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Entscheidungen

StPO

Zustellung, Strafbefehl, Ausländer, Übersetzung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Göttingen, Beschl. v. 25.10.2021 - 2 Qs 70/21

Leitsatz: Bei einem nicht der deutschen Sprache mächtigen Beschuldigten bedarf es zwingend der Übersendung einer Übersetzung des Strafbefehls um die Einspruchsfrist in Gang zu.


2 Qs 70/21

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäbungsmitteln

hat die 2. große Strafkammer unterzeichnenden Richter am 25. Oktober 2021 beschlossen

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 13. Juli 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung über den Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl vom 08. Juni 2021 an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:

I.

Anlässlich der Ermittlungen zu einem Sexualdelikt kontrollierten und durchsuchten Polizeibeamte der Polizeiinspektion Göttingen den Angeklagten am 16. Mai 2021 gegen 20:50 Uhr. Der Angeklagte war deutlich alkoholisiert. Er wies einen Atemalkoholgehalt von 2,16 0/00 auf und machte zudem den Eindruck, unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln zu stehen. Die Kommunikation mit ihm erfolgte zunächst auf Deutsch, sodann auf Englisch. Die eingesetzten Beamten fanden an seiner Person 7 Klemmbeutel mit ingesamt 11,3 g Marihuana sowie Bargeld in Höhe von 75 Euro.

Die Staatsanwaltschaft Göttingen beantragte gegen den Angeklagten am 07. Juni 2021 den Erlass eines Strafbefehls wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Das Amtsgericht Göttingen erließ den beantragten Strafbefehl, mit dem eine Geldstrafe von 70 Tagesätzen zu je 30 Euro verhängt wurde, am 08. Juni 2021.

Der Strafbefehl ging dem Angeklagten am 10. Juni 2021 zu. Eine Übersetzung des Dokuments oder die Zustellung einer übersetzten Version erfolgten nicht.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 01. Juli 2021, eingegangen bei Gericht am 03. Juli 2021, legte der Angeklagte gegen den Strafbefehl Einspruch ein und beantragte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zugleich beantragte der Verteidiger Akteneinsicht.

Die Staatsanwaltschaft Göttingen beantragte, sowohl den Einspruch als auch den Antrag auf Wiedereinsetzung als unzulässig zu verwerfen. Gründe für eine Wiedereinsetzung seien nicht glaubhaft gemacht worden.

Mit Beschluss vom 13. Juli 2021 verwarf das Amtsgericht Göttingen den Einspruch und den Antrag auf Wiedereinsetzung als unzulässig. Der Beschluss ist dem Verteidiger am 19. Juli 2021 zugegangen. Am gleichen Tag, eingegangen bei Gericht am 20. Juli 2021, legte der Verteidiger gegen den Beschluss Beschwerde ein und beantragte erneut Akteneinsicht. Der Angeklagte sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Da ihm keine Übersetzung des Strafbefehls zugegangen sei, habe die Einspruchsfrist noch nicht zu laufen begonnen.

Nach erfolgter Akteneinsicht führte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 29. Juli 2021 weiter aus, es ergebe sich bereits aus dem Inhalt der Ermittlungsakte, dass der Angeklagte nicht ausreichend Deutsch spreche. Die erste Belehrung sei in englischer Sprache wiederholt worden. PKH pp. habe in seinem Bericht vom 17. Mai 2021 vermerkt, der Angeklagte spreche nicht gut Deutsch. Da bereits mündliche Kommunikation nur langsam und mit einfachen Worten möglich sei, könne nicht angenommen werden, dass der Angeklagte schriftliche Dokumente verstehe.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Sie hat auch in der Sache Erfolg, da die Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl mangels wirksamer Zustellung noch nicht zu Iaufen begonnen hatte.

Für die Zustellung von Entscheidungen bestimmt § 37 Abs. 3 StPO, dass eine Übersetzung des Urteils zusammen mit diesem zuzustellen ist, sofern nach § 187 Abs. 1, Abs. 2 GVG eine Übersetzung des Urteils zur Verfügung zu stellen ist. § 187 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 GVG bestimmt, dass in der Regel schriftliche Übersetzungen von Anklageschriften, Strafbefehlen und Urteilen zur Verfügung zu stellen sind, sofern ein Beschuldigter der deutschen Sprache nicht mächtig ist und die Übersetzung zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist.

Zwar bezieht sich § 37 Abs. 3 StPO einem Wortlaut nach nur auf die Zustellung von Urteilen, während § 187 Abs. 2 GV auch für Strafbefehle eine Übersetzung verlangt. Hieraus ist jedoch nicht zu schließen, dass hinsichtlich Strafbefehlen keine Übersetzung notwendig sein soll. § 410 Abs. 3 StPO stellt einen Strafbefehl einem Urteil ausdrücklich gleich, weshalb durch das Wort „Urteil" auch Strafbefehle mitgemeint sein dürfen. Hinzu kommt, dass auch durch einen Strafbefehl Rechtsfolgen von bis zu einem Jah Freiheitsstrafe verhängt werden können, sodass auf eine Übersetzung auch nicht wegen Unerheblichkeit der Folgen verzichtet werden kann. Schließlich besteht an der Übersetzung eines Strafbefehls gegenüber der eines Urteils auch deshalb ein sogar gesteigertes Interesse, weil ein Strafbefehl seiner Natur nach ohne Hauptverhandlung ergeht. Es besteht für den Beschuldigten daher nicht die Möglichkeit, sich unmittelbar gegen den Vorwurf zu verteidigen und hinsichtlich der Rechtsfolgen direkt nachzufragen.

Die Übersetzung des Strafbefehls war hier auch zur Ausübung der prozessualen Rechte des Angeklagten notwendig, § 187 Abs. 2 GVG. Dieser spricht ausweislich des Akteninhalts nur sehr schlecht Deutsch, weshalb bereits die erste Belehrung in englischer Sprache wiederholt werden musste. Auch die weitere Kommunikation zwischen ihm und den eingesetzten beamten erfolgte auf Englisch.

Soweit der Angeklagte geäußert hat er könne nicht gut Deutsch sprechen, verstehe aber alles, führt dies nicht zu einer anderen Einordnung. Zu einer sinnvollen Verteidigung gehört nicht nur, die Strafvorwürfe zu verstehen, sondern auch die Fähigkeit sich hierzu differenziert u äußern, welche ihm ersichtlich fehlt. Zudem erfolgte diese Äußerung des Angeklagten im direkten Gespräch mit den Beamten. Hier ist bereits nicht auszuschließen, dass der Angeklagte sich keine Blöße geben wollte, indem er seine unzureichenden Sprachkenntnisse einräumte, zumal er davon ausgehen musste, dass dies zu einer Verzögerung des Verfahrens hätte führen können. Hinzu kommt, dass sich Gesprächspartner automatisch auf die Sprachfähigkeiten ihres Gegenübers einstellen, indem sie langsamer sprechen, einfachere Worte und Satzkonstruktionen verwenden und das Gesagte wiederholen, wenn erkennbar ist, dass man sie nicht versteht. Dies alles sind Umstände, die bei einem schriftlichen Strafbefehl wegfallen. Dieser ist regelmäßig — wie auch hier — durch lange Sätze und die Verwendung juristischer Fachbegriffe geprägt. Auch die im Verfahren gesicherten Chatverläufe des Angeklagten zeigen, dass er nur äußerst rudimentär in der Lage ist, sich auf Deutsch schriftlich auszurücken. Die Chats bestehen vorwiegend aus bruchstückhaften Sätzen und sind nur sehr schwer verständlich.

Mangels wirksamer Zustellung hatte die Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl noch nicht zu laufen begonnen, sodass der Einspruch vom 03. Juli 2021 rechtzeitig erfolgte. Da die Kammer zur Entscheidung 0er den Einspruch nicht berufen ist, konnte sie in der Sache nicht selbst entscheide, sondern es war insofern an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Gegen diese Entscheidung ist kein weiteres Rechtsmittel gegeben, § 310 Abs. 2 StPO.


Einsender: RA R. Kahlen, Göttingen

Anmerkung:


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