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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Straßenverkehrsgefährdung, Alleinrennen, höchst mögliche Geschwindigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 22.07.2020 – 207 StRR 245/20

Leitsatz: 1. Eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. d StGB setzt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der konkreten Gefahr und den durch die Unübersichtlichkeit der Strecke begründeten Risiken voraus. Dieser Zusammenhang kann nur festgestellt werden, wenn auszuschließen ist, dass die konkrete Gefahr nur gelegentlich des zu schnellen Fahrens entstanden ist, also positiv festzustellen ist, dass die Gefahr ohne die Unübersichtlichkeit des Streckenverlaufs nicht eingetreten wäre.
2. Mit höchstmöglicher Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nicht die Geschwindigkeit gemeint, die ein Fahrzeug bauartbedingt auf freier Strecke maximal erreichen kann, sondern die nach den objektiven Umständen, insbesondere dem Streckenverlauf maximal erreichbare Geschwindigkeit.
3. § 315d Abs. 5 StGB setzt Vorsatz nicht nur in Bezug auf die höchstmögliche Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB voraus, sondern auch in Bezug auf die Herbeiführung einer konkreten Gefährdung.
4. Bei der Prüfung, ob besondere Umstände, die im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB die Aussetzung einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr für ein Vergehen der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr rechtfertigen können, vorliegen, ist dem Umstand, dass sich das Tatopfer sehenden Auges in die Gefahr begeben hat, besonderes Gewicht beizumessen. Dem Umstand, dass dem Täter eine grob verkehrswidrige und rücksichtlose Fahrweise zur Last liegt, ist ebenfalls bei der Prüfung des § 56 Abs. 2 StGB in diesen Fällen besonderes Gewicht beizumessen. Das Doppelverwertungsverbot steht dem auch dann nicht entgegen, wenn der Täter nicht nur wegen fahrlässiger Tötung, sondern auch wegen einer tateinheitlich verwirklichten fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs zu verurteilen ist.


In pp.

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. November 2019 im Schuldspruch, soweit der Angeklagte der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig gesprochen wurde, und im Rechtsfolgenausspruch samt den dem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Landshut hat mit Eröffnungsbeschluss vom 26. Juni 2019 die auf verbotenes Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge lautende Anklage der Staatsanwaltschaft vom 20. Mai 2019 zugelassen. Mit Urteil vom 17. Juli 2019 hat es den Angeklagten der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, ihn zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt, seine Fahrerlaubnis eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von 2 Jahren bestimmt. Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung hat das Landgericht Landshut den Angeklagten der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig gesprochen, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten ohne Bewährung verurteilt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für deren Wiedererteilung von 2 Jahren bestimmt.

Das Landgericht hat zum Tatgeschehen folgende tatsächlichen Feststellungen getroffen:

Am 09.06.2018 stand dem Angeklagten das Fahrzeug BMW M 850i, amtl. Kennzeichen pp. der BMW AG zur Verfügung. Das Fahrzeug war am 19.03.2018 erstmals zugelassen worden und hatte einen Kilometerstand von 6.160 km. Die Motorleistung betrug 390 KW, es hatte einen Vierradantrieb. An diesem Tag war er bereits mit dem Fahrzeug in Würzburg und hatte seinen Sohn besucht. Das Fahrzeug war mit diversen Sicherheitssystemen ausgestattet, u.a. einer aktiven Hinterradlenkung, die unterhalb einer Geschwindigkeit von ca. 82 – 88 km/h mit Lenkeinschlag entgegen der Vorderachse mitlenkt, um so die Fahrstabilität bei Kurvenfahrt zu gewährleisten. Weiterhin war das Fahrzeug mit einem Anti-Schleuder-Programm („DSC“) ausgestattet.

Dieses System hatte der Angeklagte händisch deaktiviert.

Mit diesem Fahrzeug fuhr der Angeklagte am 09.06.2018 gegen 22.40 Uhr auf der Kreisstraße LA 45 im Gemeindebereich 84155 Bodenkirchen in Richtung Michlbach. Die Fahrt wurde aufgrund eines Wunsches der Mutter seiner jetzigen Ehefrau und damaligen Verlobten, der Beifahrerin R. V. durchgeführt. Die Fahrstrecke war dem Angeklagten nicht bekannt. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt weder alkoholisiert noch stand er unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln. Er und die Beifahrerin waren angeschnallt. Am Unfallort bestand keine Geschwindigkeitsbegrenzung.

Auf Höhe Abschnitt 100, Kilometer 0,9 durchfuhr der Angeklagte in einem Waldstück eine Kurvenkombination aus einer Links-, Rechts- und anschließenden Linkskurve. Die Sichtweite für den Angeklagten betrug ca. 100 m bei einem Lichtkegel von etwa 50 m. Unter grober Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durchfuhr der Angeklagte die Kurvenkombination mit einer Mindestgeschwindigkeit von 116 km/h unter Ausnutzung der Gegenfahrbahn. Ein sportlicher Normalfahrer hätte diese Kurvenkombination mit einer Geschwindigkeit von maximal 70 km/h durchfahren; ein geschulter, professionell agierender Fahrzeugführer hätte die Kurvenkombination mit einer Maximalgeschwindigkeit von 95 km/h regulär durchfahren können.

Der Angeklagte wäre nicht mehr in der Lage gewesen, bei Gegenverkehr rechtzeitig auszuweichen. Aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit geriet das Fahrzeug in der zweiten Linkskurve außer Kontrolle. Der Angeklagte hatte bewusst das AntiSchleuder-Programm ausgeschaltet. Das Fahrzeug brach mit dem Heck nach links aus, der Angeklagte konnte das Fahrzeug nicht mehr abfangen, so dass es nach rechts von der Fahrbahn abkam, dabei noch eine Geschwindigkeit von mindestens 91 km/h hatte und mit einem Baum kollidierte und anschließend auf das Fahrzeugdach fiel. Der Einschlag auf dem Fahrzeugdach hatte, für den Angeklagten vorhersehbar, zur Folge, dass die Beifahrerin R. V. massive Körperverletzungen, insbesondere verbunden mit einer Öffnung der Schädeldecke erlitt und am Unfallort noch verstarb. Der Angeklagte selbst erlitt leichte Schnittverletzungen über dem rechten Auge.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte mit am 26. November 2019 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Revision ein. Nach der Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe an die Verteidiger am 8. Januar 2020 begründete der Angeklagte die Revision mit am 30. Januar 2020 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz.

Er erhebt zwei formelle Rügen, jeweils gestützt auf den Umstand, dass das Landgericht den vor dem eigentlichen Unfallort liegenden Streckenverlauf abweichend von der Anklage und den Feststellungen des Sachverständigen als Links-Rechts-LinksKurvenkombination angenommen habe. Zum einen stützt er hierauf unter Vortrag des schriftlichen Sachverständigengutachtens eine Inbegriffsrüge. Zum andern rügt er eine Verletzung des § 265 Abs. 1 Ziffer 3 StPO, weil er vom Landgericht auf diese vom Tatvorwurf der Anklage abweichende Sachverhaltskonstellation als Tatvorwurf nicht hingewiesen worden sei.

Daneben erhebt er die allgemeine Sachrüge, in deren Rahmen er geltend macht, das Landgericht habe keine Feststellungen getroffen, die die Annahme einer Unübersichtlichkeit der Unfallörtlichkeit im Sinne von § 315 c Abs. 1 Nr. 2d StGB tragen. Darüber hinaus sei der Unfall auch nach den Feststellungen des Landgerichts nicht auf die Unübersichtlichkeit der Unfallörtlichkeit, sondern auf die unangepasste Geschwindigkeit zurückzuführen. Da an der Unfallstelle eine Geschwindigkeit von 100 km/h erlaubt gewesen und eine Durchfahrt mit 95 km/h möglich gewesen sei, könne bei vom Landgericht angenommenen 116 km/h der Verkehrsverstoß auch nicht als grob verkehrswidrig bewertet werden.

Auch der Umstand, dass der Angeklagte dabei gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe, begründe diesen Vorwurf nicht, da dieses „in Kurven häufig missachtet“ werde.

Der Angeklagte habe auch nicht rücksichtslos gehandelt. Vielmehr liege ihm lediglich ein Augenblicksversagen zur Last. Weitere Einwendungen erhebt er gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Strafzumessung, insbesondere gegen die Versagung der Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung.

In ihrer Gegenerklärung zur Revisionsbegründung verweist die Staatsanwaltschaft darauf, dass die Vorlage des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen die Inbegriffsrüge nicht trage, da dieser in der mündlichen Verhandlung von seinem schriftlichen Gutachten abweichende Angaben gemacht habe. Die Revisionsbegründung unterscheide nicht zwischen dem Ort des Fahrfehlers und dem Ort, an dem der dadurch bedingte Kontrollverlust eingetreten sein soll.

Die Generalstaatsanwaltschaft tritt der Revision im Hinblick auf den Schuldspruch teilweise bei. Die Annahme des Landgerichts, es liege ein Vergehen der Gefährdung des Straßenverkehrs vor, werde von dessen Feststellungen nicht getragen, da die Unfallursache allein die unangepasste Geschwindigkeit und nicht die Unübersichtlichkeit des Streckenverlaufs gewesen sei. Auch sei die Versagung der Bewährung vom Berufungsgericht nicht tragfähig begründet worden. Die formellen Rügen seien indes unbegründet und die Bemessung der Dauer der Freiheitsstrafe werde auch nicht von dem Umstand tangiert, dass das Landgericht angenommen hat, der Angeklagte habe gegen zwei Strafvorschriften verstoßen.

II.

Die nach §§ 333, 341 Abs. 1, 344 Abs. 1, Abs. 2 StPO zulässige Revision erzielt zumindest vorläufig einen Teilerfolg.

1) Da bereits auf die Sachrüge hin der diesbezügliche Schuldspruch aufzuheben ist, bedarf es eines Eingehens auf die formellen Rügen, die sich auf die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs beziehen, nicht.

2) Die Feststellungen des Landgerichts tragen eine Verurteilung des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt des § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB nicht.

a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht allerdings seine Annahme, der Angeklagte habe im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt, begründet.

aa) Der Hinweis der Revision darauf, dass der Angeklagte die rechtlich zulässige und technisch machbare Geschwindigkeit „nur“ um 16 bzw. 21 km/h überschritten habe, geht von einem verfehlten Ausgangspunkt aus. Insbesondere ist der erstaunliche Hinweis, der Verkehrsverstoß durch Missachtung des Rechtsfahrgebots in Kurven sei nicht als grober einzustufen, weil dies häufiger vorkomme, nur schwer nachzuvollziehen. Ob ein Verkehrsverstoß als grob zu qualifizieren ist, ist in einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Auch wenn sich aus den Feststellungen des Landgerichts nicht zwingend ergibt, dass die vom Angeklagten gefahrene Geschwindigkeit nur unter Missachtung des Rechtsfahrgebots zu erzielen war (so das schriftliche Sachverständigengutachten S. 25) ist die Annahme eines groben Verkehrsverstoßes in einer Gesamtschau nicht zweifelhaft.

bb) Die Annahme der Revision, dem Angeklagten liege lediglich ein den Vorwurf der Rücksichtslosigkeit nicht begründendes „Augenblicksversagen“ zur Last, ist mit den Feststellungen des Landgerichts zur Motivation für die Fahrt ebenso wenig zu vereinbaren wie mit dem von der Revision im Rahmen der Ausführungen zu § 56 Abs. 2 StGB thematisierten Verhalten des Tatopfers. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich das Tatopfer „bewusst in das Fahrzeug gesetzt, um zu sehen, was das Fahrzeug könne“. In der Revisionsbegründung wird hierzu ausgeführt: „Damit liegt es nahe, dass eine einverständliche Fremdgefährdung vorliegt. Denn wenn ein Beifahrer sehen will, was das Fahrzeug kann, so ist damit möglicherweise ein Einverständnis erklärt in eine Fahrweise, die das Fahrzeug an seine Grenze führt, denn nur dann lässt sich sehen, was das Fahrzeug kann“. Auch wenn der Senat den Feststellungen des Landgerichts im Widerspruch zur Generalstaatsanwaltschaft nicht entnehmen kann, dass die Getötete „den Täter zu der Übertretung der Verkehrsregeln und zu der Durchführung von riskanten Fahrmanövern animiert hatte“, ist die Feststellung des Landgerichts, vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Deaktivierung eines Sicherungssystems könne nicht von einem Augenblicksversagen ausgegangen werden, unmittelbar einleuchtend, wenn nicht zwingend. Der Schluss des Landgerichts darauf, dass sich der Angeklagte bewusst über seine Pflichten anderen Verkehrsteilnehmern gegenüber hinwegsetzte und Bedenken gegen seine Fahrweise nicht aufkommen ließ, trägt daher die Annahme rücksichtslosen Verhaltens im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB.

b) Die Feststellungen des Landgerichts tragen indes nicht die Annahme, der Angeklagte sei im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB an einer unübersichtlichen Stelle zu schnell gefahren. Gleiches würde für die vom Landgericht nicht in den Blick genommene Bestimmung des § 315c Abs. 1 Nr. 2e StGB gelten.

aa) Es fehlen schon genügende Anknüpfungspunkte für die Annahme einer Unübersichtlichkeit im Sinne der genannten Vorschriften.

Zwar kann sich die Unübersichtlichkeit auch aus den tageszeitbedingt eingeschränkten Lichtverhältnissen ergeben. Feststellungen dazu, insbesondere zu der durch die Fahrzeugscheinwerfer im konkreten Fall ausgeleuchtete Strecke finden sich im Urteil nicht. Soweit das Landgericht darauf verweist, dass die Fahrstrecke „im Verlauf der Kurven in dem Waldstück unübersichtlich und für den Fahrer nicht einsehbar gewesen sei“, bedürfte dies näherer Darlegungen. Der Hinweis auf den Lichtkegel der Fahrzeugscheinwerfer genügt insoweit nicht, da sich daraus nicht ersehen lässt, wann der Kurvenverlauf für den Fahrer einsehbar wurde.

bb) Unabhängig davon setzt eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2d StGB – gleiches gilt für § 315c Abs. 1 Nr. 2e StGB – einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der konkreten Gefahr und den Risiken an unübersichtlichen Stellen voraus (vgl. BGH, Beschl. v. 5. Juni 2019, 4 StR 130/19, StV 2019,812-813, juris Rn. 16 m. w. N.).

Dieser Zusammenhang kann nur festgestellt werden, wenn auszuschließen ist, dass die konkrete Gefahr nur gelegentlich des zu schnellen Fahrens entstanden ist, also positiv festzustellen ist, dass die sich im Unfall realisierende Gefahr ohne die Unübersichtlichkeit der Unfallörtlichkeit nicht eingetreten wäre (BGH, a. a. O., juris Rn. 19). Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen geben darüber keinen Aufschluss.

3) Die von der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Schuldspruchberichtigung kommt nicht in Betracht. Es ist nicht auszuschließen, dass der neu berufene Tatrichter Feststellungen trifft, die die Unübersichtlichkeit der Unfallörtlichkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 2d, Nr. 2e StGB zur Tatzeit sowie einen Gefahrverwirklichungszusammenhang in obigem Sinn belegen.

4) Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung wird hiervon nicht berührt und kann aufrechterhalten bleiben. Das wird auch mit der Revision nicht in Zweifel gezogen.

a) Unabhängig davon, wie der Streckenverlauf vor der eigentlichen Unfallstelle ausgestaltet war, ob von Unübersichtlichkeit im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2d oder 2e StGB auszugehen ist und ob es den für eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB erforderlichen Gefährdungszusammenhang gab, kam es zum Unfall jedenfalls auch, weil der Angeklagte das Fahrzeug bewusst mit überhöhter Geschwindigkeit steuerte. Dadurch hat er sorgfaltspflichtwidrig den Tod eines Menschen verursacht.

Zwischen der Straßenverkehrsgefährdung und der fahrlässigen Tötung bestünde gegebenenfalls Tateinheit (BGH, Urteil v. 22. August 1996, 4 StR 267/96, NStZ-RR 1997, 18, bei Juris Rn. 8).

b) Auch eine in Betracht zu ziehende Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB steht der Aufrechterhaltung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Tötung nicht entgegen, da auch insoweit von Tateinheit auszugehen wäre (Fischer, StGB, 67. Aufl. 2019, § 315d Rn. 26).

c) Die in der Anklage ursprünglich angenommene Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 StGB, hinter der eine Strafbarkeit nach § 222 StGB zurücktreten würde (Fischer, a. a. O. § 222 Rn. 34), kommt nicht in Betracht. Die Feststellung, die Getötete habe sich „bewusst in das Fahrzeug gesetzt um zu sehen, was das Fahrzeug könne“, legt zwar nahe, dass der Angeklagte mit seiner Fahrweise das Fahrzeug an seine Grenze führen wollte. Eine höchstmögliche Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB will erreichen, wer möglichst schnell fahren will (Fischer, a. a.O., § 315d Rn. 17). Dabei geht es nicht um die höchste bauartbedingt erreichbare Geschwindigkeit auf freier Strecke, sondern um die nach den objektiven Umständen (Fischer a. a. O. § 315d StGB, Rn. 18), insbesondere nach dem Streckenverlauf höchst mögliche erreichbare Geschwindigkeit. Darauf, ob der Angeklagte in dieser Situation – wie in der Anklageschrift angenommen - ein „Driften“ des Fahrzeugs angestrebt hat oder nicht, kommt es für die Tatbestandsmäßigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zwingend an, auch wenn darin ein Indiz für die Bejahung des Tatbestands zu sehen sein kann.

Die Anwendung des § 315d Abs. 5 StGB setzt aber darüber hinaus voraus, dass dem Angeklagten nicht nur im Hinblick auf den Verkehrsverstoß, sondern auch hinsichtlich der Herbeiführung der konkreten Gefährdung Vorsatz anzulasten wäre. Das Bewusstsein irgendeiner möglichen Gefahr genügt nicht. Vielmehr setzt Vorsatz in diesem Sinne voraus, dass dem Angeklagten die Kenntnis der Umstände, die einen konkreten Gefahrenerfolg als naheliegende Möglichkeit erscheinen lassen, anzulasten ist (so für die gleichgelagerte Fragestellung bei § 315c Abs. 1 StGB BGH, Beschl. v. 18. November 2017, 4 StR 542/97, NStZ-RR 1998, 150, juris Rn. 8 m. w. N.). Nach den Feststellungen des Landgerichts kannte der Angeklagte die Strecke nicht, so dass das Vorliegen des Verbrechenstatbestands nach § 315d Abs. 5 StGB auszuschließen ist, unabhängig davon, ob dem Angeklagten nachgewiesen werden kann, dass er im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB mit seiner Fahrweise eine höchstmögliche Geschwindigkeit erreichen wollte.

5. Die Aufhebung erfasst auch die vom Landgericht angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis. Zwar rechtfertigt auch der Vorwurf, als Führer eines Kraftfahrzeugs sich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht zu haben, regelmäßig die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob von § 69 StGB Gebrauch gemacht werden soll, ist aber stets die letzte tatrichterliche Aburteilung (Fischer, a. a. O. § 69 Rn. 46).

6. Gemäß § 349 Abs. 4 StPO i. V. m. § 354 Abs. 2 StPO war das Urteil des Landgerichts Landshut vom 21. November 2019 daher wie erfolgt im Schuldspruch teilweise und im Rechtsfolgenausspruch mit den diesbezüglich zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

a) Im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage, ob von einer Unübersichtlichkeit der Unfallstelle im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2d bzw. 2e StGB auszugehen ist, wird der neu berufene Tatrichter sich mit den hierzu bereits vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen nicht begnügen können. Die genauen Sichtverhältnisse zur Tatzeit sind streckenbezogen festzustellen. Der genaue Streckenverlauf, insbesondere die Frage, wo sich der Kurvenradius verjüngt, wird unter Berücksichtigung der vom Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten gefertigten Pläne festzustellen und zur genauen vom Angeklagten gewählten Fahrstrecke in Beziehung zu setzen sein. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach dem Vorbringen des Angeklagten schon die Annahme, es handle sich um eine LinksRechts-Links-Kurvenkombination, nicht zutrifft.

b) Der Senat regt an, im Hinblick auf den im Raum stehenden und im angefochtenen Urteil nicht abgehandelten Vorwurf der Strafbarkeit nach § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB eine Verfahrensweise nach § 154a Abs. 2 StPO in Erwägung zu ziehen.

c) Anhaltspunkte dafür, dass die bereits vom Amtsgericht für angemessen angesehene Festsetzung einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr nicht tat- und schuldangemessen ist, sind nicht erkennbar. Sollte der neue Tatrichter erneut eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr verhängen, ist im Rahmen der ihm obliegenden Prüfung, ob besondere Voraussetzungen für die Aussetzung dieser Freiheitsstrafe zur Bewährung im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, auf den Umstand, dass die Geschädigte sich möglicherweise sehenden Auges in Gefahr begeben hat, besonderes Gewicht zu legen. Andererseits ist auch der Umstand, dass der Angeklagte grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt hat, in die Betrachtung mit einzustellen. Die Annahme der Generalstaatsanwaltschaft, insoweit liege im Falle einer tateinheitlich verwirklichten fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot vor, greift zu kurz. Das ergibt sich schon daraus, dass diesem Umstand in dem Fall, in dem eine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nicht in Betracht kommt, im Rahmen der Prüfung des § 56 Abs. 2 StGB Gewicht beizumessen ist. Dann kann, falls § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht wird, grundsätzlich nichts anderes gelten, auch wenn sich dieser Umstand dann in der Tatsache verbirgt, dass dem Angeklagten zwei tateinheitlich verwirklichte Straftatbestände zur Last liegen. Der Denkfehler der gegenteiligen Auffassung besteht darin, dass die besonderen Umstände, die die Aussetzung einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr zur Bewährung rechtfertigen können, positiv festgestellt werden müssen und nicht umgekehrt deren Nichtvorliegen.

d) Gründe, die - isoliert betrachtet - die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung zur Verteidigung der Rechtsordnung gem. § 56 Abs. 3 StGB gebieten können, sind im Übrigen bereits bei der Frage, ob besondere Umstände vorliegen, die die Aussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung gem. § 56 Abs. 2 StGB begründen können, zu berücksichtigen.


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