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Entscheidungen

OWi

Geschwindigkeitsüberwachung, Einsatz Privater, Zulässigkeit, Verwertbarkeit der Messung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 06.11.2019 – 2 Ss OWi 942/19

Leitsatz: 1. Die Überwachung des fließenden Verkehrs ist Kernaufgabe des Staates. Sie dient dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der am Verkehr teilnehmenden Bürger. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe, die unmittelbar aus dem Gewaltmonopol folgt und deswegen bei Verstößen berechtigt, mit Strafen und/oder Bußgeldern zu reagieren. Sie ist ausschließlich Hoheitsträgern, die in einem Treueverhältnis zum Staat stehen, übertragen.
2. In der Folge kann der Staat nicht die Regelungs- und Sanktionsmacht an „private Dienstleister“ abgeben, damit diese für ihn als „Subunternehmer“ ohne Legitimation hoheitliche Aufgaben wahrnehmen.
3. Zuständig für die kommunale Verkehrsüberwachung ist der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde. In dieser Funktion ist er kein kommunales Selbstverwaltungsorgan, sondern Teil der Polizei und unmittelbar der Dienst- und Fachaufsicht des Innenministeriums unterworfen.
4. Bei der Verkehrsüberwachung des fließenden Verkehrs beim Einsatz technischer Verkehrsüberwachungsanlagen ist die Hinzuziehung und Übertragung von Aufgaben an private Dienstleister bzw. Personen, die nicht in einem Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen, ausgeschlossen.
5. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) regelt ausdrücklich nicht die Übertragung hoheitlicher Aufgaben.


In pp.

1. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stadt2 wird die Rechtsbeschwerde zugelassen (§ 80 Abs. 1 und 2 OWiG).
2. Die Sache wird zur Fortbildung des Rechts zur Entscheidung dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a OWiG).
3. Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
4. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Das Regierungspräsidium Stadt1 hat mit Bußgeldbescheid vom 01.02.2019 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 6 km/h eine Geldbuße in Höhe von 10,- Euro festgesetzt. Auf seinen Einspruch hin hat das Amtsgericht den Betroffenen mit Urteil vom 29.05.2019 aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 30.08.2018 um 10.35 Uhr in A die L … mit 56 km/h statt der erlaubten 50 km/h. Die Messung erfolgte durch den Zeugen1 mittels des geeichten Gerätes Leivtec XV3. Das vom Zeugen1 gefertigte und unterschriebene Messprotokoll enthält in dem Feld „Bemerkungen“ folgende Ausführungen:
„Bei dem o.g. Geschwindigkeitsmessgerät handelt es sich um ein Leihgerät. Nach Beendigung der Messung werden die Daten durch den Messbeamten (Ordnungspolizeibeamter) auf einem externen Datenspeicher gesichert und in der Verwaltung deponiert. Die Auswertung erfolgt ebenfalls durch einen Ordnungspolizeibeamten in der Verwaltung. Die Ordnungspolizeibeamten sind in der Stadt B beschäftigt.“

Zum Tatzeitpunkt war die Geschwindigkeitsüberwachung der Gemeinde C, die mit der Gemeinde A einen gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirk bildet, so organisiert, dass die Ortspolizeibehörde für die jeweiligen Messungen das Messgerät bei einer Privatfirma mietete. Der Zeuge1, der die Messung durchgeführt hat, war zum Tatzeitpunkt Angestellter bei der X GmbH. Zwischen der X GmbH und der Gemeinde C, die für den gemeinsamen Ordnungsbezirk die Verkehrsüberwachung durchführt, wurde am 23.03.2017 ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis 15.12.2017 zum Zwecke der „Unterstützung bei der Durchführung von Geschwindigkeitsprotokollen, allgemeine Datenverarbeitung und Erstellung von Messberichten“ zum Stundenverrechnungssatz von 23,12 € geschlossen. Mit Datum vom 20.12.2017 wurde dieser Vertrag für den Zeitraum 01.01.2018 bis 28.09.2018 abgeändert und die Tätigkeit als „Hilfspolizist“ für die „Unterstützung bei der Durchführung von Verkehrskontrollen, Aufbereitung“ beschrieben. Der Stundensatz betrug 23,58 €, und es erfolgte ein Hinweis auf den TVÖD.

Nach den weiteren Feststellungen war der Zeuge1 im Tatzeitraum als „Ordnungspolizeibeamter“ für die Gemeinden C sowie für zwei weitere Gemeinden (D und B) durch den Landrat des E-Kreises bestellt worden. Die Bestellungsurkunde ist dem Zeugen1. durch seinen Arbeitgeber, die X GmbH, ausgehändigt worden.

Nach Ansicht des Amtsgerichts hat die Ortspolizeibehörde die Verkehrsüberwachung gesetzeswidrig durch private Dienstleister durchführen lassen. In der Folge hat das Amtsgericht mit einer umfangreichen Begründung unter Berücksichtigung der sog. „Lauterbach-Entscheidung“ des Senats vom 26.04.2017 (2 Ss-Owi 295/17, NStZ 2017, 588, 590) eine nachträgliche Rekonstruktion der Beweisführung bei einem mobilen Messgerät abgelehnt und ein generelles Beweisverwertungsverbot angenommen.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Stadt2 mit ihrem nach §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 OWiG statthaften, auch form- und fristgerecht angebrachten und ebenso begründeten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den sie mit der Fortbildung des Rechts zur Frage der Voraussetzungen eines Beweisverwertungsverbots bei rechtswidrigen Verkehrsüberwachungen begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Antrag auf Zulassung beigetreten und beantragt, die zuzulassende Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 OWiG).

Die Rechtsbeschwerde ist zur Untermauerung und Festigung der bestehenden Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 26.04.2017 – 2 Ss-OWi 295/17, NStZ 2017, 588, 590, sog. „Lauterbach-Entscheidung“) zur gesetzeswidrigen Verkehrsüberwachung durch private Dienstleister, hier überlassener Arbeitnehmer einer juristischen Person des Privatrechts, der bei einer örtlichen Ordnungsbehörde im Bereich der Verkehrsüberwachung tätig ist, zuzulassen. Die hiermit in Zusammenhang stehende abstraktionsfähige und entscheidungserhebliche Rechtsfrage bezieht sich auf die daraus resultierenden prozessualen Folgen.

Die Untermauerung und Festigung der bestehenden Rechtsprechung erscheint hier geboten, weil der vorliegende Fall exemplarisch zeigt, dass auf der Ebene der Ortspolizeibehörden in Hessen trotz der unmissverständlichen Grundsatzentscheidung des Senats vom 26.04.2017 (2 Ss-OWi 295/17, NStZ 2017, 588, 590) und des klaren Hinweises an die Dienst- und Fachaufsicht des Innenministeriums die Missstände bei der kommunalen Verkehrsüberwachung abzustellen, zumindest einige Bürgermeister als Ortspolizeibehörden bei der kommunalen Verkehrsüberwachung weiterhin gesetzwidrig agieren. Dies ist vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes dem Rechtsfrieden und dem Vertrauen in die Rechtmäßigkeit polizeilicher Verkehrsüberwachung abträglich.

Da der vorliegende Fall kein Einzelfall ist, sondern nach den Feststellungen des Amtsgerichts weitere Kommunen betroffen und zwischenzeitlich auch aus anderen Bezirken Verfahren beim Senat anhängig gemacht worden sind, wird das Verfahren wegen seiner rechtlichen Bedeutung zur Entscheidung auf den Senat übertragen (§ 80a OWiG).

III.

Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird, wie von der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend beantragt, als unbegründet verworfen. Das Amtsgericht hat den Betroffenen zu Recht freigesprochen.

Die vorliegend durchgeführte Verkehrsüberwachung durch den gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirk der Gemeinden C und A ist gesetzeswidrig. Die im hoheitlichen Auftrag von einer privaten Person durchgeführte Geschwindigkeitsmessung hat keine Rechtsgrundlage. In der Folge hätte das Regierungspräsidium Stadt1 keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen.

1. Die Ortspolizeibehörde des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks der Gemeinde C und A hat in gesetzeswidriger Weise die ihr hoheitlich zugewiesene Verkehrsüberwachung durch einen privaten Dienstleister durchführen lassen.


Die Überwachung des fließenden Verkehrs ist Kernaufgabe des Staates. Sie dient dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der am Verkehr teilnehmenden Bürger. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe, die unmittelbar aus dem Gewaltmonopol folgt und deswegen bei Verstößen berechtigt, mit Strafen und/oder Bußgeldern zu reagieren. Sie ist ausschließlich Hoheitsträgern, die in einem Treueverhältnis zum Staat stehen, übertragen.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits sehr früh in grundlegender Art und Weise dargelegt, „dass die Sicherheit des Staates als verfasster Friedensgrundordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung Verfassungswerte sind, die mit anderen im gleichen Rang stehenden und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letztliche Rechtfertigung herleitet“ (so BVerfGE 49, 24, 56 f. = NJW 1978, 2235, vgl. auch BVerfGE 46, 160, 164 f. = NJW 1977, 2255).

In der Folge kann der Staat nicht die Regelungs- und Sanktionsmacht, die er von der Bevölkerung zur Begründung seiner eigene Legitimation an sich zieht, so ohne Weiteres wieder an „private Dienstleister“ abgeben, damit diese dann für ihn als „Subunternehmer“ ohne Legitimation hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Mit dem Recht etwas zu „dürfen“, folgt nicht automatisch das Recht, mit diesem „Dürfen“ beliebig umzugehen. Der Bürger hat einen Anspruch darauf, dass der Staat die ihm gewährte Macht im Rahmen der ihm gewährten Regelungskompetenz eigenverantwortlich ausübt und nach Prinzipien eines Rechtsstaates gerichtlich überprüfbar rechtfertigt.

Will ein staatliches Exekutivorgan die ihm gewährte Regelungs- und Sanktionsmacht delegieren, muss es dafür eine im Rahmen eines gesetzgeberischen Verfahrens durch die parlamentarische Repräsentation der Bevölkerung (Legislative) ergangene Ermächtigungsgrundlage haben. Soweit es sich nicht ohnehin um absolute hoheitliche Kernaufgaben handelt, die von einem derartigen Verfassungsrang sind, dass sie grundsätzlich nicht übertragbar sind, wozu insbesondere Justiz, Polizei und die Fiskalverwaltung gehören, muss in dieser Ermächtigungsgrundlage klar und eindeutig bestimmt sein, was übertragen wird, warum es übertragen wird, wie es übertragen wird und wie es kontrolliert wird (vgl. z.B. § 27c Abs. 2 LuftVG).

Eine derartige Rechtsgrundlage, die eine Übertragung der staatlichen Verkehrsüberwachung auf private Dienstleister ermöglicht, ist nicht erlassen worden. Sie ist angesichts von ca. 7 Mio. Bußgeldverfahren in Deutschland jährlich, die im Wesentlichen auf der Beweisführung durch den Einsatz technischer Überwachungsgeräte im sog. standardisierten Messverfahren erfolgt sind, auch nicht so ohne Weiteres möglich.

Zuständig für die kommunale Verkehrsüberwachung ist der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde. In dieser Funktion ist er kein kommunales Selbstverwaltungsorgan, sondern Teil der Polizei und unmittelbar der Dienst- und Fachaufsicht des Innenministeriums unterworfen. Er hat sich im Rahmen seiner polizeilichen Tätigkeit zwingend an Recht und Gesetz zu halten, und er haftet als Ortspolizeibehörde für die Gesetzmäßigkeit seiner polizeilichen Tätigkeit.

Für die kommunale Verkehrsüberwachung bedeutet dies, dass die Überwachung von ihm als „Ortspolizeibehörde“ durchgeführt wird. Verwendet er dabei Verkehrsüberwachungstechnik, hat er zu garantieren, dass die nach Maßgaben des Mess- und Eichgesetzes von der PTB in der Zulassung der Verkehrsmesstechnik vorgegebenen Anforderungen eingehalten werden und der behauptete Verkehrsverstoß in einem in sich geschlossenen System der Beweisführung prozessual einer gerichtlicher Überprüfung genügt.

Der Senat hat in mehreren Entscheidungen (grundsätzlich im Beschluss v. 26.04.2017 – 2 Ss-OWi 295/17, sog. „Lauterbach-Entscheidung“) ausgeführt, dass bei der Verkehrsüberwachung des fließenden Verkehrs beim Einsatz technischer Verkehrsüberwachungsanlagen die Hinzuziehung und Übertragung von Aufgaben an private Dienstleister bzw. Personen, die nicht in einem Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen, ausgeschlossen ist (vgl. dazu auch Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 99 Rdn. 34 f).

Die Ortspolizeibehörde des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks der Gemeinden C und A ist daher nur berechtigt, die Verkehrsüberwachung durch eigene Bedienstete (mit entsprechender Qualifikation) vorzunehmen.

2. Der Zeuge1 ist kein Bediensteter der Gemeinde C. Die Überlassung des Zeugen1 als „Messbediensteter“ im Wege der Arbeitnehmerüberlassung von der X GmbH ist rechtswidrig und seine anschließende Bestellung zum „Ordnungspolizeibeamten“ durch den Landrat ist nichtig.

a) Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) regelt ausdrücklich nicht die Übertragung hoheitlicher Aufgaben. Es dient vielmehr dazu, den Missbrauch von Arbeitnehmerüberlassung im privatwirtschaftlichen Bereich einzudämmen und den durch die Europäische Union vorgegebenen Rechten und Schutzregelungen für den Europäischen Rechtsraum mehr Geltung zu verschaffen. Es ist vom Grundsatz darauf ausgerichtet, Regelungen zu schaffen, durch die eine im Rahmen einer wirtschaftlichen Unternehmung kurzfristig auftretende Tätigkeitsspitze durch zeitlich befristete Hinzuziehung fremder Arbeitskräfte ausgeglichen werden kann. Aus diesem Grund sind Arbeitnehmerüberlassungen erlaubnispflichtig und bei fehlender Erlaubnis nach § 9 AÜG unwirksam (vgl. zur Ausnahme § 1 Abs. 3 Nr. 2c) AÜG i.V.m. im öffentlichen Dienst geltenden Personalgestellungen nach § 4 Abs. 3 TVöD / TV-L / TV-H als lex specialis).

Vorliegend ist für die Übertragung der hoheitlichen Verkehrsüberwachung weder grds. der Anwendungsbereich des AÜG eröffnet, noch lag hier eine Erlaubnis vor oder waren überhaupt die gesetzlichen Regelungen für Personalgestellung beachtet worden. Von besonderer Bedeutung ist aber, dass selbst nach den Regelungen des AÜG (die Anwendbarkeit unterstellt) der entliehene Arbeitnehmer – hier der Zeuge1 – durch die Überlassung auch nicht Bediensteter des Übernehmenden (Entleiher) – hier der Gemeinde C – hätte werden können (vgl. unzutreffend Meixner/Friedrich, HSOG, 12. Aufl., § 99 Rdn. 7, da contra legem § 10 AÜG). Nach dem AÜG bleibt der entliehene Arbeitnehmer (der Zeuge1) grds. Arbeitnehmer des verleihenden Unternehmens (vorliegend der X GmbH). Dass er in den Geschäftsbetrieb des Entleihers eingebunden wird und dem dortigen Weisungsrecht unterliegt, ändert daran nichts.

b) Verstößt die vorliegende Arbeitnehmerüberlassung zwischen der X GmbH und der Gemeinde C schon gegen geltendes Recht, ist in der Folge die Bestellung des Zeugen1 zum „Ordnungspolizeibeamten“ durch den Landrat des E-Kreises überdies auch noch nichtig.

Nach § 99 HSOG können zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben der Gefahrenabwehr oder zur hilfsweisen Wahrnehmung bestimmter polizeilicher Aufgaben Hilfspolizeibeamtinnen und Hilfspolizeibeamte bestellt werden; in den Landkreisen und Gemeinden können sie die Bezeichnung Ordnungspolizeibeamtin oder Ordnungspolizeibeamter führen. § 99 Abs. 3 HSOG regelt die Bestellungskompetenz der Behörden, gestaffelt nach den ihnen jeweils zugewiesenen Funktionen (vgl. zur Gesetzesänderung und Neufassung: Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 99 Rdn. 2 m.w.N.). § 99 Abs. 3 HSOG ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift und gemäß der gesetzgeberischen Konstruktion vor dem Hintergrund seines eng auszulegenden Ausnahmecharakters zu Art. 33 Abs. 4 GG so aufgebaut, dass die jeweilige Behörde für die ihr übertragenen Tätigkeiten jeweils „eigene Bedienstete“ und „Bedienstete“ der jeweils nachgeordneten Behörden als „Hilfspolizeibeamte“ bestellen können (vgl. zum Ganzen Hornmann, HSOG, 2. Aufl., § 99 Rdn. 2 ff; 7f und 34 ff).

Danach ist der Bürgermeister der Gemeinde C als Ortspolizeibehörde gem. § 99 Abs. 3 Nr. 2 HSOG befugt zur Wahrnehmung der kommunalen Verkehrsüberwachung, eigene Bedienstete zu Hilfspolizeibeamten bzw. Ordnungspolizeibeamten zu bestellen.

Da der Zeuge1 kein Bediensteter der Gemeinde C war, scheidet diese Möglichkeit der Bestellung aus.

Für die vorliegend tatsächlich vorgenommene Bestellung des Zeugen1 durch den Landrat des E-Kreises fehlen gleich beide Voraussetzungen.

Der Zeuge1 ist auch kein Bediensteter des Landrats. Die kommunale Verkehrsüberwachung ist auch keine Polizeitätigkeit, die dem Landrat übertragen ist, so dass insoweit dem Landrat auch grds. die Bestellungskompetenz fehlt.

Der Landrat war damit für die Bestellung des Zeugen1 zum Hilfspolizeibeamten bzw. Ordnungspolizeibeamten offensichtlich sachlich und örtlich unzuständig.

Inwieweit die Bestellungskompetenz gem. § 99 Abs. 3 HSOG durch Art. 1 § 1 des Hessischen Gesetzes über die Umorganisation der Polizei (HPUOG) vom 22.12.2000 (GVBl. 1 S. 577), in dem die Polizei aus der allgemeinen Verwaltung herausgelöst und in der Folge die Regierungspräsidien und die Landräte keine polizeilichen Aufgaben mehr wahrnehmen sollten (vgl. dazu Meixner/Friedrich, HSOG, 12. Aufl., § 91 Rdn. 1) eine Anpassung auch des § 99 Abs. 3 HSOG erforderlich macht, kann vorliegend dahin stehen.

Nach alledem war der Zeuge1 weiterhin Mitarbeiter der X GmbH und die durchgeführte hoheitliche Verkehrsüberwachung war statt durch die Polizei bewusst rechtswidrig durch einen privaten Dienstleister durchgeführt worden.

IV.

Die Folgen dieses gesetzeswidrigen und teilweise nichtigen Handelns ist, dass das Verfahren nicht als Grundlage für den Erlass eines Bußgeldbescheids dienen kann. Die gesetzwidrig angeordnete und gesetzwidrig durchgeführte Verkehrsüberwachung unterliegt einem generellen Verfahrensverbot. Die so erhobenen Beweise hätten nicht erhoben werden dürfen und können daher nicht Grundlage einer Sanktionierung sein.

Der Bürgermeister bedient sich hier als „Ortspolizei“ der ausschließlich der Polizei übertragenen Rechte und Pflichten, indem er polizeiliche Maßnahmen – die Verkehrsüberwachung – anordnet. Anschließend lässt er die Verstöße, ohne dass er die Verstöße auf gesetzlich zulässiger Weise tatsächlich als Polizei ermittelt hat, bußgeldbewehrt sanktionieren.

Das Amtsgericht hat vorliegend allerdings nicht nur das gesetzeswidrige Agieren des verantwortlichen Bürgermeisters als Ortspolizeibehörde als solches aufgedeckt, es hat nach den Feststellungen darüber hinaus eine vorsätzliche Irreführung und Täuschung der Bürger und des Gerichts angenommen.

Der Richtigkeit dieser Annahme kann der Senat angesichts der getroffenen Feststellungen nicht entgegentreten.

Die maßgebliche Rechtslage ergibt sich wie oben ausgeführt aus dem Gesetz. Die sog. „Lauterbach-Entscheidung“ des Senats war veröffentlicht und allgemein bekannt. Gleiches gilt für die maßgeblichen Erlasse des Innenministeriums.

Der verantwortliche Bürgermeister hat in Kenntnis dessen, was rechtlich richtig gewesen wäre, vorliegend ein Konstrukt gewählt, um die einzig richtige Handlung, nämlich einen „Bediensteten“ zur Verkehrsüberwachung einzustellen, was in der Folge dieses Verfahrens mittlerweile geschehen ist, zu umgehen. Dabei hat er, wie das Amtsgericht zu Recht ausgeführt hat, bewusst und gewollt, den privaten Zeugen1 im guten Glauben als Ordnungspolizeibeamten agieren und zusätzlich die Messprotokolle, die neben der Falldatei des Messgeräts zentraler Beleg für die Richtigkeit des Messaufbaus sind, fälschlich als verantwortlichen Messbeamten unterschreiben lassen.

Dadurch hat die verantwortliche Ortspolizeibehörde, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, durch die Formulierung im Messprotokoll offensichtlich gewollt nach außen den Anschein erweckt, dass die Messung durch einen bei der Gemeinde unmittelbar beschäftigten und gesetzeskonform ernannten Ordnungspolizeibeamten erfolgt ist. In der Folge wurde für die Betroffenen, deren Verteidiger, aber auch für die Zentrale Bußgeldstelle in Stadt1 und das Gericht durch die so ohne Weiteres nicht erkennbare rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung, die nachfolgende nichtige Bestellung zum Ordnungspolizeibeamten und die regelmäßig verwendete falsche und irreführende Formulierung im Messprotokoll gezielt der – unzutreffende – Eindruck einer ordnungsgemäßen Messung mit Hilfe eines standardisierten Messverfahrens durch einen unmittelbar bei der Gemeinde beschäftigten und gesetzeskonform ernannten Ordnungspolizeibeamten erweckt.

Dass die ganze Konstruktion der Täuschung dienen sollte und auch über einen längeren Zeitraum gedient hat, hat das Amtsgericht in nicht zu beanstandender Weise auch damit begründet,
„dass im vorliegenden Messprotokoll lediglich darauf hingewiesen wurde, dass es sich um ein Leihgerät handelt, weil sich dies bei Würdigung des Eichscheines, der nicht für die Gemeinde, sondern für eine Privatfirma ausgestellt wurde, aufdrängt. Durch diese Formulierung sollten offensichtlich Nachfragen von Verteidigern (nach erfolgter Akteneinsicht) vermieden werden, was durchaus zulässig ist. Dass aus dem Messprotokoll hingegen nicht hervorgeht, dass der Einsatz des Messbeamten im Wege der Arbeitnehmerüberlassung erfolgt ist, sondern im Gegenteil der Eindruck erzeugt wird, dass es sich bei dem Messbeamten um einen bei der Gemeinde beschäftigten Ordnungspolizeibeamten handelte, ist in diesem Zusammenhang zu beanstanden. Denn während der Einsatz eines Leihgerätes grundsätzlich unproblematisch ist, wie sich auch aus dem einschlägigen Erlass ergibt, ist die Messung im Wege der Arbeitnehmerüberlassung keinesfalls unproblematisch. Durch die konkreten Formulierungen im Messprotokoll wird der Sachverhalt verschleiert. Hierdurch hatten – über längere Zeit – weder die Betroffenen und Verteidiger noch das zuständige Amtsgericht die Möglichkeit, den der Messungen zu Grunde liegenden Sachverhalt vollständig zu erfassen und zu würdigen.“

In der Folge dieses gesetzeswidrigen Handelns sind sämtliche Verkehrsüberwachungen des gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirks der Gemeinden C und A mindestens seit dem 23.03.2017 unzulässig (derzeit bekannter Beginn der Verkehrsüberwachung durch einen privaten Dienstleister). Darüber hinaus dürfte dies auch für die Gemeinden D und B gelten, da der Zeuge1 dort nach den Feststellungen ebenfalls unter den genannten Bedingungen tätig war.

Da die vorliegende hoheitliche Verkehrsüberwachung nach dem geltenden Recht so nicht hätte durchgeführt werden dürfen, unterliegen die den Verkehrsverstoß begründenden Beweismittel bereits einem generellen Beweiserhebungsverbot. Nur die Polizei ist berechtigt (und verpflichtet) hoheitliche Verkehrsüberwachungen zum Schutze von Leben und Gesundheit der Bevölkerung durchzuführen. Dies ist vorliegend nicht geschehen.

Der Bürgermeister war daher nicht berechtigt, sich des hoheitlichen Sanktionsinstrumentariums zu bedienen und einen Bußgeldbescheid bei der Zentralen Bußgeldstelle in Stadt1 zu beantragen.

Die vom Amtsgericht und der Staatsanwaltschaft aufgeworfene Frage, eines Beweisverwertungsverbots stellt sich danach nicht mehr.

Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist das durch einen privaten Dienstleister gefertigten Beweismittel – nämlich die Falldatei mit dem Lichtbild und dem Geschwindigkeitswert – vorliegend auch entgegen der Vorgaben des standardisierten Messverfahrens entstanden und wäre danach prozessual ggf. unverwertbar (vgl. zu den Besonderheiten bei bestimmten stationären Messgeräten Beschluss v. 26.04.2017 – 2 Ss-OWi 295/17). Da vorliegend aber die gesamte Verkehrsüberwachung gesetzeswidrig ist, unterliegt das Beweismittel keinem Verbot mehr, sondern es ist schon nicht geeignet, den notwendigen Beweis zu erbringen.


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