Halbsatz StPO). Diese erfolgte durch Vorlegung der Urschrift des zuzustellenden Beschlusses an die Staatsanwaltschaft am 13. Juli 2011 (§ 41 Satz 1 und 2 StPO); die Beschwerdefrist endete folglich am Mittwoch, den 20. Juli 2011 (§ 43 Abs. 1 StPO). Mit Schrift vom 15. Juli 2011 - eingegangen bei Gericht am selben Tag - hat die Staatsanwaltschaft zwar sofortige Beschwerde eingelegt, allerdings nur betreffend die Angeschuldigten zu 1. bis 3. Nur diese sind namentlich aufgeführt, nicht hingegen der Angeschuldigte zu 4. Es erfolgt in der Beschwerdeschrift hinter den Namen der Angeschuldigten zu 1. bis 3. auch kein Zusatz wie "pp" oder "u. a.", der den Schluss darauf zuließe, die namentliche Aufzählung der Beschwerdegegner sei nicht abschließend. Erst in der Beschwerdebegründung vom 31. Oktober 2011 hat die Staatsanwaltschaft "klargestellt", dass sich das Rechtsmittel auch gegen den Angeschuldigten H. wende. Dieser Schriftsatz ging aber erst im November 2011 - weit nach Ablauf der Einlegungsfrist - bei dem Landgericht ein. Für eine Klarstellung bleibt angesichts des eindeutigen Wortlauts der Einlegungsschrift kein Raum. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft verabsäumt, den Beschluss fristgerecht anzugreifen, soweit er sich auch auf den Angeschuldigten zu 4. bezieht.

2.

a) Das Rechtsmittel gegen die übrigen Angeschuldigten ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Dies gilt auch hinsichtlich der Angeschuldigte M.-M.W.. Diese kann sich nicht erfolgreich darauf berufen, die Staatsanwaltschaft habe nicht fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Zwar wird in der Beschwerdeeinlegungsschrift vom 15. Juli 2011 nicht der Name W. genannt. Die Angeschuldigte wird dort aber mit ihrem Geburtsnamen M.-M.S. bezeichnet. Aus den Umständen ist klar ersichtlich, dass sich die sofortige Beschwerde auf die Angeschuldigte W., geborene S., bezog. Dass deren verstorbene Mutter gemeint sein könnte - wie die Verteidigung geltend macht - wie ist abwegig. Denn nur die Angeschuldigte W., geb. S., ist in der Anklageschrift und in dem angefochtenen Beschluss mit den zur näheren Identifizierung geeigneten Angaben des Geburtsdatums, des Geburtsortes und der Wohnanschrift genannt.

b) Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Landgericht Krefeld die Eröffnung des Hauptverfahrens im Hinblick auf den Verdacht der Hinterziehung von Mineralöl-/Energiesteuer gemäß § 204 Abs. 1 StPO aus tatsächlichen Gründen abgelehnt. Auch nach Auffassung des Senats vermögen die Beweise keinen hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO gegen die Anschuldigten zu 1. bis 3. zu erbringen. Hinreichender Tatverdacht ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der dem Tatgericht einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum eröffnet, zumal es sich dabei um eine Prognoseentscheidung handelt (BVerfG NStZ 2002, 606 Rn. 1 [BVerfG 28.03.2002 - 2 BvR 2104/01]; BGH StV 2001, 580). Die ermittelten Tatsachen müssen es nach praktischer Erfahrung wahrscheinlich machen, dass der Angeschuldigte in einer Hauptverhandlung mit den Beweismitteln, die zur Verfügung stehen, verurteilt wird. Entscheidend ist letztlich die - vertretbare - Prognose des Gerichts, dass die Hauptverhandlung wahrscheinlich mit einem Freispruch enden wird, wenn das Ermittlungsergebnis nach Aktenlage sich in der Beweisaufnahme als richtig erweist (vgl. BGH NJW 2000, 2672, 2673 [BGH 18.05.2000 - III ZR 180/99]; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2008, 348; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 170 Rn. 1 f. m.w.N.). Die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Einschätzung, dass eine Verurteilung des Angeschuldigten nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht wahrscheinlich sei, hält sich innerhalb dieses Beurteilungsspielraums. Wahrscheinlich ist ein Ereignis, wenn mehr dafür als dagegen spricht, dass es eintritt.

Es finden sich in der angefochtenen Entscheidung keine Anhaltspunkte dafür, dass das Landgericht einen überspannten Prüfungsmaßstab angewandt hat. Der Senat teilt die Einschätzung der Wirtschaftsstrafkammer, dass ein Kundenbetrug zum Nachteil von Dieselkunden nicht ausgeschlossen werden kann. In diesem Fall aber scheidet eine Hinterziehung von Mineralöl-/Energiesteuer aus, da die X. KG die entsprechende Steuer auf den dem K. schwarz gelieferten Kraftstoff bereits in vollem Umfang gezahlt hätte.

Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft kann ein Betrug zum Nachteil von Dieselkunden nicht ausgeschlossen werden. Betrachtet man die von dem Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Düsseldorf in seinem strafrechtlichen Ermittlungsbericht vom 10. Februar 2010 Anlage 1 mit dem Tankwagen 17, Fahrer H., ausgelieferten Mengen, so sind dort zahlreiche Dieselkunden aufgeführt. Dass die Füllbehälter dieser Abnehmer sämtlich mit exakten Peilanlagen ausgestattet sind und somit ein Betrug zu deren Nachteil unwahrscheinlich ist - wie die Staatsanwaltschaft annimmt - ergibt sich nicht ohne weitere Nachweise. Die T.S. KG hat nämlich nicht nur Tankstellen mit Dieselkraftstoff beliefert, die über genaue Messsysteme verfügen. Unter den übrigen Dieselkunden befanden sich - wie Fall 78. der Anklageschrift zum Nachteil der S. Tiefbau GmbH in D. zeigt - auch solche, die Großmaschinen mit Dieselkraftstoff betanken ließen. In derartigen Fahrzeugen oder Abfüllanlagen befinden sich üblicherweise keine maßgenauen Kraftstoffmessgeräte. Dies zeigt sich schon an den Beweismitteln, die den Angeklagten zu 1. eines Betruges belegen sollen. Hier sind nur Zeugen - keine Messprotokolle - benannt, durch deren Bekundungen über die Füllmengendifferenzen der Angeschuldigte zu 1. überführt werden soll.

Andere Betriebe wie Landwirte, Handwerker und Gewerbetreibende dürfen ebenfalls kleine Dieseltank-Stationen unterhalten, die keine litergenaue Messung der Kraftstoffmenge ermöglichen. Es mag sein, dass diese Kunden über den Dieselbestand Buch führen und Verdacht schöpfen, wenn der Vorrat zu Ende geht, obwohl nach den Unterlagen noch Bestände vorhanden sein müssten. Doch können insoweit auch - wie es die Staatsanwaltschaft für die Heizölkunden vermutet - Kleinmengen ertrogen worden sein. In diesem Fall bliebe ein Abweichen zwischen Buchmenge und tatsächlicher Menge unentdeckt.

Zwar mag es auch sein, dass - wie in der Anklageschrift dargelegt - "Heizöl verdieselt" und damit auch Steuern in Form der Differenz zwischen der für Diesel und Heizöl hinterzogen wurden. Doch müsste in diesem Fall eine nachvollziehbare Schätzung der hinterzogenen Steuer anhand der Mengen möglich sein. Hierfür bestehen keine belastbaren Anhaltspunkte. Zwar finden sich in dem Sonderband "Geschädigte" diverse Heizölkunden der Firma T.S. KG, die bekunden werden, Minderlieferungen erhalten zu haben. Womöglich werden auch die Tankwagenfahrer der T.S. KG von betrügerischen Heizöllieferungen berichten können. Hieraus kann aber noch nicht der Schluss gezogen werden, dass so zum Nachteil von Heizölkunden ertrogenen Mengen als Dieselkraftstoff an den gesondert verfolgten K. geliefert wurden. Es ist zum einen schon nicht nachvollziehbar wie der in der Anklageschrift behauptete "Produkttausch" Heizöl/Diesel erfolgt sein soll. Denkbar wäre eine Vermischung von eingefärbtem Heizöl und Diesel in einer Konzentration, die den Heizölanteil nicht mehr mit den üblichen Messmethoden nachweisbar erschienen ließe. Eine andere Möglichkeit wäre das Herausfiltern des roten Farbstoffes und des chemischen Zusatzes, der dem Heizöl zur Unterscheidung von Diesel beigefügt ist. Schließlich mag ein "Produkttausch" auch durch rein buchhalterische Maßnahmen ggf. im Zusammenspiel mit dem Lieferanten der T.S. KG stattgefunden haben. Allerdings sind alle vorgenannten Möglichkeiten nicht hinreichend wahrscheinlich. Die Staatsanwaltschaft hat trotz umfangreicher Ermittlungen unter Amtshilfe der Zoll- und Steuerfahndung keine konkreten Anhaltspunkte für eine der genannten Möglichkeiten gefunden. So hat auch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Düsseldorf in seinem strafrechtlichen Ermittlungsbericht vom 10. Februar 2010 (S.15) festgestellt:

"Damit wird auch deutlich, dass es sich bei den schwarz an K. gelieferten Dieselkraftstoffmengen nicht zwingend um die durch Produkttausch erwirtschafteten Schwarzmengen handeln muss. In vielen Fällen wurde unvermischter DK direkt aus Tanklagern von Drittfirmen geliefert."

Unter diesen Umständen bleibt die Frage, ob überhaupt ein "Produkttausch" stattgefunden hat im spekulativen, einer Anklageerhebung nicht zugänglichen Bereich.

Selbst wenn aber ein "Produkttausch" unterstellt würde, so mangelte es doch an Grundlagen für eine Mengenschätzung, die auch für die Höhe der hinterzogenen Steuer von Bedeutung wäre. Das Landgericht hat zutreffend dargelegt, dass die die Anklage sich auf unzulässige Schätzungen stützt. Dabei hat die Strafkammer nicht verkannt, dass eine Schätzung hinterzogener Steuern dem Tatgericht grundsätzlich gestattet ist (BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvR 162/07). Sie hat allerdings zutreffend darauf abgestellt, dass die hierfür notwendigen Voraussetzungen bislang nicht vorliegen. Der Bundesgerichtshof hat die für die Anwendung und Durchführung einer Schätzung maßgeblichen Kriterien in der Entscheidung NStZ 2010, 635 [BGH 10.11.2009 - 1 StR 283/09] dargelegt. Erste Voraussetzung für eine Schätzung ist das Fehlen belastbarer Beweismittel wie Belege oder Aufzeichnungen für die Schadenshöhe oder ein unangemessener Aufklärungsaufwand. Diese Voraussetzung wäre hier zwar erfüllt. Weiter müssen aber die Parameter der Schätzgrundlage tragfähig sein, wobei im Rahmen der Gesamtwürdigung der Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten ist. Zu Recht hat das Landgericht hier angenommen, die Schätzungsgrundlagen seien nicht nachvollziehbar. Soweit die Staatsanwaltschaft die Mengen als Schätzgrundlagen zugrunde legt, die dem gesondert verfolgten K. nach dessen Bekundungen "schwarz" geliefert wurden, ist dies nicht tragfähig. Diese Schwarzlieferungen könnten allenfalls zur Berechnungsgrundlage dienen, wenn sie ausschließlich aus ursprünglichem Heizölbestand generiert worden wären. Wie bereits dargelegt, ist eine derartige Annahme aber nicht tatsachenfundiert. Denn wie Fall 78 der Anklageschrift zeigt, wurden offenbar auch Dieselkunden betrogen. Soweit Anzeigen privater Heizölbezieher (Sonderband "Geschädigte") vorliegen, hat die Staatsanwaltschaft hingegen keinen der Fälle zur Anklage gebracht. Selbst wenn die angestellten Tankwagenfahrer der Theo Schäfer KG in einer Hauptverhandlung Minderlieferungen an Heizölkunden bestätigen werden, ist damit immer noch nicht nachgewiesen, in welcher Größenordnung K. - ggf. nach "Produkttausch"- mit Heizöl beliefert wurde.

3.

Gegen die Entscheidung, durch die sich das Landgericht für örtlich unzuständig erklärt, steht der Staatsanwaltschaft die (einfache) Beschwerde zu. Diese hat sie nicht erhoben, so dass eine Entscheidung des Senats insoweit nicht veranlasst ist.

4.

Die sofortigen Beschwerden der Angeschuldigten zu 1. bis 4 sind statthaft und form- und fristgerecht nach §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2, 464 Abs. 3 StPO erhoben. Ihre Zulässigkeit scheitert auch nicht an der Vorschrift des § 464 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz StPO, wonach die Anfechtung der Nebenentscheidung nicht möglich ist, wenn die Hauptsacheentscheidung unanfechtbar ist. Diese Beschränkung gilt nicht, wenn - wie hier - gegen die Hauptentscheidung zwar ein Rechtsmittel statthaft ist, das Rechtsmittel einem bestimmten Beteiligten - hier den Angeschuldigten mangels Beschwer - aber nicht zusteht (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 464 Rn. 19 m.w.N.). Das Rechtsmittel ist auch begründet. Nachdem das Landgericht eine verfahrensabschließende Entscheidung getroffen hat, war nach es § 464 Abs. 2 StPO geboten, eine Kostenentscheidung zu treffen. Die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen der Angeschuldigten waren nach Einstellung des Verfahrens gemäß § 467 Abs.1 StPO der Staatskasse aufzuerlegen. Dass die Staatsanwaltschaft erneut Anklage bei dem zuständigen Gericht hinsichtlich der nicht eingestellten Taten erheben kann, steht dem nicht entgegen.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 473 Abs. 1 Satz 1, 467 Abs. 1 StPO.

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