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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Polizeibeamter, Nichtablieferung von Verwarnungsgeldern, Untreue, Unterschlagung

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Urt. v. 28.09.2022 – 206 StRR 157/22

Leitsatz des Gerichts:

1. Ist ein Polizeivollzugsbeamter damit betraut, Verkehrsverstöße mittels Erteilung gebührenpflichtiger Verwarnungen zu ahnden, kann die Nichtablieferung und Verwendung eingenommener Verwarnungsgelder zu eigenen Zwecken den Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllen.
2. Die Pflicht, über eingenommene Verwarnungsgelder abzurechnen und diese abzuliefern, begründet eine besonders qualifizierte Pflichtenstellung gegenüber dem Dienstherrn. Diese gehört zum Kernbereich der dem Beamten obliegenden Dienstpflichten.
3. Die Verwirklichung des Treubruchstatbestandes des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB erfordert darüber hinaus, dass dem Täter Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit verbleibt Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Einhaltung bestehender dienstlicher Weisungen betreffend Aufbewahrung und Abführung der eingenommenen Verwarnungsgelder nicht kontrolliert wird, denn dies verschafft dem Polizeibeamten die faktische Möglichkeit, auf die ihm anvertrauten Fremdgelder zuzugreifen.


In pp.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 14. Februar 2022 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht München hat den Angeklagten mit Urteil vom 23. September 2021 der Untreue in 26 Fällen schuldig gesprochen und gegen ihn deswegen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr 10 Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 13.175,00 Euro angeordnet.

Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht München I mit Urteil vom 14. Februar 2022 das Urteil des Amtsgerichts München vom 23. September 2021 aufgehoben. Es hat den Angeklagten der veruntreuenden Unterschlagung in 26 Fällen schuldig gesprochen, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, sowie die Einziehung von Wertersatz für das Erlangte in Höhe von 13.065 € angeordnet. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht verworfen.

Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Tatsächlich sei der Tatbestand der Untreue verwirklicht. Zudem dränge sich auf, dass nicht lediglich 26, sondern aufgrund eines jeweils gesonderten Tatentschlusses 587 Einzelfälle verwirklicht seien. Feststellungen dazu habe die Strafkammer nicht getroffen.

Die Revision wird von der Generalstaatsanwaltschaft München vertreten. Sie beantragt, das Urteil des Landgerichts München I vom 14. Februar 2022 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen.

Der Angeklagte beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Der festgestellte Sachverhalt, wonach der Angeklagte als Polizeibeamter vereinnahmte Verwarnungsgelder nicht bei seiner Dienststelle abgeliefert, sondern für eigene Zwecke verbraucht hat, ist jedenfalls wegen weiterer besonderer Umstände des Einzelfalls rechtlich als Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB zu würdigen (dazu nachfolgend 3.).

An einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs ist der Senat jedoch gehindert, denn es ist ihm anhand der insoweit lückenhaften Feststellungen nicht möglich, die Anzahl der verwirklichten Einzeltaten abschließend zu bestimmen. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe in (lediglich) 26 Fällen einen jeweils gesonderten Tatentschluss gefasst und diesen durch Nichtablieferung des vereinnahmten Geldes nach außen manifestiert, wird von den Feststellungen nicht getragen (dazu nachfolgend 4.).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte im Tatzeitraum als Polizeibeamter bei einer Verkehrspolizeiinspektion tätig. Seine Aufgabe bestand in der Kontrolle, Verfolgung und Ahndung von Verkehrsverstößen. Als solcher war er zur Erteilung von gebührenpflichtigen Verwarnungen ermächtigt. Dazu wurden ihm von der Verkehrspolizeiinspektion sogenannte "Barverwarnungsblöcke" ausgehändigt. Werden diese verwendet, zahlt der betroffene Verkehrsteilnehmer ein Verwarnungsgeld in Höhe von 5 bis 55 € in bar an den Polizeibeamten und erhält dafür eine handschriftliche Quittung, die aus dem Barverwarnungsblock herausgetrennt wird. Ein Block umfasst 25 Quittungen. Ein Abschnitt mit dem jeweils berechneten Verwarnungsgeld verbleibt im Barverwarnungsblock, zudem wird in einer Übersichtsliste das jeweilige Barverwarnungsgeld eingetragen. Nach Vereinnahmung von 250,00 Euro, jedenfalls aber einmal im Monat und spätestens mit der Ausgabe eines neuen Blocks war nach den dienstlichen Vorschriften der alte Block an den dafür zuständigen Kassenwart der Verkehrspolizeiinspektion zurückzugeben und musste das vereinnahmte Geld abgerechnet und abgeliefert werden. Jedenfalls die Einhaltung der beiden erstgenannten Abrechnungsverpflichtungen wurde auf der Dienststelle nicht kontrolliert (UA S. 17). Ob die vorbezeichnete Verpflichtung, vor Ausgabe eines neuen Blocks jeweils über den verbrauchten Block abzurechnen, kontrolliert wurde, ist vom Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt.

In der Zeit vom 18. Mai 2015 bis 11. Januar 2018 vereinnahmte der Angeklagte unter Verwendung 26 verschiedener Barverwarnungsblöcke in 587 Einzelfällen Verwarnungsgelder in Höhe von insgesamt 13.065 Euro, die er nicht an den Kassenwart seiner Dienststelle weiterleitete, obwohl er von seiner diesbezüglichen Verpflichtung wusste, sondern behielt das Geld für sich.

2. Das Landgericht hat das Einbehalten der Verwarnungsgelder als 26 Fälle der veruntreuenden Unterschlagung gewertet. Da die Vorschrift, einmal monatlich oder aber dann abzurechnen, wenn die Einnahmen aus den Barverwarnungen 250 € überschritten hätten, in der Verkehrspolizeiinspektion nicht eingehalten und vom zuständigen Beamten nicht kontrolliert worden sei, habe sich die Unterschlagung des Angeklagten jedenfalls mit der jeweiligen Anforderung eines neuen Blockes ohne Rückgabe und Abrechnung des alten Blockes objektiviert. Der Annahme von Untreue stehe entgegen, dass jedenfalls nach der neueren Rechtsprechung hierfür Voraussetzung sei, dass der Täter innerhalb eines nicht unbedeutenden Pflichtenkreises zur fremdnützigen Vermögenssorge verpflichtet sei; außerdem dürfe die übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet sein, sondern ihm müsse Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbstständigkeit belassen sein. Maßgeblich sei, ob die fremdnützige Vermögensfürsorge den Hauptgegenstand der Rechtsbeziehung bilde und ob dem Verpflichteten bei deren Wahrnehmung ein gewisser Spielraum verbleibe. Dem Angeklagten habe weder eine herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung von polizeilichen/staatlichen Vermögensinteressen oblegen, noch habe er seine Pflichten mit einer gewissen Selbstständigkeit wahrnehmen können. Denn er sei zwar hinsichtlich der Frage des "Ob" einer Verwarnung selbstständig gewesen, jedoch habe es hinsichtlich der Frage, wie mit dem eingenommenen Verwarnungsgeld zu verfahren sei, klare Anweisungen gegeben. Insoweit habe jede Möglichkeit einer eigenen Entscheidung des Angeklagten gefehlt.

3. Diese Erwägungen des Landgerichts erweisen sich im Ergebnis als rechtsfehlerhaft. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass dem Angeklagten kraft behördlichen Auftrags die Pflicht oblag, staatliche Vermögensinteressen wahrzunehmen. Ferner verblieb ihm jedenfalls infolge des weitgehenden Fehlens von Kontrollen in seiner Polizeidienststelle bezüglich der Abrechnung und Ablieferung der Verwarnungsgelder Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbstständigkeit mit der Folge, dass er ohne gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch seinen Dienstherrn auf dessen Vermögen zugreifen konnte. Auf dieser Grundlage stellen sich die Taten des Angeklagten rechtlich als Untreue (in mindestens 26 Fällen, dazu unten 4.) dar, hinter die die veruntreuende Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 2 StGB, auf die das Landgericht erkannt hat, jedenfalls zurücktritt (zum Zurücktreten auch der veruntreuenden Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 2 StGB trotz gleich hohen Strafrahmens vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 266 Rn. 55 m.w.N.).

a) Voraussetzung des hier einzig in Betracht kommenden Treubruchstatbestands gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist das Bestehen einer Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Der tatsächlichen Einwirkungsmacht auf fremdes Vermögen muss ein besonders schützenswertes Vertrauen in die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen zugrunde liegen. Wie das Landgericht im Ausgangspunkt noch zutreffend erkannt hat, sind wegen der Weite des Tatbestandes die durch § 266 Abs. 1 StGB strafrechtlich geschützten Treueverhältnisse auf die Fälle zu beschränken, in denen für den Betreuenden eine besonders qualifizierte Pflichtenstellung in Bezug auf das fremde Vermögen begründet wird. Erforderlich ist, dass sich die Vermögensfürsorge als Hauptpflicht, also als zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige Verpflichtung darstellt. Sie darf nicht nur untergeordnete Bedeutung haben, sondern muss typischer und wesentlicher Inhalt des Treueverhältnisses sein (BGH, Beschluss vom 5. März 2013, 3 StR 438/12, juris Rn. 9). Sie hat sowohl über allgemeine vertragliche und Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten als auch über allein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten weit hinauszugehen (BGH, Beschluss vom 5. März 2013, 3 StR 438/12, NJW 2013, 1615 Rn. 9; Beschluss vom 26. Mai 1983, 4 StR 265/93, NStZ 1983, 455 und st. Rspr; vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 266 Rn. 33 m.w.N.).

Es muss hinzukommen, dass dem Täter die ihm übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet ist, sondern ihm Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit belassen wird (BGH NJW 2013, 1615 Rn. 9; BGH, Beschluss vom 1. April 2008, 3 StR 493/07, BeckRS 2008, 12627 Rn. 10; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010, 2 BvR 2559/08 u.a., NJW 2010, 3209, Rn. 108 ff.). Diesbezüglich ist, was das Landgericht verkannt hat, jedoch nicht nur auf die Weite des dem Täter eingeräumten Spielraums abzustellen, sondern es kommt auch auf das Fehlen von Kontrollen an, also auf seine tatsächlichen Möglichkeiten, ohne eine gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch den Treugeber auf dessen Vermögen zuzugreifen (BGH NJW 2013, 1615 Rn. 9; Beschluss vom 1. April 2008, 3 StR 493/07, BeckRS 2008, 12627 Rn. 10; Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 266 Rn. 86; Fischer, StGB § 266 Rn. 37).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellt sich das festgestellte Handeln des Angeklagten als Untreue gemäß § 266 Abs. 1 2. Alt. StGB dar.

aa) Durch den Zugriff auf die ihm dienstlich anvertrauten Gelder hat der Angeklagte, wie die Revision zutreffend ausführt, nicht nur seine allgemeine Treuepflicht als Beamter gegenüber seinem Dienstherrn und, anders als das Landgericht meint, nicht nur eine beamtenrechtliche Nebenpflichten verletzt. Er hat vielmehr im Kernbereich der ihm obliegenden Dienstpflichten als Polizeivollzugsbeamter gehandelt. Mit dem Kernbereich ist derjenige Pflichtenkreis des Beamten angesprochen, der im Mittelpunkt seines konkreten Amts im funktionellen Sinne (Dienstposten) steht. Zu den Kernpflichten eines mit der Einnahme und Behandlung von Verwarnungsgeldern betrauten Polizeibeamten gehört, dass dieser die ihm dienstlich anvertrauten Gelder ordnungsgemäß verwaltet und abrechnet. Der Dienstherr ist auf die absolute Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit eines solchen Beamten beim Umgang mit den ihm anvertrauten Geldern angewiesen. Das gilt umso mehr, als eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Polizeibeamten unmöglich ist, sie deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden muss (ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, vgl. Urteil vom 25. September 2013, 16a D 12.1369, BeckRS 2013, 59062 Rn. 47; Urteil vom 21. Januar 2015,16a D 13.1904, juris Rn. 87 m.w.N.; Urteil vom 28. September 2016, 16a D 13.2112 juris Rn. 50, jeweils zur Veruntreuung von Verwarnungsgeldern durch Polizeibeamte). Es bestand also eine besonders qualifizierte Pflichtenstellung des Angeklagten in Bezug auf die ihm anvertrauten Verwarnungsgelder, wie sie von § 266 Abs. 1 StGB vorausgesetzt wird, und die der Angeklagte in evidenter und schwerwiegender Weise verletzt hat.

bb) Die Revision beanstandet ferner zu Recht die Würdigung des Berufungsgerichts, dass es dem Angeklagten bei der Wahrnehmung der Vermögensinteressen hinsichtlich der Aufbewahrung und der Abführung des vereinnahmten Geldes an der für den Tatbestand erforderlichen Selbständigkeit gefehlt habe, er stattdessen durch strikte Weisungen ohne jeglichen verbleibenden Spielraum für selbständige und eigenverantwortliche Entscheidungen gebunden gewesen sei.

(1) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Rechtsprechung, dass sich ein Verkehrspolizeibeamter, der ein Verwarnungsgeld in der Absicht kassiert, es für sich zu behalten, in jedem Fall der Untreue strafbar macht, in dieser Allgemeinheit zu folgen ist (OLG Köln, Urteil vom 12. Februar 1963, Ss 335/62, NJW 1963, 1992; OLG Koblenz, Urteil vom 3. Oktober 1974, 1 Ss 206/74, GA 1975, 122; vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Dezember 1957, 2 StR 481/57 betreffend die Entnahme eingenommener Gelder durch den Verwalter eines Fahrkartenschalters; kritisch zur Entscheidung des OLG Köln, mangels eigener Dispositionsbefugnis des Beamten lediglich Unterschlagung annehmend, Dierlamm/Becker in MünchKomm-StGB, 4. Aufl. 2022, § 266 Rn. 65; Schünemann in LK-StGB, 12. Auflage 2012, § 266 Rn. 82; Saliger in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 5. Aufl. 2021, § 266 Rn. 14).

(2) Denn jedenfalls nach den festgestellten Besonderheiten des konkreten Falls verfügte der Angeklagten für den Umgang mit den eingenommenen Geldern in tatsächlicher Hinsicht über einen weiten Spielraum. Zwar galt die Verpflichtung des einzelnen Beamten, nach Einnahme von 250,00 Euro, jedenfalls aber einmal im Monat, über die Einnahmen Rechnung zu legen und diese abzuführen (UA S. 6). Nach den insoweit ausdrücklichen Feststellungen des Landgerichts wurde die Einhaltung dieser Verpflichtung indessen nicht kontrolliert (UA S. 17). Ob die ebenfalls bestehende Verpflichtung, vor Ausgabe eines neuen Blocks jeweils über den verbrauchten Block abzurechnen, auf der Dienststelle kontrolliert wurde, ist den Feststellungen zwar nicht ausdrücklich zu entnehmen. Es ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass auch diese dienstliche Vorgabe nicht lückenlos eingehalten wurde. Nach der Einlassung des Angeklagten (UA S. 11) haben im Tatzeitraum keine derartigen Kontrollen stattgefunden; nach der vom Gericht als glaubwürdig behandelten Aussagen der Zeugin D. (UA S. 15) hat es Kontrollen, ob Vorschriften eingehalten wurden, "wohl" nicht gegeben. Jedenfalls aus dem Umstand, dass es dem Angeklagten gelingen konnte, über mehrere Jahre hinweg, im Zeitraum von Mai 2015 bis Januar 2018, mindestens 26 Verwarnungsblöcke zu erhalten, ohne über diese jemals abrechnen zu müssen (UA S. 18), lässt sich aber ersehen, dass es auch insoweit an stringenten Kontrollen mangelte. Im Hinblick auf diese besonderen Gegebenheiten kommt dem Umstand, dass der Angeklagte aufgrund bestehender dienstlicher Verpflichtung nicht so handeln durfte wie geschehen, gegenüber seinen tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten im Rahmen des Tatbestands des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Es war ihm über Jahre möglich, ohne gleichzeitige Steuerung und Überwachung mit den Geldern nach eigenem Ermessen zu verfahren. Es fehlte in einem solchen Maße an dienstlichen Kontrollen bezüglich der Höhe und des Verbleibs der Verwarnungsgelder, dass er im Ergebnis das ihm anvertraute Fremdvermögen faktisch selbständig verwaltete und darauf nach seinem Belieben zuzugreifen konnte. Mit dessen Verwendung zu eigenen Zwecken hat er gleichzeitig dem staatlichen Vermögen Nachteil in der jeweiligen Höhe zugefügt, mithin den Treubruchtatbestand des § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB in objektiver Hinsicht verwirklicht. An einem entsprechenden Tatvorsatz besteht nach den Feststellungen ebenfalls kein Zweifel.

4. Eine Schuldspruchberichtigung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ist dem Senat nicht möglich, denn die festgestellten Tatsachen bieten keine ausreichende Grundlage für die Beurteilung, wie viele Einzeltaten der Angeklagte verwirklicht hat.

a) Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte im Tatzeitraum insgesamt 26 Barverwarnungsblöcke erhalten und verwendet, über die er nicht abgerechnet hat. Anders als die Anklageschrift, die die Anzahl der einzelnen Fälle vereinnahmter Verwarnungsgelder als nicht feststellbar bezeichnet hat, hat das Landgericht infolge ausführlicher und sorgfältiger Beweiswürdigung (UA S. 12 ff.) jedem Block eine konkrete Anzahl von einzelnen ausgestellten Verwarnungen und Vereinnahmung von entsprechenden Bargeldbeträgen zuordnen können, insgesamt 587 Fälle, ohne dass es jedoch für jeden Einzelfall den Tatzeitpunkt und die Höhe des Verwarnungsgeldes festgestellt hat.

Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht ausgeführt, dass der Angeklagte bezüglich der Einbehaltung von Geld "aufgrund eines jeweils neuen Tatentschlusses" pro nicht abgerechnetem Verwarnungsblock handelte (UA S. 7). Feststellungen dazu, wie er mit den in den festgestellten Einzelfällen vereinnahmten Verwarnungsgeldern objektiv umgegangen ist, und ob er subjektiv bereits zu diesen Zeitpunkten jeweils vorhatte, die Beträge für sich zu behalten, fehlen, obwohl sich eine Erörterung hierzu aufgedrängt hätte. Solche Feststellungen waren auch nicht aus der rechtlichen Sicht des Landgerichts, dass es sich um Unterschlagungen gemäß § 246 Abs. 2 StGB handelte, entbehrlich, denn die insoweit erforderliche nach außen erkennbare Manifestation des Zueignungswillens kann auch schon bei jedem einzelnen vereinnahmten Betrag vorgelegen haben, beispielsweise wenn der Angeklagte bereits die eingenommenen Teilbeträge für sich verbraucht hat.

b) Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann der Senat nicht abschließend beurteilen, wie viele Einzeltaten im materiell-rechtlichen Sinne gemäß §§ 52, 53 StGB vom Angeklagten verwirklicht wurden. Da nicht auszuschließen ist, dass insoweit noch weitere Feststellungen getroffen werden können, bedarf die Sache der Zurückverweisung nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO.

aa) Ob eine oder mehrere Taten vorliegen, bestimmt sich zunächst danach, ob nur ein Tatentschluss gegeben ist (s. nur Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, vor § 52 Rn. 1, 4 m.w.N.), auf den auch aus dem objektiven Geschehensablauf geschlossen werden kann. Das neue Tatgericht wird also, soweit möglich, aufzuklären haben, wie der Angeklagte mit den vereinnahmten Einzelsummen verfahren ist, ob er sie beispielsweise zunächst in die von den Feststellungen so bezeichnete "Herrentasche", ein von der Dienststelle ausgehändigtes größeres Portemonnaie (UA S. 12), eingelegt und separat vom eigenen Geld aufbewahrt und erst aufgrund eines später gefassten Tatentschlusses für eigene Zwecke verwendet hat, oder ob er sie jeweils unmittelbar dem Vermögen des Dienstherrn entzogen hat (vgl. VGH München, Urteil vom 25. September 2013, 16a D 12.1369, BeckRS 2013, 59062 Rn. 32: jeweils Verwendung für private Einkäufe). Sollte festgestellt werden können, dass der Angeklagte jeden oder einzelne der vereinnahmten Einzelbeträge jeweils für sich verbraucht hat, wird außerdem zu erwägen sein, ob im Einzelfall bei der Ausstellung mehrerer kostenpflichtiger Verwarnungen aufgrund eines etwaigen engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit und damit eine einheitliche Tat in Betracht kommt. Das ist dann der Fall, wenn zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1995, 5 StR 465/95, NJW 1996, 936, 937). Eine über diese Grundsätze noch hinausgehende Annahme einer einheitlichen Tatbegehung kommt nicht in Betracht, insbesondere nicht die Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit. Bei der Untreue handelt es sich um ein Erfolgs-, nicht um ein Dauerdelikt (Dierlamm/Becker in MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2022, StGB, § 266 Rn. 319).

bb) Lassen sich gesonderte Tatenschlüsse für alle oder für einzelne Einzelfälle feststellen, wird das neue Tatgericht auch die Höhe der jeweiligen Geldbeträge festzustellen und zu bedenken haben, dass die Anwendung jeweils des Strafrahmens eines besonders schweren Falls nach §§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 StGB im Falle geringwertiger Schäden nach §§ 266 Abs. 2, 243 Abs. 2 StGB auszuschließen ist.

5. Prozessuale Gründe stehen einem Schuldspruch wegen einer höheren Anzahl von Taten als vom Ausgangsgericht angenommen nicht entgegen.

a) Die Anklageschrift vom 14. Juli 2020 würdigt zwar das im Anklagesatz dargestellte Tatgeschehen als lediglich 26 Fälle der Untreue. Sie stellt dennoch eine noch ausreichende Verfahrensgrundlage für einen Schuldspruch auch wegen einer höheren Anzahl von Einzelfällen dar, soweit sich diese Einzelhandlungen als (selbständige) Teilakte der in der Anklageschrift aufgeführten Fälle darstellen.

aa) Eine strafrechtliche Verurteilung darf aus verfahrensrechtlichen Gründen nur wegen einer solchen Tat im prozessualen Sinne des § 264 StPO erfolgen, die in der Anklage bezeichnet ist, § 264 Abs. 1 StPO. Ob dies der Fall ist, ist als Verfahrensvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten. Gemäß § 200 Abs. 1 StPO hat die Anklageschrift die angeklagte Tat in einer Weise hinreichend zu umgrenzen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt wird, wozu regelmäßig Zeit und Ort der Tatbegehung, sowie bei Serientaten die Tatfrequenz und die (Höchst-)zahl der vorgeworfenen Straftaten zu nennen sind (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021, StB 39/21, NStZ-RR 2022, 75; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 200 Rn. 7 m.w.N.). Ob die in der Anklageschrift vorgenommene rechtliche Subsumtion der Tathandlung unter einen Straftatbestand rechtlich zutreffend ist, ist hingegen unerheblich.

bb) Diesen Anforderungen genügt die Anklageschrift auch im Hinblick auf Einzelfälle, die sich aus der Verwendung der in den gegenständlichen 26 Verwarnungsblöcken enthaltenen einzelnen Zahlungsaufforderungen ergeben können.

Die Anklage enthielt ursprünglich lediglich 29 Fälle der Untreue; hinsichtlich dreier Fälle wurde durch Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO von der weiteren Verfolgung abgesehen. Bei den verbliebenen 26 Fällen handelt es sich um die nicht abgerechneten Verwarnungsblöcke, auf die das Ausgangsurteil und das gegenständlich angegriffene Berufungsurteil den Schuldspruch stützen. Dennoch umgrenzt der Anklagesachverhalt den Verfahrensgegenstand gemäß § 200 Abs. 1 StPO noch hinreichend in der Weise, dass er auch einen Schuldspruch wegen solcher Einzeltaten erlaubt, die unter Verwendung der konkret nach Nummer und Ausgabezeitpunkt bezeichneten Verwarnungsblöcke begangenen wurden. Denn er stellt klar, dass jeder der Blöcke 25 Einzelverwarnungen bzw. dazugehörige Quittungen enthielt (Anklageschrift S. 2), und ergänzt, die genaue Anzahl der erteilten Barverwarnungen habe nicht festgestellt werden können (Anklageschrift S. 3). Damit sind alle Einzelakte, die sich aus der Verwendung der Blöcke ergeben konnten, noch hinreichend konkret und unverwechselbar als historische, der Kognition des Gerichts unterliegende Vorgänge umgrenzt.

cc) Das neue Tatgericht wird den Angeklagten, wenn es erwägt, einen Schuldspruch auf die Verwendung einzelner Barverwarnungen als Einzeltaten zu stützen, den Angeklagten hierauf gemäß § 265 Abs. 1 StPO hinzuweisen haben.

b) Einem Schuldspruch auf der Basis von zahlenmäßig mehr als 26 Fällen der Untreue gem. §§ 266 Abs. 1, 53 StGB steht auch nicht § 331 Abs. 1 StPO entgegen.

Zwar hatte die Staatsanwaltschaft ihre gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 23. September 2021 eingelegte Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und davon abgesehen, den auf Untreue in 26 tatmehrheitlichen Fällen lautenden Schuldspruch mit dem Ziel anzugreifen, eine Verurteilung wegen einer höheren Anzahl von Fällen herbeizuführen. Das Urteil des Amtsgerichts ist daher lediglich deshalb hinsichtlich seines Schuldspruchs nicht in Teilrechtskraft erwachsen, weil der Angeklagte seinerseits - unbeschränkt - Berufung eingelegt hatte. Das neue Tatgericht, das über die Berufungen neu zu verhandeln haben wird, wird daher lediglich infolge der unbeschränkt eingelegten Berufung des Angeklagten den Schuldspruch zu dessen Nachteil ändern können. Das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, denn es verbietet lediglich eine Verschlechterung in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat. § 331 StPO verbietet namentlich nicht die Annahme von Tatmehrheit statt von Tateinheit (Paul in KK-StPO, 8. Aufl. 2019, Rn. 2a), so dass insbesondere auch eine höhere Anzahl selbständiger Taten als Teilakte der von dem Ausgangsgericht zu einer einheitlichen Tat zusammengefassten "Blöcke" wird erfolgen dürfen.

III.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hin war daher das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen, §§ 349 Abs. 5, 353 StPO, aufzuheben. Die Sache war zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Für das weitere Verfahren weist der Senat, betreffend die Strafzumessung für den Fall eines Schuldspruchs auch wegen der Vereinnahmung von Einzelbeträgen, noch auf Folgendes hin:

1. Zwar erlaubt die gegen den Rechtsfolgenausspruch gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft grundsätzlich eine Erhöhung der vom Amtsgericht festgesetzten Strafe. Das Berufungsgericht wird jedoch zu bedenken haben, dass, wie ausgeführt, eine etwaige Verschärfung des Schuldspruchs in Form einer Erhöhung der Anzahl der Einzeltaten lediglich infolge der unbeschränkt eingelegten Berufung des Angeklagten prozessual möglich ist. Daraus folgt unter dem Gesichtspunkt des Verschlechterungsverbots, dass sich diese, allein aufgrund der Berufung des Angeklagten zulässige, für ihn nachteilige Änderung des Schuldspruchs für sich gesehen nicht straferhöhend wird auswirken dürfen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 29. Juni 2000, 4 StRR 76/2000, NStZ-RR 2000, 379; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 331 Rn. 9).

2. Das neue Tatgericht wird, wie bereits ausgeführt, für jeden Einzelfall zu prüfen haben, ob, vorbehaltlich der weiteren Voraussetzungen, eine etwaig geringe Schadenssumme gemäß §§ 266 Abs. 2, 243 Abs. 2 StGB der Anwendung des Strafrahmens des besonders schweren Falls gemäß §§ 266 Abs. 2, 263 Abs. 3 StGB entgegensteht, den das Ausgangsgericht - in sich folgerichtig - für die einzelnen Taten deshalb angewendet hat, weil es jeweils die addierten Beträge aus der Verwendung eines ganzen Blocks als Schaden zugrunde gelegt hat.


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