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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Kraftfahrzeugrennen, Begriff des Rennens, höchstmögliche Geschwindigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 21.12.2020 - 502 Qs 102/20

Leitsatz: Als Rennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB sind Wettbewerbe zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit mindestens zwei teilnehmenden Kraftfahrzeugen zu verstehen. Das Fahren im Konvoi muss dem Renncharakter zwar nicht widersprechen, erforderlich sind jedoch objektive Indizien zur Feststellung eines wettbewerbsmäßigen Verhaltens der Beteiligten.


Landgericht Berlin

Beschluss

502 Qs 102/20

wegen verbotener Kraftfahrzeugrennen

hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Berlin am 21. Dezember 2020 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 15. September 2020 — (344 Gs) 3031 Js 9723/20 (62/20) —aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

Dem Beschuldigten wird von der Amtsanwaltschaft Berlin vorgeworfen, mit dem von ihm ge-führten Fahrzeug Fahrzeug Audi A3 Sportback, pp., am 01. September 2020 gegen 21:50 Uhr vom Bereich der Kreuzung Rhinstr./Landsberger Allee in 12681 Berlin über den Kreuzungsbe-reichRhinstraße/Pyramidenring bis hin zum Kreuzungsbereich Rheinstraße/Rheinstraße ge-fahren zu sein. Dabei soll er vorausgefahren und der Mitbeschuldigte soll ihm mit dessen Fahr-zeug VW Tiguan, gefolgt sein. Im Bereich der Kreuzung Rhinstraße/Pyramidenring sei es zu einem Fahrstreifenwechsel beider Fahrzeuge gekommen, wobei ein vorausfahrendes Fahrzeug rechts ohne vorheriges Setzen von Fahrtrichtungsanzeigern überholt worden und eine derart hohe Geschwindigkeit erreicht worden sei, dass das verfolgende Polizeifahrzeug mit einer Ge-schwindigkeit von 110 km/h den Abstand nur gering habe verringern können. Die gefahrene Gesamt-strecke habe ca. 770-800 m betragen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem befahrenen Abschnitt der Rhinstraße beträgt 60 km/h (https://daten.berlin.de/datensaetze/tempolimits-wms-2). Die Beschuldigten hätten schließlich im Bereich der Kreuzung Rhinstraße/Rhinstraße aufgrund der rot abstrahlenden Lichtzeichen-anlage scharf bremsen müssen und seien zum Stillstand gekommen.

Nach Ansicht der Amtsanwaltschaft stelle dies ein Vergehen nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB dar. Auch nach Ansicht des Amtsgerichts Tiergarten bestünden aufgrund dieses Sachverhalts dringende Gründe dafür, dass die Voraussetzungen von § 111a Abs. 1 StPO i.V.m. § 69 Abs. 1 StGB vorliegen. Beiden Beschuldigten wurden deren Erlaubnisse zum Führen von Kraftfahr-zeugen vorläufig mit Beschlüssen des Amtsgerichts vom 15. September 2020 entzogen.
Gegen den ihn betreffenden Beschluss wendet sich der Beschuldigte mit seiner
Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen des § 111a Abs. 1 StPO sind nicht gegeben. Es bestehen keine dringen-den Gründe dafür, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. la StGB entzogen wer-den wird. Aufgrund des gegenwärtigen Ermittlungsergebnisses besteht kein Verdacht einer Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 oder 3 StGB, so dass die Voraussetzun-gen des § 69 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. la StGB nach gegenwärtiger Prognose nicht erfüllt sind. Dringende Gründe für andere Straftaten — etwa § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) und d) StGB — sind mangels konkreter Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdungssituation nicht ersichtlich; die naheliegende Erfüllung von Tatbeständen des Ordnungswidrigkeitenrechts stellen keine rechts-widrige Tat (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) im Sinne von § 69 StGB dar und genügen folglich nicht für die Entziehung der Fahrerlaubnis.

1. Ein dringender Verdacht für eine Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB kommt nach An-sicht der Kammer bei vorläufiger Bewertung der Aktenlage nicht in Betracht, da das Verhalten des Beschuldigten nicht als Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen zu qualifizie-ren ist. Denn als Rennen im Sinne der Norm sind Wettbewerbe zur Erzielung von Höchstge-schwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit mindestens zwei teilneh-menden Kraftfahrzeugen zu verstehen (vgl. m.w.Nw. BeckOK StGB/Kulhanek, 48. Ed. 01 No-vember 2020, § 315d, Rn. 11, MüKoStGB/Peget, 3. Aufl. 2019, § 315d, Rn. 7). Das Fahren im Konvoi muss dem Renncharakter zwar nicht widersprechen (BT-Drs.18/12964, S. 5), jedoch fehlt es hier an objektiven Indizien zur Feststellung eines wettbewerbsmäßigen Verhaltens des Beschuldigten. Zwar kann auch ein konkludentes Übereinkommen zur Durchführung eines wettbewerbsmäßigen Rennens ausreichen. Hier-für finden sich jedoch nach gegenwärtigem Ermittlungsstand keine objektiven Indizien (etwa das Ver-wenden von renntypischen Begrifflich-keiten, der Festlegung gemeinsamer Start-, Etappen- und Zielorte, das Nehmen der Zeit oder die Vorgabe konkreter Fahrtstrecken). Hier stellt sich der Sachverhalt lediglich als übereinstim-mendes - für den Innenstadtbereich mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 60 km/h deut-lich zu schnelles - Hintereinanderfahren unter Missachtung der Geschwindigkeitsbegrenzung und der Regeln zum Überholen dar, ohne dass es äußere Anhaltspunkte für einen zwischen den Fahrzeugen ausgetragenen Wettbewerb gibt.

2. Auch liegen nicht genügend tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vor. Danach macht sich strafbar, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugfüh-rer mit nicht an-gepasster Geschwindigkeit grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese Tatvariante soll nach dem ge-setzgeberischen Willen primär Einzel-raser erfassen (BT-Drs.18/12964, S. 5), die für sich oder ein virtuelles Publikum ein Rennen nachstellen. Die Norm ist über die Erfassung des Einzelra-sers hinaus von ihrem Wortlaut auch geeignet, als Auffangtatbestand für Fälle herzuhalten, in denen eine Subsumtion unter den Rennbegriff mangels Nachweises der wechselseitigen Über-einkunft nicht gelingt (s. BeckOK StGB/Kulhanek, 48. Ed. 01. November 2020, § 315d, Rn. 32), die jedoch aufgrund ihrer abstrakten Gefährlichkeit strafwürdig erscheinen. Diese Tatvariante ist auch nicht aufgrund mangelnder. Bestimmtheit oder aufgrund der Verschleifung mit den an-deren Tatbestandsvarianten verfassungswidrig, muss jedoch restriktiv ausgelegt werden (vgl. KG Be-schluss vom 20. Dezember 2019 - (3) 161 Ss 134/19 (75/19), BeckRS 2019, 35362; sich anschließend OLG Köln, Beschluss vom 5. Mai 2020 -111-1 RVs 45/20, NStZ-RR 2020, 224 ff.).

a) In objektiver Hinsicht hat der Beschuldigte sein Kraftfahrzeug in nicht angepasster Ge-schwindigkeit im Straßenverkehr fortbewegt, da er den Audi A3 Sportback im öffentlichen Stra-ßenland mit einer teils deutlich überhöhten Maximalgeschwindigkeit - die zeitweise zumindest nicht deutlich unter 110 km/h lag, wo-bei der Beschuldigte einräumte, jedenfalls zu schnell ge-fahren zu sein - geführt hat. Diese erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung im innerstädti-schen Bereich stellt eine nicht an die konkrete Verkehrssituation angepasste Geschwindigkeit dar, da sie deutlich über der im befahrenen Straßenabschnitt zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h liegt, die Fahrt bei nächtlichen Lichtverhältnissen erfolgte und ein vorschriftswidri-ger Überholvorgang eines unbeteiligten Fahrzeugs in einem Kreuzungsbereich statt-fand, so dass davon auszugehen ist, dass vom Beschuldigten sein Fahrzeug in der konkreten Situation (Überholmanöver im Kreuzungsbereich) nicht mehr sicher beherrscht werden konnte.

b) Der Bewertung des Verhaltens des Beschuldigten als grob verkehrswidrig begegnen keine Zweifel. Anhand der Beschreibung des Geschehens durch den Zeugen PM pp. ist hinreichend sicher anzunehmend, dass es im Kreuzungsbereich Rhinstraße/Pyramidenring zu dem Über-holvorgang von rechts ohne Verwendung des Fahrtrichtungsanzeigers gekommen ist und dass nur kurz nach dem Kreuzungs-bereich der Einsatzwagen der Polizeikräfte ca. 110 km/h schnell fahren musste, wodurch der Abstand zu dem Fahrzeug des Beschuldigten nur gering reduziert wurde. Es ist demnach gegenwärtig davon auszugehen, dass der Beschuldigte mit einer deut-lich überhöhten Geschwindigkeit, die jedenfalls nicht deutlich unter 110 km/h gelegen hat, das Überholmanöver ausgeführt und den Kreuzungsbereich passiert hat. Dies lässt die Wertung zu, dass der Beschuldigte einen erheblichen Geschwindigkeitsverstoß in einem Kreuzungsbereich begangen hat, der — was die Einordnung eines solchen Verstoßes in § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB indiziert — einen besonders schweren und typischerweise besonders gefährlichen Ver-stoß gegen eine Verkehrsvorschrift darstellt. Das falsche Überholen unter Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO stellt zudem einen Verstoß des Katalogs des § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) StGB dar, was ebenso ein gewichtiges Indiz für die Bestimmung eines schwerwiegenden Verkehrsversto-ßes darstellt (vgl. BeckOK StGB/Kulhanek, 48. Ed. 01. November 2020, § 315d, Rn. 36).

c) Der Beschuldigte handelte zudem rücksichtslos. Rücksichtslos handelt, wer sich im Bewusst-sein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten als Fahrzeugführer besinnt und unbekümmert um die Folgen seines Ver-haltens fährt. Das Verhalten des Beschuldigten ist unter diesen Prämis-sen als rücksichtslos zu bewerten, da er gegenüber den Polizeibeamten PM pp., POK pp. und PK pp. angegeben haben soll, dass er zu schnell gefahren ist. Sein zur Schau gestellter Eigen-nutz, der im schnelleren Vorankommen unter Missachtung der Gefährlichkeit des zu schnellen Fahrens und der Regeln des Überholens zu sehen ist, sprechen dafür, dass der Beschuldigte rücksichtslos handelte und nicht nur aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit die Verkehrs-regeln missachtete (vgl. zu diesem Maßstab KG Beschluss vom 20. Dezember 2019 (3) 161 Ss 134/19 (75/19), BeckRS 2019, 35362 Rn. 22).

d) Es liegen jedoch keine dringlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschuldigte in der Ab-sicht handelte, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Mit dieser hohen subjektiven Anforderung, der nur ein dolus directus ersten Grades genügt, soll der Renncharakter des Ver-haltens auch bei § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB tatbestandlich verankert werden, womit auch an die mit einem solchen Verhalten verbundene erhöhte abstrakte Gefährlichkeit angeknüpft wird. Das subjektive Merkmal der Absicht des Er-reichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit dient der Abgrenzung von bußgeldbewehrten Geschwindigkeitsverstößen einerseits und dem Nach-stellen eines Rennens andererseits (vgl. BT-Drs. 18/12964, S. 6; KG Beschl. v. 20.12.2019 — (3) 161 Ss 134/19 (75/19), BeckRS 2019, 35362 Rn. 9, beck-online). Das erstrebte Erzielen der höchstmöglichen Geschwindigkeit umfasst die fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit, das subjektive Geschwindigkeitsempfinden, die Verkehrslage und die Witterungsbedingungen (BT-Drs. 18/12964, S. 5).

Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist über das subjektive Vorstellungsbild des Be-schuldigten nur bekannt, dass er wusste, dass er zu schnell gefahren ist. Dass er die maximale fahrzeugspezifische Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit erreichen wollte, ist damit nicht belegt und ist angesichts der technischen Möglichkeiten eines Audi A3 Sportback auch durch die tatsächlich erzielte Geschwindigkeit von unter 110 km/h nicht indiziert. Dass der Beschuldig-te durch die Verkehrslage, die Witterungsbedingungen oder andere Umstände an dem Erzielen einer Höchstgeschwindigkeit an der äußeren Manifestation einer solchen Absicht gehindert worden wäre, ist bisher nicht ermittelt worden und angesichts der Fahrtstrecke von 770-800 m — in der auch eine Beschleunigung auf eine deutliche höhere Geschwindigkeit bei entspre-chender Absicht möglich erscheint — nicht wahrscheinlich. Auch die sonstigen objektiven Um-stände lassen keinen ausreichend sicheren Schluss auf eine solche Absicht zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


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