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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, schwierige Sach- und Rechtslage, Beweisverwertungsverbot, rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Karlsruhe, Beschl. v. 14.11.2022 - 16 Qs 62/22

Eigener Leitsatz:

1. Eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist dann vorzunehmen, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.
2. Ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO liegt u.a. vor, wenn fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt oder wenn es sich um Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen handelt.


16 Qs 62/22

Landgericht Karlsruhe
- auswärtige Strafkammern Pforzheim -

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Bedrohung
hier: Beschwerde wegen Beiordnung eines Pflichtverteidigers

hat das Landgericht Karlsruhe - 16. große Strafkammer (auswärtige Strafkammer Pforzheim) durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter am Landgericht am 14. November 2022 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers pp. gegen den Beschluss des Amts-gerichts Pforzheim vom 05.07.2022 wird dieser aufgehoben.
2. Herr Rechtsanwalt pp. wird dem Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger beigeordnet.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu tragen.


Gründe:

I.

Die sofortige Beschwerde ist vorliegend gem. § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Beschwerdeführer die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO gewahrt. Die Zustellung des angegriffenen Beschlusses des Amtsgerichts Pforzheim an den Beschwerdeführer erfolgte am 08.07.2022, dessen sofortige Beschwerde wiederum am 12.07.2022 beim Amtsgericht Pforzheim einging.

II.
Die sofortige Beschwerde erweist sich auch in der Sache als begründet. Die Voraussetzungen für eine Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers sind gegeben.

1. Nach Auffassung der Kammer ist eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers dann vorzunehmen, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, ein Fall der notwendigen Verteidigung vorlag und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. zum Streitstand nach aktueller Rechtslage jeweils m.w.N. BeckOK StPO/Krawczyk, 45. Ed. 1.10.2022, § 142 Rn. 30 und Beutel, NStZ 2022, 328).

a) Der Beschwerdeführer hat die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorliegend rechtzeitig vor Abschluss des Strafverfahrens beantragt.

Der Beschwerdeführer hat den Antrag auf Beiordnung seines damaligen Wahlverteidigers, Herrn Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger am 29.06.2022 gestellt. Das Amtsgericht Pforzheim lehnte den Antrag durch Beschluss vom 05.07.2022 ab. Hiergegen richtet sich die Beschwerde durch seinen gegenwärtigen Verteidiger, Herrn Rechtsanwalt pp., durch die der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers mit der Maßgabe aufrechterhalten wurde, dass nun Herr Rechtsanwalt pp. beizuordnen sei. Erst im Anschluss hat das Amtsgericht Pforzheim durch Beschluss vom 31.10.2022 das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer mit Zustimmung aller Beteiligten gem. § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.

b) Ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO lag ursprünglich vor. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn durch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Einen solchen Fall nimmt die Rechtsprechung an, wenn fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt (OLG Bremen DAR 2009, 710; LG Schweinfurt StV 2008, 462; LG Köln StV 2017, 173; Schmitt in Mey-er-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 140 Rn. 28), wenn es sich um Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen handelt (OLG Hamm BeckRS 2020, 21130; KG BeckRS 2013, 19704; OLG Cello StV 2009, 8; BeckOK StPO/Krawczyk, 45. Ed. 1.10.2022, StPO § 140 Rn. 29) oder wenn Sachverständigengutachten einzuholen und zu würdigen sind (LG Hamm StraFo 2002, 293; OLG Frankfurt a. M. StraFo 2003, 420; KG StV 1990, 298; BeckOK StPO/Krawczyk, a.a.O.).

Nach den weiteren Ermittlungen der Kammer gem. § 308 Abs. 2 StPO lässt sich nicht ausschließen, dass die von der Geschädigten vorgelegten Sprachnachrichten heimliche Aufzeichnungen - von Telefongesprächen - ohne-Zeitstempel - und ohne-erkennbare Identität des Anrufenden sind. Bereits dann wäre im weiteren Strafverfahren ein Beweisverwertungsverbot zumindest zu erörtern gewesen. Im Übrigen hätte vorliegend nur dann keine typische Aussage-gegen-Aussage Konstellation vorgelegen, wenn die Stimme der Sprachaufzeichnungen sich eindeutig dem Beschwerde-führer hätte zuordnen lassen, was wohl wiederum ein Sachverständigengutachten erfordert hätte. All diese Umstände begründen jeweils für sich Fälle der notwendigen Verteidigung.

c) Die Entscheidung über die Beiordnung als Pflichtverteidiger erst nach Einstellung des Verfahrens beruht vorliegend alleine auf justizintemen Vorgängen. Die Möglichkeit, gem. § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO von einer Bestellung in denjenigen Fällen abzusehen, in denen beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen, gilt nicht für Fälle einer beantragten Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO, sondern nur für die antragsunabhängige Pflichtverteidigerbeiordnung nach § 141 Abs. 2 StPO (ebenso LG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2021 — 40 Js 4738/21, BeckRS 2021, 36883 Rn. 7; LG Frankfurt, FD-StrafR 2021, 443565).

2. Gründe, die der Bestellung von Herrn Rechtsanwalt pp. gemäß § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


Einsender: RA S. Seidel, Mannheim

Anmerkung:


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