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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Schwierigkeit der Rechtslage, Verstoß gegen die Maskenpflicht

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Rottweil, Beschl. v. 22.08.2022 – 3 Qs 36/22

Leitsatz des Gerichts: Der einem Betroffene zur Last gelegte Verstoß gegen die Maskenpflicht (CoronaVO) führt nicht zur Erforderlichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen Schwierigkeit der Rechtslage.


In pp.

1. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freudenstadt vom 4. April 2022 (Az. 7 OWi 27 Js 14827/21) wird als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 17. August 2021 setzte die Stadt F. gegen den Beschwerdeführer eine Geldbuße in Höhe von 100 € fest. Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, am 27. Januar 2021 zwischen 19:37 Uhr und 19:39 Uhr in der Wartehalle des Stadtbahnhofes in F. (es folgt die Adresse) entgegen der CoronaVO vorsätzlich weder eine nicht-medizinische Alltagsmaske noch eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung getragen zu haben. Dem Beschwerdeführer wurden zudem die Kosten des Verfahrens (Gebühr: 25 € und Auslagen: 3,50 €) auferlegt.

Gegen diesen Bußgeldbescheid, der dem Beschwerdeführer am 20. August 2021 zugestellt wurde, legte dessen Verteidigerin, Rechtsanwältin A., am 30. August 2021 Einspruch ein.
Randnummer3

Nachdem die Verwaltungsbehörde den Bußgeldbescheid aufrechterhalten hatte, übersendete diese die Akten über die Staatsanwaltschaft Rottweil an das Amtsgericht Freudenstadt.

Mit Schriftsatz seines nunmehr für ihn tätigen Verteidigers, Rechtsanwalt S., vom 9. März 2022 beantragte der Beschwerdeführer wegen der Schwierigkeit der Rechtslage die Beiordnung von Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Regelungen der CoronaVO seien neu, die Rechtslage ungeklärt und die gerichtlichen Entscheidungen würden divergieren.

Nachdem die Staatsanwaltschaft Rottweil am 31. März 2022 einer Pflichtverteidigerbestellung entgegengetreten war, lehnte das Amtsgericht Freudenstadt mit Beschluss vom 4. April 2022, dem Beschwerdeführer am 7. April 2022 zugestellt, die Beiordnung von Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger ab. Zur Begründung führte das Amtsgericht insbesondere aus, es seien keine besonderen Spezialkenntnisse zur Verteidigung vonnöten.

Hiergegen wendete sich der Beschwerdeführer mit der sofortigen Beschwerde vom 8. April 2022. Der Beschwerdeschriftsatz von Rechtsanwalt S. ist am 8. April 2022 beim Amtsgericht Freudenstadt eingegangen.

II.

Die statthafte (§ 142 Abs. 7 StPO) und auch ansonsten zulässige (§§ 306, 311 StPO) sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, da kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Die Mitwirkung eines Verteidigers ist nicht wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten, § 140 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG.

Die Sachlage ist im vorliegenden Fall einfach gelagert. Dem Beschwerdeführer wird ein überschaubarer Sachverhalt vorgeworfen, nämlich in der Wartehalle Stadtbahnhof in F. weder eine nicht-medizinische Alltagsmaske noch eine vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung getragen zu haben. Auch die Beweislage ist nicht komplex: Als Beweismittel ist im Bußgeldbescheid ein Polizeibeamter als Zeuge aufgeführt.

Die Frage der Schwierigkeit der Rechtslage ist sowohl unter objektiven wie subjektiven, die Befähigung und den Kenntnisstand des jeweiligen Betroffenen einbeziehenden, Kriterien zu bestimmen (Krenberger/Krumm, 7. Auflage 2022, OWiG § 46 Rn. 50). Maßgeblich ist insoweit nicht der Umfang der gewechselten Schriftsätze, sondern deren Gegenstand, mithin die zugrundeliegende Rechtsfrage (vgl. OLG Saarbrücken, NJW 2007, 309, beck-online). Um den Schwierigkeitsgrad zu beurteilen, ist eine Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage vorzunehmen (OLG Stuttgart, BeckRS 2010, 23632, beck-online; KG, NJW 2008, 3449, beck-online). Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ordnungswidrigkeitenrecht bildet die Ausnahme (Krenberger/Krumm, 7. Auflage 2022, OWiG § 46 Rn. 40).

Die Rechtslage ist etwa dann schwierig, wenn es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen ankommt, wenn die Subsumtion voraussichtlich aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten bereiten wird, oder wenn es auf die Auslegung von Begriffen aus dem Nebenordnungswidrigkeitenrecht ankommt (vgl. OLG Stuttgart Beschluss v. 24.2.2010 – 5 Ws 37/10, BeckRS 2010, 23632, beck-online).

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

1. Nicht ausgetragene Rechtsfragen sind nicht bereits dann gegeben, wenn sich widersprechende gerichtliche Entscheidungen zu einer Rechtsfrage existieren. Allein dies bedingt ebenso wenig die Notwendigkeit einer Verteidigerbestellung wie die bloße Rechtsunkundigkeit des Betroffenen (KK-OWiG/Kurz, 5. Aufl. 2018, OWiG § 60 Rn. 32 m. w. N.). Denn anderenfalls wäre die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Ordnungswidrigkeitenrecht die Regel, da es zu einer nicht zu überblickenden Vielzahl von Rechtsfragen unterschiedliche Rechtsauffassungen und dementsprechend unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen gibt. Eine schwierige Rechtslage kann vorliegen, wenn eine streitige Rechtsfrage obergerichtlich noch nicht entschieden ist (BeckOK OWiG/ Euler, 35. Ed. 01.07.2022, OWiG § 60, Rn. 20).

Die vom Beschwerdeführer ins Feld geführten Entscheidungen beziehen sich nahezu ausschließlich auf Verordnungen in anderen Bundesländern oder regionale Allgemeinverfügungen mit anderem Regelungsinhalt. Soweit sich der Beschwerdeführer auf das Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 29.01.2021, Az.: 7 OWi 170 Js 112950/20, beruft, ist dies ersichtlich eine Einzelstimme in der vorliegenden Rechtsprechung. Umgekehrt gehen die bislang in Baden-Württemberg getroffenen obergerichtlichen Entscheidungen ausnahmslos von der Verfassungsmäßigkeit und Gültigkeit der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg - in der jeweils der Entscheidung zugrunde liegenden Fassung - aus (vgl. VGH Baden-Württemberg, 1 S 381/21, Beschluss vom 25.02.2021 betreffend die Corona-Verordnung vom 30.11.2020 in der ab dem 22.02.2021 gültigen Fassung, bei JURIS; OLG Karlsruhe, 2 Rb 34 Ss 198/21, Beschluss vom 27.04.2021 betreffend die Corona-Verordnung vom 17.03.2020 in der vom 29.03.2020 bis 09.04.2020 geltenden Fassung, bei JURIS). Das OLG Karlsruhe tritt zudem in einem Beschluss vom 27.04.2022 (Az.: 2 Rb 34 Ss 198/21) der vom Amtsgericht Ludwigsburg vertretenen Auffassung, die Normen des Infektionsschutzgesetzes stellten keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die weitreichenden Eingriffe des § 3 der Corona-Verordnung von Baden-Württemberg dar, weshalb dieser verfassungswidrig sei, ausdrücklich entgegen. Anhaltspunkte, dass die Rechtmäßigkeit der zur Tatzeit geltenden Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg im Gesamten oder hinsichtlich einzelner Bestimmungen künftig anders beurteilt werden wird, sind nicht gegeben. Auch der Bundesgerichtshof, der bislang lediglich zur Corona-Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30.11.2020 in der ab dem 16.12.2020 gültigen Fassung Stellung nahm, hat die in dieser Verordnung geregelte und für die Entscheidung relevante Maskenpflicht als verfassungskonform angesehen (BGH, 3 ZB 4 /21, Beschluss vom 08.02.2022, bei JURIS).

2. Die Subsumtion im Einzelfall ist etwa dann schwierig, wenn das Bußgeldrecht mit komplizierten Verweisungstechniken arbeitet oder es um die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe geht. Im Einzelfall können auch (entscheidungsrelevante) prozessuale Rechtsfragen, insbesondere Fragen (möglicherweise) rechtswidriger Beweiserhebungen und Beweisverwertungsverbote, die Beiordnung eines Verteidigers gebieten (Gassner/Seith, Ordnungswidrigkeitengesetz, OWiG § 60 Rn. 19, beck-online).

Auch dies ist vorliegend nicht gegeben. § 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 7 CoronaVO vom 30. November 2020 in der ab 25. Januar 2021 gültigen Fassung regeln dass eine nicht-medzinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nassen-Bedeckung in Bahnhofsgebäuden und in geschlossenen Räumen, die für die Öffentlichkeit oder für den Publikumsverkehr bestimmt sind, getragen werden muss. Diese Bestimmung ist klar, allgemein verständlich und hinreichend bestimmt. § 19 Nr. 10 CoronaVO bestimmt eindeutig, dass ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nummer 24 IfSG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 3 Abs. 1 keine Mund-Nasen-Bedeckung trägt. Auch insoweit bereitet die Subsumtion keinerlei Schwierigkeiten. Es handelt sich um eine im Ordnungswidrigkeitenrecht übliche und verständliche Verweisungstechnik.

Schließlich gab es zum Zeitpunkt des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verstoßes breite Informationskampagnen darüber, wann und wo welche Maskenpflichten bestehen. Dies war sozusagen in aller Munde und der Durchschnittsbevölkerung bekannt. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer zu dem entsprechenden Verständnis der allgemein bekannten Regelungen nicht in der Lage wäre, bestehen nicht.

3. Bei Fallgestaltungen, die das Nebenordnungswidrigkeitenrecht betreffen, ist eine schwierige Rechtslage anzunehmen, wenn Ordnungswidrigkeiten den Verstoß gegen spezielle Vorschriften sanktionieren sollen, deren Anwendung die Angelegenheiten der Durchschnittsbevölkerung nicht berühren, wenn es sich also um „abgelegene Gebiete“ des Ordnungswidrigkeitenrechts handelt, deren Beherrschung Spezialkenntnisse erfordert (Poller/Härtl/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, OWiG § 60 Rn. 16, beck-online).

Vorliegend handelt es sich, worauf bereits das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat, um eine Bußgeldvorschrift und eine Problematik des Gefahrenabwehrrechts. Entscheidungserheblich ist die Frage, ob der Beschwerdeführer gegen das allgemeinverständliche Gebot, eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder vergleichbare Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, verstoßen hat. Eine schwierige Rechtslage ist damit bei der gebotenen Gesamtwürdigung der Sach- und Rechtslage nicht verbunden. Die Prüfung von Bußgeldvorschriften im Gefahrenabwehrrecht auf ihre Verfassungsmäßigkeit ist, wie bei allen übrigen Normen auch, stets Aufgabe des entscheidenden Gerichts. Besondere Kenntnisse des Beschwerdeführers im Verfassungsrecht sind für eine adäquate Verteidigung jedoch nicht erforderlich.

4. Andere Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers des § 140 StPO i.V.m. § 46 OWiG sind vom Beschwerdeführer weder dargetan noch ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG.


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