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Entscheidungen

StPO

Aufhebung, Bestellung, weiterer Pflichtverteidiger, Verfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 01.09.2022 – 4 Ws 268/22

Leitsatz des Gerichts: 1. Vor der Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nach § 144 Abs. 2 StPO ist dem Beschuldigten nach § 144 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO Gelegenheit zu geben, innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist den Pflichtverteidiger zu bezeichnen, dessen Beiordnung aufgehoben werden soll.
2. Macht der Beschuldigte von der Möglichkeit des § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO Gebrauch, kann nur der von ihm bezeichnete Verteidiger nach § 144 Abs. 2 StPO entpflichtet werden. Etwas anderes gilt beim Vorliegen eines wichtigen Grundes.


In pp.

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten K. wird der Beschluss des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer II des Landgerichts Saarbrücken vom 09. August 2022
aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

1. Die Wirtschaftsstrafkammer II des Landgerichts Saarbrücken führt gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen vorsätzlichen gemeinschaftlichen unerlaubten Handeltreibens mit Dopingmitteln in über 1.000 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Inverkehrbringen von bedenklichen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift vom 21. April 2022 (Bl. 1560 ff. d. A.) und das darin niedergelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen, den Beschluss der Wirtschaftsstrafkammer II über die Teileinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO vom 12. Mai 2022 (Bl. 1705 ff. d. A.) sowie die Ausführungen im Eröffnungsbeschluss der Kammer vom 12. Mai 2022 (Bl. 1770 ff. d. A.) Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 13. Juli 2022 bestellte der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer II Rechtsanwalt M. zusätzlich zu dem bereits bestellten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S. als weiteren Pflichtverteidiger, da dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens erforderlich sei, nachdem der bisherige Pflichtverteidiger mitgeteilt hatte, an zwei der anberaumten Hauptbehandlungstermine verhindert zu sein.

Nach Durchführung mehrerer Hauptverhandlungstermine teilte der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft, den beiden Pflichtverteidigern (per besonderem elektronischen Anwaltspostfach) und dem inhaftierten Angeklagten (formlos) mit Verfügung vom 05. August 2022 mit, dass das Gericht beabsichtige, die Bestellung von Rechtsanwalt M. als zusätzlichem Verteidiger gemäß § 144 Abs. 2 StPO aufzuheben und räumte eine Frist zur Stellungnahme bis zum 08. August 2022, 12 Uhr ein.

Nachdem beide Pflichtverteidiger jeweils mit am 08. August 2022 eingegangenem Schriftsatz Stellung genommen und sich gegen die Entpflichtung ausgesprochen hatten, hob der Vorsitzende die Bestellung von Rechtsanwalt M. als zusätzlichem Pflichtverteidiger mit Beschluss vom 09. August 2022 gemäß § 144 Abs. 2 StPO auf. In dem Beschluss wird insbesondere ausgeführt, dass bei Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers der zuletzt bestellte Rechtsanwalt zu entpflichten sei. Dies ergebe sich neben dem Umstand, dass rechtlich lediglich die Anwesenheit eines Verteidigers in der Hauptverhandlung erforderlich sei, auch aus der Vorschrift des § 144 Abs. 2 S. 1 StPO. Insoweit wird ausgeführt: „Nach dessen Wortlaut ist die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers aufzuheben, sobald seine Mitwirkung (...) nicht mehr erforderlich ist.“

Die Stellungnahme des Angeklagten vom 08. August 2022 ging am 09. August 2022 – laut Vermerk des Vorsitzenden vom 12. August 2022 erst nach der Entscheidung über die Aufhebung der Bestellung – bei Gericht ein. In der Stellungnahme machte der Angeklagte geltend, dass er von Rechtsanwalt M. erfahren habe, dass dieser entpflichtet werden solle, das Anhörungsschreiben des Gerichts sei ihm selbst erst am Abend des 08. August 2022 zugegangen. Er widersprach der Entpflichtung und begründete dies im Wesentlichen damit, dass Rechtsanwalt S. im Gegensatz zu Rechtsanwalt M. nicht an allen Verhandlungstagen anwesend gewesen sei und dass zwischen ihm und Rechtsanwalt M. ein starkes Vertrauensverhältnis bestünde. Es sei ihm völlig unverständlich, warum er seinen Pflichtverteidiger nicht aussuchen könne. Wenn das Gericht einen der beiden Pflichtverteidiger entpflichten wolle, bitte er um Entpflichtung von Rechtsanwalt S..

2. Gegen den dem Angeklagten am 10. August 2022 zugestellten Beschluss legte Rechtsanwalt M. namens und im Auftrag des Angeklagten am 11. August 2022 sofortige Beschwerde ein, mit der er sich gegen die Aufhebung der Beiordnung wendet. In der Begründung der Beschwerde wird insbesondere geltend gemacht, dass der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer II die Vorschriften der §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 StPO nicht beachtet und dem Angeklagten nicht die gesetzlich vorgeschriebene Gelegenheit gegeben habe, den Verteidiger zu bezeichnen, von dem er weiter verteidigt werden wolle.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit Zuschrift vom 24. August 2022, die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen. Hinsichtlich der Anwendung des § 144 Abs. 2 Satz 2 StPO führt sie aus, dass sich aus der Vorschrift angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht die Pflicht herleiten ließe, vor der Aufhebung der zusätzlichen Pflichtverteidigerbestellung den Angeklagten dazu anzuhören, welcher Verteidiger ihn weiter vertreten soll. Die entsprechende Verweisung begründe lediglich das Erfordernis, dem Angeklagten vor der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Wegen Erkrankung beziehungsweise anderweitiger Verhinderung der Schöffen wurde die Hauptverhandlung zwischenzeitlich ausgesetzt. Sie soll am 05. September 2022 und an sechs weiteren Terminen, die mit beiden Pflichtverteidigern abgesprochen sind, fortgesetzt werden.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Vorsitzenden.

Gemäß § 144 Abs. 2 S. 1 StPO ist die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers aufzuheben, sobald seine Mitwirkung zur zügigen Durchführung des Verfahrens nicht mehr erforderlich ist. Gemäß § 144 Abs. 2 S. 2 StPO gilt § 142 Abs. 5 bis 7 S.1 StPO entsprechend.

Nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO ist dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. Nach Abs. 5 S. 3 ist der von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichnete Verteidiger zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht, wobei ein wichtiger Grund auch vorliegt, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

Im Fall der Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers nach § 144 Abs. 2 S. 1 StPO kann dies bei entsprechender Anwendung des § 142 Abs. 5 StPO nur bedeuten, dass der Beschuldigte im Hinblick darauf anzuhören ist, welcher der Pflichtverteidiger ihn fortan verteidigen soll, und dass der durch den Beschuldigten bezeichnete Verteidiger gerade nicht entpflichtet werden kann, sofern kein wichtiger Grund dies ausnahmeweise gebietet.

Nach Auffassung des Senats gilt die Verweisungsregelung wegen ihrer eindeutigen systematischen Stellung - jedenfalls auch - für die Fälle des Absatzes 2. Etwas anderes folgt weder aus den Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 19/13829, 49 f.) noch aus der durch die Generalstaatsanwaltschaft zitierten Kommentierung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 144 Rn. 10), da beide Quellen sich zu der Frage der in Absatz 2 geregelten Aufhebung der Bestellung nicht verhalten. Soweit der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer II ausweislich der Beschlussbegründung aus dem Wortlaut des § 144 Abs. 2 S. 1 StPO schlussfolgert, dass der zuletzt bestellte Pflichtverteidiger zu entpflichten ist, steht dies im Widerspruch zu der Regelung der §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 StPO, die dem Angeklagten ein Bezeichnungsrecht einräumt. Auch in der Sache ist kein Grund ersichtlich, weshalb zwingend der zuletzt bestellte Pflichtverteidiger entpflichtet werden muss, wenn das besondere Bedürfnis für die Mitwirkung eines weiteren Verteidigers zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens nachträglich weggefallen ist, insbesondere ist die Aufgabe eines zweiten Pflichtverteidigers nicht allein auf die Verfahrenssicherung beschränkt. Vielmehr muss er in gleicher Weise die sachgerechte Verteidigung des Angeklagten gewährleisten, wie der zuerst bestellte Pflichtverteidiger (OLG Hamm, NStZ 2011, 235, m. w. N.).

Die Entscheidung des Vorsitzenden entspricht daher nicht den Vorgaben der §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 und S. 3 StPO hinsichtlich des vor der Entscheidung einzuhaltenden Verfahrens. Zwar hat der Vorsitzende veranlasst, dass sich der Angeklagte zur beabsichtigten Entpflichtung von Rechtsanwalt M. äußern kann, faktisch hatte der Angeklagte jedoch keine Möglichkeit hierzu, da ihn das Schreiben des Gerichts erst am Abend des 08. August 2022 - also nach Fristablauf - erreicht hatte und seine Stellungahme dem Vorsitzenden nicht im Zeitpunkt der Entscheidung über die Entpflichtung vorlag. Darüber hinaus wurde dem Angeklagten auch nicht die Gelegenheit gegeben, von seinem Bezeichnungsrecht nach §§ 144 Abs. 2 S. 2, 142 Abs. 5 S. 1 StPO Gebrauch zu machen und den Pflichtverteidiger zu benennen, von dem er weiterhin verteidigt werden möchte. Anders als nach früherer Rechtslage hat die Anhörung zur Bezeichnung des Verteidigers grundsätzlich zwingend zu erfolgen (Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., § 142 Rn. 32; BeckOK-StPO, 44. Edition, Stand: 01. Juli 2022, § 142 Rn. 17).

Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Soweit im Hinblick auf die nachträglich eingegangene Stellungnahme des Angeklagten auch eine Entpflichtung von Rechtsanwalt S. in Betracht kommen mag, ist eine Entscheidung des Senats nicht veranlasst, da dies nicht Gegenstand der Beschwerde des Angeklagten ist.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 467 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 473 Rn. 2, § 181 GVG Rn. 7, jeweils m.w.N.);


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