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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Fahrtenbuchauflage, Unmöglichkeit der Fahrerermittlung, angemessene Maßnahmen

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Saarland, Urt. v. 11.11.2020 – 5 K 715/20

Leitsatz: 1. Wird einem Fahrzeughalter ein Zeugenanhörungsbogen mit einem gut erkennbaren Beweisfoto übersandt, reicht es zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht aus, in einer Datei nachzuschauen, wer sich das Fahrzeug auf dem Papier ausgeliehen hat.
2. Handelt ein Mitarbeiter des Fahrzeughalters an dessen Stelle, ist dem Halter die Pflichtverletzung zuzurechnen.


In pp.

Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe der sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Kostenschuld abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 2.400,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine angeordnete Fahrtenbuchauflage für die Dauer von 6 Monaten.

Sie ist Halterin des Pkw mit dem amtlichen Saison-Kennzeichen (März bis November) pp. Für dieses Fahrzeug wurde durch eine Geschwindigkeitsüberwachungsanlage auf der B 51 in Höhe Saarlouis, Zinkerei, eine am 26.03.2019 um 20:01 Uhr begangene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h festgestellt; die gemessene Geschwindigkeit betrug nach Toleranzabzug 83 km/h. Auf dem Beweisfoto ist eine männliche Person mit Vollbart abgebildet.

Mit dem „Zeugenfragebogen“ vom 09.04.2019 teilte die Zentrale Bußgeldbehörde der Klägerin mit, dass der Fahrer des Kraftfahrzeuges die folgende Ordnungswidrigkeit begangen habe: „Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit pp. Zur Ermittlung der betroffenen Person werden Sie als Zeuge gehört und gebeten, den Namen und die Anschrift des Fahrzeugführers auf der Rückseite dieses Schreibens anzugeben. Bitte senden Sie den Fragebogen innerhalb einer Woche zurück, selbst wenn Sie von Ihrem Zeugnis-/Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen. Sie vermeiden dadurch weitere Ermittlungen.

Der Zeugenfragebogen wurde wie folgt zurückgesandt: „Das Fahrzeug wurde zur Tatzeit geführt von pp.“ mit Adresse und Geburtsdatum. Die Antwort trägt das Datum 13.04.19 und eine unleserliche Unterschrift.

Daraufhin hörte die Zentrale Bußgeldbehörde Herrn pp. mit Schreiben vom 30.04.2019 als Betroffenen zur Ordnungswidrigkeitenanzeige und von der Fahrzeughalterin als Fahrzeugführer benannt an, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Als nächstes führte die Bußgeldbehörde einen Lichtbildabgleich mit dem Personalausweisfoto von Herrn pp. durch, der zu Zweifeln an dessen Verantwortlichkeit für den Verstoß führte. Daraufhin bat die Bußgeldbehörde die Polizeiinspektion pp. um Feststellung des Fahrzeugführers, bei dem es sich wohl nicht um Herrn pp. handele. Die Polizeiinspektion pp. gab folgende Ermittlungsübersicht: „Sachverhalt nicht geklärt. Die durchgeführten Ermittlungen verliefen bisher ergebnislos. Fahrer konnte nicht ermittelt werden. Person pp. wurde bislang nicht angetroffen. Fahrerfoto mit BPA des Herrn pp. nicht identisch. Hinweise auf Fahrer liegen nicht vor.“

Die Zentrale Bußgeldbehörde stellte daraufhin das Ordnungswidrigkeitsverfahren am 04.07.2019 ein und teilte das der Klägerin mit.

Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 09.07.2019 mit, da nicht habe festgestellt werden können, wer das Fahrzeug zur fraglichen Zeit gefahren habe, sei beabsichtigt, ihr die Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von sechs Monaten für das Fahrzeug oder ein Ersatzfahrzeug aufzuerlegen (§ 31a StVZO), und gab ihr Gelegenheit zur Äußerung (§ 28 SVwVfG). Eine Reaktion erfolgte nicht.

Mit Verfügung des Beklagten vom 11.09.2019 wurde der Klägerin auferlegt, für ihr Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen pp. für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen. Dabei seien für jede einzelne Fahrt vor deren Beginn der Name, der Vorname und die Anschrift des Fahrzeugführers, das amtliche Kennzeichen des Fahrzeugs, das Datum und die Uhrzeit des Beginns der Fahrt und, nach deren Beendigung, unverzüglich Datum und Uhrzeit mit Unterschrift einzutragen (§ 31a StVZO). Das Fahrtenbuch sei für die nächsten sechs Monate zu führen und müsse darüber hinaus weitere sechs Monate nach Ablauf dieser Zeit aufbewahrt werden. Der Fahrzeughalter habe es der anordnenden oder der von ihr bestimmten Stelle oder sonst zuständigen Personen jederzeit an dem von der anordnenden Stelle festgelegten Ort zur Prüfung auszuhändigen (§ 31a StVZO).

Zur Begründung ist in dem Bescheid ausgeführt, mit dem auf sie zugelassenen Kraftfahrzeug sei am 26.03.2019 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer geschlossenen Ortschaft um 33 km/h überschritten worden. Der verantwortliche Fahrzeugführer habe nicht zur Verantwortung gezogen werden können.

Gegen die Verfügung vom 11.09.2019 legte die Klägerin am 08.10.2019 beim Beklagten Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten geltend, ihr sei von einem Vorfall am 26.03.2019 nichts bekannt.

Mit dem Widerspruchsbescheid aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.01.2020 wies der Kreisrechtsausschuss den Widerspruch der Klägerin zurück: Der Widerspruch sei unbegründet, der angegriffene Bescheid rechtmäßig. Er finde seine Rechtsgrundlage in § 31a Abs. 1 S. 1 StVZO. Danach könne die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich gewesen sei. Dabei müssten Verkehrsvorschriften im nennenswerten Umfang verletzt worden sein. Ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß, der sich nicht verkehrsgefährdend auswirken könne und auch keinen Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulasse, reiche nicht aus. Das für die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches vorausgesetzte Gewicht eines Verkehrsverstoßes sei regelmäßig bei Ordnungswidrigkeiten anzunehmen, die nach der einschlägigen Anlage zur Fahrerlaubnisverordnung mit mindestens einem Punkt bewertet würden.1 Der Verkehrsverstoß am 26.03.2019 sei unstreitig. Auf eine konkrete Verkehrsgefährdung komme es nicht an.2 Die Bußgeldbehörde habe die erforderlichen Schritte zur Aufklärung unternommen. Soweit die Klägerin vortrage, ihr sei der Vorfall am 26.03.2019 nicht bekannt, sei das eine Schutzbehauptung, weil der am 09.04.2019 versandte Anhörungsbogen zurückgekommen sei. Nach der Rechtsprechung des OVG des Saarlandes gebiete der Amtsermittlungsgrundsatz der Widerspruchsbehörde nicht, gleichsam ungefragt ins Blaue hinein in die Suche nach Fehlern des Verwaltungsverfahrens einzutreten, sondern unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie das entsprechende Verfahren nur insoweit zu überprüfen, als substantiierte Einwände dagegen erhoben worden seien.3 Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Fahrtenbuchauflage seien nicht angezeigt. Mit der präventiven Zielsetzung, künftig Verkehrsverstöße dadurch zu vermeiden, dass der jeweilige Fahrer mit einer leichten Aufklärbarkeit des Verstoßes rechnen müsse, werde ein legitimer Zweck verfolgt. Die Fahrtenbuchauflage sei hierzu geeignet, erforderlich sowie als angemessene Maßnahme anzusehen. Mit einer solchen Anordnung solle in Ergänzung der Kennzeichnungspflicht dafür Sorge getragen werden, dass, im Gegensatz zu dem konkret zu entscheidenden Fall, künftig die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich sei. Die Anordnung richte sich an den Fahrzeughalter, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitze. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 22.06.2020 zugestellt.

Am 22.07.2020 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen, dass ihr von dem Vorfall am 26.03.2019 persönlich nichts bekannt gewesen sei. Bei Durchsicht der Bußgeldakte habe sich herausgestellt, dass der Zeugenfragebogen vom 09.04.2019 ihr zwar zugesandt worden sei, jedoch von ihrem Vater nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt worden sei. Dieser habe festgestellt, dass das Fahrzeug, mit dem die Ordnungswidrigkeit begangen worden sei, an Herrn pp., ausgeliehen gewesen sei. Das habe ihr Vater in den Zeugenfragebogen eingetragen und diesen sodann mit Datum vom 13.04.2019 an die Bußgeldbehörde weitergeleitet. Ihr Vater sei Mitarbeiter in ihrem Betrieb. Er sei davon ausgegangen, dass damit eine ordnungsgemäße Auskunft erteilt worden sei. Im Zuge der weiteren Ermittlungen sei sodann wohl festgestellt worden, dass der Zeuge pp. nicht derjenige gewesen sein konnte, der den Bußgeldtatbestand verwirklicht habe. Allerdings sei ihr das nicht mitgeteilt worden. Ihr sei der Vorfall noch nicht einmal persönlich bekannt gewesen und sie sei in der Folgezeit nicht informiert worden, dass Herr pp. nicht der Fahrer des streitbefangenen Pkws gewesen sein könne. Niemand habe sich sodann mit ihr erneut in Verbindung gesetzt, um die Sache aufzuklären. Wäre dies geschehen, hätte der Vorfall aufgeklärt werden können. Zwar habe die Bußgeldbehörde am 26.06.2019 noch ein Fahrer-Ermittlungsersuchen gestartet, welches ohne Erfolg geblieben sei. Demgegenüber hätte die Zentrale Bußgeldbehörde veranlassen können und auch veranlassen müssen, dass neuerlicher Kontakt zu ihr aufgenommen werde, um ihr mitzuteilen, dass Herr pp. nicht der Fahrer gewesen sei, der den Bußgeldtatbestand verwirklicht habe. Insoweit seien allerdings weitere Ermittlungen nicht durchgeführt worden. Insbesondere habe die Bußgeldbehörde keinerlei Kontakt mehr zu ihr aufgenommen. Wäre dies allerdings geschehen, wäre der Sachverhalt problemlos aufgeklärt worden. Weitere Ermittlungen habe die Bußgeldbehörde aber nicht mehr getätigt. Sie habe das Verfahren mit der Folge eingestellt, dass die Fahrtenbuchauflage erfolgt sei. Sie - die Klägerin – hätte aber nach einer Kontaktaufnahme zu Herrn pp. klären können, wer das Fahrzeug tatsächlich geführt habe. Sie wäre, soweit möglich, bereit gewesen die Personalien des Fahrers bekannt zu geben, was ihr allerdings nicht möglich gewesen sei, da sie über den Vorfall erstmals im Zusammenhang mit der Fahrtenbuchauflage informiert worden sei. Deshalb sei es nicht gerechtfertigt, ihr eine Fahrtenbuchauflage zu erteilen.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
den Bescheid vom 11.09.2019 und den Widerspruchsbescheid vom 17.06.2020 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er verweist zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid sowie im Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus, dass die Bußgeldbehörde alle erforderlichen und möglichen Maßnahmen ergriffen habe, um den Fahrzeugführer festzustellen. Dass der ihr von der Bußgeldbehörde übersandte Anhörungsbögen nicht von der Antragstellerin, sondern von ihrem Vater ausgefüllt worden sei, sei für die Behörde nicht ersichtlich gewesen. Deshalb seien weitere Informationen an die Halterin als entbehrlich erschienen.

Die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts ergeben sich aus dem Inhalt der Gerichtsakten und den beigezogenen Verwaltungsunterlagen, der Gegenstand der Beratung war.

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der angegriffene Bescheid ist in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die zuständige Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die am 26.03.2019 festgestellte Überschreitung der außerhalb einer geschlossenen Ortschaft zulässig gewesenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 33 km/h (nach Toleranzabzug) durch den Fahrer des auf die Klägerin zugelassenen Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen pp. stellt einen Verkehrsverstoß dar, der auf der Grundlage des § 31a StVZO auch unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage rechtfertigt.

Nach dem Wortlaut von § 31a StVZO würde jeder noch so geringfügige Verstoß gegen eine Verkehrsvorschrift für die Anordnung eines Fahrtenbuches ausreichen. Die Behörde hat aber - wie bei allen Ordnungsverfügungen - den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.4 Deshalb reicht ein einmaliger Verkehrsverstoß nicht aus, wenn er als unwesentlich anzusehen ist, er sich nicht verkehrsgefährdend auswirken kann und auch keinen Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt.5

Eine Geringfügigkeit in diesem Sinne liegt ersichtlich nicht vor. Für die erforderliche Gewichtung des betreffenden Verkehrsverstoßes ist regelmäßig das Punktesystem des § 4 StVG in Verbindung mit der Anlage 13 zu § 40 FeV heranzuziehen, weil in diesem in rechtlich verbindlicher Weise eine typisierende Bewertung von Verkehrsverstößen nach dem Maße ihrer Gefährlichkeit vorgegeben wird. Dabei ist anerkannt, dass bereits die erstmalige Begehung eines wenigstens mit einem Punkt bewerteten Verkehrsverstoßes hinreichenden Anlass für eine Fahrtenbuchauflage geben kann, ohne dass es auf die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes erhöhende Umstände im Einzelfall ankommt.6

Anlass der Fahrtenbuchauflage war eine Verkehrszuwiderhandlung, die nach dem Bußgeldkatalog mit einer Geldbuße von 120,- € und einem Eintrag von einem Punkt in das Verkehrszentralregister zu ahnden gewesen wäre (Ziff. 2.2.3 der Anlage 13 zu § 40 FeV i.V.m. Buchst. c Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 Bußgeldkatalog-Verordnung). Die unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit für eine Fahrtenbuchauflage zu fordernde Voraussetzung, dass ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht gegeben ist und nicht nur ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß festgestellt wurde, der sich weder verkehrsgefährdend auswirken kann noch Rückschlüsse auf die charakterliche Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt, ist durch die Begehung eines wie im vorliegenden Fall mit zwei Punkten bewerteten Verkehrsverstoßes zweifellos erfüllt. In der Rechtsprechung war insoweit geklärt, dass bereits bei der bis zum 30.04.2014 geltenden Fassung der einschlägigen Anlage zur Fahrerlaubnisverordnung das für die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs vorausgesetzte Gewicht eines Verkehrsverstoßes regelmäßig bei Ordnungswidrigkeiten anzunehmen ist, die mit mindestens einem Punkt bewertet wurden.7 Dies gilt erst recht für die zum 01.05.2014 in Kraft getretene Neufassung der Anlage 13 zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung (hier in der zum 19.10.2017 in Kraft getretenen Änderungsfassung vom 06.10.2017), nach der auch sehr schwere Verkehrsverstöße mit maximal zwei Punkten bewehrt sind (und nur schwerste Verstöße wie beispielsweise eine fahrlässige Tötung mit drei Punkten). Da zugleich die Fahrerlaubnis seit der Umstellung des Punktesystems nun nicht mehr erst mit 18 Punkten entzogen wird (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG a.F.), sondern bereits dann, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG in der Fassung vom 28.08.2013), ist das erforderliche Gewicht eines Verkehrsverstoßes nunmehr für jeden Fall offensichtlich, in dem die Ordnungswidrigkeit mit mindestens einem Punkt bewertet wird.8 Daher fordert § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO weder, dass der begangene Geschwindigkeitsverstoß zu einer irgendwie gearteten konkreten Gefährdung geführt hat noch dass er im Rahmen eines Verbrechens, eines Vergehens oder einer sonstigen Straftat begangen wurde oder es sich um eine Flucht gehandelt hat. Auch wäre es nicht erforderlich, dass der Verkehrsverstoß mit einem Fahrverbot zu ahnden gewesen wäre. Vielmehr reicht ein einmaliger Geschwindigkeitsverstoß mit dem entsprechenden Gewicht aus. Dass der hier in Rede stehende Verkehrsverstoß alles andere als unwesentlich und geringfügig war, ergibt sich also bereits daraus, dass die Tat mit einem Punkt zu bewerten gewesen wäre.

Für die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches ist davon auszugehen, dass geeichte Geschwindigkeitsmessgeräte mit Bauartzulassung der Physikalisch-Tech-nischen Bundesanstalt bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion oder unsachgemäße Bedienung hinreichend verlässlich Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung erbringen.9

Die Feststellung des für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Fahrers war vorliegend auch im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die Ermittlungsbehörden nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage waren, den Täter innerhalb der Verjährungsfrist (hier der dreimonatigen Verfolgungsverjährung nach § 26 Abs. 3 StVG i.V.m. §§ 31 ff. OWiG) zu ermitteln, obwohl die angemessenen und zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen unternommen worden sind. Für die Beurteilung der Angemessenheit des erforderlichen Ermittlungsaufwands kommt es wesentlich darauf an, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei dürfen Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde sich an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Ist der Fahrzeughalter erkennbar nicht gewillt, an der Aufklärung der Verkehrszuwiderhandlung mitzuwirken, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. Weitere Ermittlungen können in einer solchen Situation nur ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn Verdachtsmomente vorliegen, die in eine bestimmte Richtung deuten und eine Aufklärung auch ohne Mitwirkung des Fahrzeughalters aussichtsreich erscheinen lassen.10

Davon ausgehend hat die Bußgeldbehörde im konkreten Fall alle ihr nach den Gegebenheiten zumutbaren und auch angemessenen Versuche zur Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers zum Tatzeitpunkt unternommen.

Der an die Klägerin übersandte und als Zeugenanhörung bezeichnete Anhörungsbogen wurde beantwortet und als verantwortlicher Fahrer Herr pp. bezeichnet. Die von der Bußgeldbehörde veranlassten Ermittlungen der Polizei ergaben indes, dass Herr pp. nicht der auf dem Beweisfoto abgebildete und gut erkennbare Fahrzeugführer war.

Damit hat die Bußgeldbehörde an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausgerichtet alle „angemessenen und zumutbaren“ Maßnahmen ergriffen, die im Regelfall gewöhnlich zur Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers führen. Dass es letztlich nicht hierzu gekommen ist, ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die Klägerin ihrer Verpflichtung, als Halterin des Fahrzeugs aktiv bei der Ermittlung des Fahrzeugführers mitzuwirken, nicht nachgekommen ist.11 Dabei ist es von Rechts wegen unerheblich, dass sie den Zeugenanhörungsbogen ihrem Vorbringen zufolge gar nicht zu Augen bekommen hat, dieser vielmehr von ihrem Vater und Mitarbeiter in ihrem Betrieb ausgefüllt und (unleserlich) unterschrieben zurückgesandt wurde. Denn der an ihre Adresse gesandte Zeugenanhörungsbogen ist nachweislich dort und damit in ihrem Wirkungskreis angekommen. Deshalb geht es mit ihr und nicht mit der Bußgeldbehörde heim, wenn Dritte wie vorliegend ihr im Betrieb mitarbeitender Vater den allein an sie adressierten und gerichteten Anhörungsbogen ausfüllen und so unleserlich unterschreiben, dass die Bußgeldbehörde davon ausgehen muss, sie persönlich habe diese Erklärungen abgegeben. Die Bußgeldbehörde musste deshalb davon ausgehen, dass die Klägerin ausschließlich Herrn pp. als den auf dem Beweisfoto gut erkennbaren Fahrzeugführer bezeichnet hat und dieser aufgrund der Ermittlungen der Polizei als verantwortlicher Fahrer nicht in Betracht kam. Damit stand und steht fest, dass die Klägerin an der Ermittlung des Fahrers nicht in der Weise mitgewirkt hat, dass der verantwortliche Fahrer ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Insbesondere ist es für die Bußgeldbehörde von Rechts wegen nicht geboten, die Fahrzeughalterin erneut zur Sache zu vernehmen, wenn diese einer auf einem Beweisfoto gut erkennbaren Person einen Namen und eine Adresse zuordnet, die sich im Nachhinein als falsch erweist. Wird einem Fahrzeughalter ein Zeugenanhörungsbogen mit einem gut erkennbaren Beweisfoto übersandt, reicht es - wie der vorliegende Fall offenkundig zeigt - zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht aus, in einer Datei nachzuschauen, wer sich das Fahrzeug auf dem Papier „ausgeliehen“ hat. Vielmehr erfordert die Mitwirkungspflicht darüber hinaus, zu überprüfen, ob der „Papierausleiher“ auch die Person auf dem Beweisfoto ist. Wird dieser Pflicht nicht nachgekommen, fehlt es an der gebotenen Mitwirkungspflicht. Handelt ein Mitarbeiter des Fahrzeughalters an dessen Stelle, ist dem Halter diese Pflichtverletzung im Rahmen des Organisationsverschuldens zuzurechnen.

Angesichts des gegebenen schweren Verkehrsverstoßes verstößt die Anordnung der Fahrtenbuchauflage für die Dauer von sechs Monaten offenkundig auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist namentlich ermessensgerecht, wenn je nach Schwere des Verkehrsverstoßes unterschiedlich lange Fahrtenbuchauflagen angeordnet werden.12 Bei einer Geschwindigkeitsübertretung von 33 km/h außerhalb einer geschlossenen Ortschaft, die nach dem Punktesystem mit einem Punkt bewehrt ist, ist eine Dauer von sechs Monaten (mehr als) gerechtfertigt.

Deshalb wird nur ergänzend darauf hingewiesen, dass in der Rechtsprechung seit der Reform des früheren Punktsystems und der Schaffung des Fahreignungs-Bewertungssystems ab dem 01.05.2014 keine Bedenken gesehen werden, dass bei mit einem (neuen) Punkt bewerteten Verstößen regelhaft 12 Monate bei Erstverstößen und 24 Monate bei Wiederholungsfällen als verhältnismäßig angesehen werden.

Auch die weitere im angegriffenen Bescheid ausgesprochene Verpflichtung, das Fahrtenbuch noch sechs Monate nach Ablauf der Zeit aufzubewahren, für die es geführt wird, und es den zuständigen Personen auf Verlangen jederzeit zur Prüfung auszuhändigen, ist rechtmäßig, da sie der Regelung des § 31a Abs. 3 StVZO entspricht.

Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und erfolgt in Anlehnung an Ziff. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, wonach ein Betrag von jeweils 400 € je Monat der Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage in Ansatz zu bringen ist. Das ergibt vorliegend den Streitwert von 2.400 €.

Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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