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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Niederlegung des Wahlmandats

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Würzburg, Beschl. v. 10.11.2020 - 6 Qs 197/20

Leitsatz: 1. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers kommt nur in Betracht, wenn der Beschuldigte keinen Verteidiger hat.
2. Die nachträgliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist auch nach neuem Recht nicht zulässig.


6 Qs 197/20

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt

wegen Vergehen nach § 29 BtMG

erlässt das Landgericht Würzburg - 6. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 10. November 2020 folgenden Beschluss

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 19.10.2020, Az. 13 S Gs 2853/20, wird kostenpflichtig verworfen.

Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Würzburg führte gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis. Dabei lag dem mehrfach vorbestraften Beschuldigten zur Last, am 12.06.2020 auf der Bundesautobahn A7 im Bereich von Kürnach den PKW BMW, gestohlenes amtliches Kennzeichen El - MI 682, geführt zu haben, obwohl er - wie er wusste - infolge Genusses berauschender Mittel nicht fahrtüchtig war, sowie zuvor mit diesem Fahrzeug aus den Niederlanden kommend Amphetamin in das Gebiet der Bundesrepublik eingeführt zu haben, ohne im Besitz einer für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderlichen Erlaubnis gewesen zu sein.

Mit am 11.08.2020 eingegangenen Schriftsatz zeigte sich Rechtsanwalt pp. als Verteidiger an und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Eine Ankündigung im Falle der Bestellung als Pflichtverteidiger das Wahlmandat niederzulegen, erfolgte nicht. Der Verteidiger trug vor, dass sich der Beschuldigte im Verfahren 105 Js 44481/20 der Staatsanwaltschaft Leipzig in Untersuchungshaft befinde und beantragte die Einstellung des Verfahren nach § 154 Abs.1 StPO.

Die Akte ging am 21.09.2020 bei der Staatsanwaltschaft Würzburg ein (BI. 5OR d.A.). Am 22.09.2020 forderte der zuständige Staatsanwalt eine Abschrift des Haftbefehls bei der Staatsanwaltschaft Leipzig an, welche am 28.09.2020 einging. Am 29.09.2020 stellte die Staatsanwaltschaft Würzburg das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten gemäß § 154 Abs.1 StPO im Hinblick auf das Verfahren 105 Js 44481/20 der Staatsanwaltschaft Leipzig ein. Zugleich beantragte die Staatsanwaltschaft Würzburg, den Antrag des Verteidigers auf Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 141 Abs. 2 S. 3 StPO zu verwerfen.

Das Amtsgericht Würzburg, Ermittlungsrichter, wies mit Beschluss vom 19.10.2020 (Az. 138 Gs 2853/20) den Antrag des Verteidigers auf Pflichtverteidigerbestellung mit der Begründung zurück, dass - obwohl ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen habe - das Verfahren im Sinne von § 141 Abs. 2 S. 3 StPO unverzüglich nach Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde und eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung nicht erforderlich sei (vgl. Blatt 67 f. d.A.).

Mit am 26.10.2020 beim Amtsgericht Würzburg eingegangenen Schriftsatz legte der Verteidiger sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 19.10.2020 ein und trug vor, dass die Vorschrift des § 141 Abs.2 S.3 StPO keine Anwendung finde, wenn wie hier ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 141 Abs. 1 S. 1 StPO vorliege. Die Ausnahmevorschrift des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO gelte nur für Fälle einer antragsunabhängigen Beiordnung von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 S. 3 StPO. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 70 ff. d.A. verwiesen.

Das Amtsgericht Würzburg, Ermittlungsrichter, half der Beschwerde nicht ab (BI. 77 d.A.).

Die Staatsanwaltschaft Würzburg beantragte am 30.10.2020 die Beschwerde kostenpflichtig als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zu verwerfen, und trug vor, dass die Beschwer wegen prozessualer Überholung entfallen sei und die Beiordnung als Pflichtverteidiger der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrens und nicht dem Kosteninteresse des Beschuldigten oder des Verteidigers diene. Die Beiordnung habe im Übrigen nicht der Beschuldigte, sondern der Verteidiger selbst beantragt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 78 d.A. verwiesen.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet.

1. Gegen die Ablehnung der Bestellung zum Pflichtverteidiger ist die sofortige Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf, § 142 Abs. 7 S. 1 StPO (in der seit 13.12.2019 geltenden Fassung).

Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind gegeben. Nachdem der Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 19.10.2020 erst an diesem Tag per Post an den Verteidiger abgeschickt wurde, ist die Beschwerde insbesondere fristgerecht binnen einer Woche erhoben worden.

2.

Die sofortige Beschwerde ist in der Sache jedoch nicht begründet.

Zur Überzeugung der Kammer ist vorliegend ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gegeben. Der Beschuldigte befand sich seit 30.07.2020 im Verfahren 105 Js 44481/20 der Staatsanwaltschaft Leipzig in Untersuchungshaft in der dortigen JVA. Der § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO findet auch Anwendung, wenn Untersuchungshaft in anderer Sache vollstreckt wird (so auch OLG Frankfurt a M. NStZ-RR 2011, 19; LG Nürnberg-Fürth StV 2012, 658). Dafür spricht nach neuer Rechtslage, dass weder § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO n.F. noch Art. 4 Abs. 4 RL (EU) 2016/1919 danach differenzieren, in welchem Verfahren die Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, sondern eine notwendige Verteidigung bei jeder Inhaftierung bejahen. Weiterhin spricht hierfür auch der Grundgedanke des § 140 Abs.1 Nr. 5 StPO, der Nachteile kompensieren soll, die durch die eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten infolge von Inhaftierung entstehen. Zweck der Pflichtverteidigung ist es, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in den vom Gesetz bestimmten Fällen rechtskundigen Beistand erhält und dass ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gewährleistet ist.

Grundsätzlich folgt aus der Notwendigkeit der Verteidigung im Sinne von § 140 StPO noch nicht unmittelbar die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung; den Zeitpunkt der Bestellung regeln vielmehr die §§ 141, 141a StPO. Das eigene Antragsrecht des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO dient dazu, in zeitlicher Hinsicht die Phase des Strafverfahrens abzudecken, in der § 140 StPO die Verteidigung bereits für notwendig erachtet, aber noch keine Pflicht zur Beiordnung eines Verteidigers von Amts wegen besteht (vgl. Böß, NStZ 2020, 185/188). Wenn die (engen) Vor-aussetzungen des § 141 Abs. 2 StPO vorliegen, bedarf es dagegen keiner Mitwirkungshandlung des Beschuldigten.

Die Bestellung des Pflichtverteidigers hängt gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 StPO nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift vom Antrag des Beschuldigten ab. Ein solcher Antrag wurde Seitens des Beschuldigten gestellt. Mit Schriftsatz vom 11.08.2020 erklärte Rechtsanwalt pp., mit der Verteidigung des Beschuldigten beauftragt worden zu sein, und beantragte vor dem Hintergrund der erfolgten Inhaftierung des Beschuldigten seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. In diesem Fall liegt im Verhältnis zum Beschuldigten ein Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß § 675 BGB vor. Damit handelte der Verteidiger ausweislich seines Schriftsatzes vom 11.08.2020 erkennbar für den Beschwerdeführer. Als beauftragter Verteidiger hat er die Stellung eines Vertreters; seine Anträge und Willenserklärungen sind dem Betroffenen somit zuzurechnen, § 164 Abs. 1 BGB. Der Vorlage einer schriftlichen Vollmacht bedarf es dabei nicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Auflage 2020, Schmitt, vor § 137 Rn. 9 m.w.N.). Insoweit sind die Voraussetzungen eines Antrags des Beschuldigten im Sinne von § 141 Abs. 1 S. 1 StPO zunächst erfüllt.

Jedoch ist nach dem klaren Wortlaut des § 141 Abs.1 S. 1 StPO trotz eines Antrags des Beschuldigten eine Pflichtverteidigerbestellung nur dann unverzüglich erforderlich, wenn der Be-schuldigte noch keinen Verteidiger hat. Einzige Ausnahme ist insoweit die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers, sofern die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 vorliegen. Auch der bisherige Wahlverteidiger kann zum Pflichtverteidiger bestellt werden. Voraussetzung ist hierbei jedoch, dass der Wahlverteidiger die Niederlegung seines Mandats für den Fall der beantragten Bestellung ankündigt (vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 3044; BT-Drs. 19/13829, 36). Fehlerhaft ist es dagegen, den Wahlverteidiger ohne Antrag und ohne Ankündigung der Mandatsniederlegung zu bestellen (h .M., vgl. hierzu Meyer-Goßner, Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 141 Rn. 2, BeckOK StPO/Krawczyk, StPO § 141 Rn. 2; Dölling/Duttge/König/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Auflage 2017, Rn. 2-4), da dies dem klaren Wortlaut von § 141 Abs. 1 S. 1 StPO und dem darin zum Ausdruck kommenden Vorrang der Wahlverteidigung vor der Pflichtverteidigung widersprechen würde.

Vorliegend beantragte der Verteidiger zwar seine unverzügliche Beiordnung als Pflichtverteidiger, kündigte jedoch gerade nicht an, im Fall der Bestellung das Wahlmandat niederlegen zu wollen. Da der Beschuldigte somit im Zeitpunkt der Antragstellung am 11.08.2020 bereits einen Verteidiger hatte, war eine unverzügliche Verteidigerbestellung auf Antrag nach § 141 Abs.1 S.1 StPOnicht erforderlich, da gerade nicht alle Voraussetzungen der Vorschrift vorlagen.

Vielmehr ist vorliegend ein Fall des § 141 Abs. 2 S. Nr. 2 StPO gegeben. Unabhängig von einem Antrag des Beschuldigten, der vorliegend daran scheitert, dass dieser bereits einen Verteidiger hatte, ist ihm von Amts wegen ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn er sich aufgrund richterlicher Anordnung in Haft befindet. Diese Voraussetzungen waren vor dem Hintergrund der Inhaftierung des Beschuldigten im Verfahren der Staatsanwaltschaft Leipzig erfüllt.

Zur Überzeugung der Kammer konnte die Bestellung jedoch aufgrund der Ausnahmevorschrift des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO in der vorliegenden Konstellation unterbleiben. Die Ausnahmevorschrift bezieht sich auf den hier vorliegenden Fall der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO. Auch inhaltlich sind die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift erfüllt. Dies ist der Fall, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine weiteren Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauszügen oder die Beiziehung von Akten oder Dokumenten vorgenommen werden soll. Vorliegend wurde der Beschuldigte am 30.07.2020 inhaftiert, was der Verteidiger am 11.08,2020 mitteilte. Zum Zeitpunkt der Inhaftierung waren die Ermittlungen bereits abgeschlossen, der polizeiliche Ermittlungsbericht (BI. 48 ff. d.A.) datiert vom 14.07.2020. Weitere Untersuchungen waren damit weder erforderlich noch wurden diese nach Inhaftierung des Beschuldigten noch vorgenommen. Die Akte ging sodann am 21.09.2020 bei der Staatsanwaltschaft Würzburg ein, wo am 22.09.2020 der zuständige Staatsanwalt eine Abschrift des Haftbefehls bei der Staatsanwaltschaft Leipzig anforderte, welche am 28.09.2020 einging. Weitere Untersuchungshandlungen außer der Beiziehung des Haftbefehls wurden hier nicht mehr getätigt. Am 29.09.2020 stellte die Staatsanwaltschaft Würzburg sodann das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten gemäß § 154 Abs.1 StPO im Hinblick auf das Verfahren 105 Js 44481/20 der Staatsanwaltschaft Leipzig ein. Die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO sind damit zur Überzeugung der Kammer erfüllt.

Die Kammer vertritt auch weiterhin die Auffassung, dass die nachträgliche Beiordnung eines Verteidigers nach dem endgültigen Abschluss eines Verfahrens grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt und ein entsprechender Antrag unzulässig ist, da die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Beschuldigten oder seines Verteidigers dient, sondern allein dem Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.03.2020, Az. 1 Ws 19/20, 1 Ws 20/20).

Die Frage, ob im Hinblick auf die Intention des Gesetzgebers zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (vgl. Bundestag-Drucksache 19/13829 und Bundestag-Drucksache 19/15151) eine rückwirkende Bestellung ausnahmsweise zulässig ist, wenn der Antrag auf Bei-ordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch interne Vor-gänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da bereits die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO vorliegen, so dass es auf diese Frage nicht mehr ankommt.

3.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 StPO.


Einsender: RA T. Lößel, Altdorf

Anmerkung:


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