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Entscheidungen

Haftfragen

Strafvollzug, Haftraum, Aufbewahrung von Akten

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 1 Vollz (Ws) 406/18

Leitsatz: Zur Frage, wie viele (Verfahrens)Akten der Strafgefangene im Haftraum verwahren kann/darf.


Oberlandesgericht Hamm
Beschluss

1 Vollz (Ws) 406/18

Strafvollzugssache
betreffend den Strafgefangenen pp.
zurzeit in der JVA Remscheid,
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörden
(hier: Ablehnung des Besitzes zweier weiterer Aktenordner).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 24.07.2018 gegen den Beschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal vom 13.07.2018 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.09.2018 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Betroffene verbüßt Freiheitsstrafe in der JVA Remscheid. Er beantragte bei der JVA die Herausgabe von fünf Verfahrensakten zur Verwahrung in seinem Haftraum, was unter Bezugnahme auf eine Dienstanweisung aus dem Jahr 2012, nach der jeder Gefangene höchstens drei Aktenordner im Haftraum verwahren darf, hinsichtlich zweier Ordner abgelehnt wurde. Der Betroffene beantragte mit Schreiben vom 11.07.2018 die gerichtliche Entscheidung mit den Anträgen, „die Beschränkung auf drei Verfahrensakten im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig festzustellen" und ihm im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu genehmigen, fünf Verfahrensakten auf dem Haftraum zu besitzen.

Die Strafvollstreckungskammer hat beide Anträge zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin sei befugt, durch eine abstrakt-generelle Verwaltungsvorschrift das Tatbestandsmerkmal der „Übersichtlichkeit" (des Haftraums) gemäß § 15 Abs. 2 StVollzG NRW zu konkretisieren. Die streitgegenständliche Dienstanweisung sei der Kammer bekannt, ebenso die in der JVA Remscheid übliche Praxis, den Gefangenen zu gestatten, bei Bedarf auf der Kammer Unterlagen aus weiteren Ordnern umzuheften. Gründe für ein Absehen von der Verwaltungsvorschrift im Einzelfall seien nicht vorgetragen.

Gegen den Beschluss richtet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrundes für unzulässig.

II.

1. Der Rechtsbeschwerde liegt ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung zugrunde. Denn ungeachtet der Formulierung des Betroffenen. in der Hauptsache beantrage er die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschränkung auf drei Verfahrensakten, ergibt die gebotene Auslegung des Antrags im Lichte seiner schriftlichen Begründung, dass der Betroffene die Verpflichtung der Vollzugsbehörde begehrt, ihm den Besitz auch der beiden weiteren Aktenordner zu gestatten, wobei er lediglich inzidenter die Rechtswidrigkeit der Beschränkung auf drei Aktenordner festgestellt wissen will.

2. Die Rechtsbeschwerde war auch zuzulassen.

Über die in § 116 StVollzG ausdrücklich geregelten Zulassungsgründe hinaus ist die Rechtsbeschwerde nach allgemeiner Auffassung auch dann zuzulassen, wenn die tatsächlichen Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen der angefochtenen Entscheidung so unzureichend sind, dass das Rechtsbeschwerdegericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht überprüfen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 28.10.2014 - 111-1 Vollz(V1/s) 497/14 -, Beschluss vom 12.11.2013 - 111-1 Vollz(VI/s) 517/13 -, jew. zit. n. juris; Arloth in: Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 116 Rn. 4 m. w. N.; Bachmann in: Laubenthal/Nestier/NeubacheriVerrel, Strafvollzugsgesetze, 12. Aufl., Abschnitt P, § 116 Rn. 95). Um eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, müssen die von Amts wegen zu ermittelnden (§ 120 Abs. 1 StVollzG i.V.m § 244 Abs. 2 StPO) entscheidungserheblichen Tatsachen und die tragenden rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden. § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG bestimmt deshalb, dass der Sach- und Streitstand im Beschluss jedenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach in gedrängter Form darzustellen ist.

Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht. Denn ohne jegliche (wenn auch gestraffte) Feststellungen bzw. Ausführungen zu Zuschnitt und Ausstattung des Haftraumes des Betroffenen vermag der Senat nicht zu überprüfen, ob die Strafvollstreckungskammer § 15 Abs. 2 StVollzG zutreffend angewandt hat. Nach dieser Vorschrift dürfen Gefangene ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausstatten. In Gewahrsam haben dürfen sie nur, was ihnen von der Anstalt oder mit deren Erlaubnis überlassen worden ist, aber keine Gegenstände, welche die Übersichtlichkeit des Haftraums behindern, eine unverhältnismäßige Überprüfung erfordern oder sonst die Sicherheit und Ordnung der Anstalt oder die Erreichung des Vollzugsziels gefährden können. Bei den Tatbestandsmerkmalen „angemessener Umfang", „Behinderung der Übersichtlichkeit", „unverhältnismäßige Überprüfung" u.s.w. handelt es sich jeweils um unbestimmte Rechtsbegriffe, deren richtige Anwendung gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl. OLG Hamm NStZ 1990, 151; Arloth, a.a.O., § 15 StVollzG NRW, Rn. 2 i.V.m. § 19 StVollzG, Rn. 10 m.w.N.).

Die Strafvollstreckungskammer ist der Auffassung, die Beschränkung des Besitzes von Verfahrensakten auf drei Ordner sei — auch im konkreten Fall des Betroffenen — zur Wahrung der Übersichtlichkeit des Haftraums gerechtfertigt. Sie trifft aber weder Feststellungen zu Größe, Zuschnitt und Ausstattung dieses Haftraums noch zu Art und Anzahl sonstiger Gegenstände im Gewahrsam des Betroffenen, so dass für den Senat nicht erkennbar ist, inwiefern die Bewertung, der Besitz zweier weiterer Ordner behindere die Übersichtlichkeit des Haftraums tatsächlich soweit, dass er dem Betroffenen versagt werden müsste, gerechtfertigt erscheint. Allein die Existenz der in Bezug genommenen „Dienstanweisung" rechtfertigt die vorgenommene Beschränkung nicht, zumal auch bei Vorliegen einer abstrakt generellen — als solcher nicht anfechtbaren (vgl. OLG Hamm NStZ 1985, 354; Arloth/Krä, § 109 StVollzG Rn. 10) Regelung — die Vollzugsbehörde grundsätzlich gleichwohl zu einer individuellen Ermessensentscheidung über eine beantragte Abweichung von der Regel im Einzelfall (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06. April 2016 — 2 Ws 68/16 —, juris) verpflichtet bleibt. Hierzu fehlt es ebenfalls an Feststellungen. Soweit die Strafvollstreckungskammer ausführt, „Gründe, welche ein Absehen von der Verwaltungsvorschrift in dem konkreten Fall erfordern würden", seien „nicht dargelegt", ist vielmehr zu besorgen, dass sie in unzulässiger Weise ihr eigenes Ermessen anstelle desjenigen der Vollzugsbehörde gesetzt hat.

Zu der Frage, ob der Besitz weiterer Ordner seitens der JVA gegebenenfalls auf Grundlage der weiteren Versagungsgründe des § 15 Abs. 2 S. 3 StVollzG NRW (unverhältnismäßiger Überprüfungssaufwand bzw. sonstige Gefährdung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt oder der Erreichung des Vollzugsziels) unterbunden worden ist, verhält sich die angefochtene Entscheidung, welche allein auf die Frage der Übersichtlichkeit des Haftraumes abstellt, ebenfalls nicht. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass es bezüglich der Ermächtigungsalternativen des § 15 Abs. 2 S. 3 StVollzG NRW grundsätzlich der Entscheidungszuständigkeit der Vollzugsanstalt unterliegt, auf welchen gegebenenfalls eine Eingriffsermächtigung ausfüllenden Sachverhalt ein Verbot gestützt werden soll, und die Strafvollstreckungskammer im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der für die jeweiligen Ermächtigungsalternativen maßgeblichen Beurteilungskriterien nicht befugt ist, insoweit eine eigene Entscheidung zu treffen.

Da dem Senat eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung aus den oben genannten Gründen mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht möglich ist, war der angefochtene Beschluss schon deshalb auf die Sachrüge hin aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 S. 3 StVollzG).

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin. dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Besitz von zwanzig Büchern und fünf Leitzordnern als zulässig angesehen wurde (OLG Koblenz, NStZ 1981, 214 F), im Falle eines laufenden Strafverfahrens sogar der Besitz von neun Stehordnern mit Kopien der Verfahrensakten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.04.2002 – 3 Ws 10/02 -, juris).

3. Die Strafvollstreckungskammer hat sich überdies ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bislang nicht erkennbar mit der Frage befasst, inwieweit dem Betroffenen, der mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorgebracht hat, ihm sei vor seiner Verlegung in der JVA Schwerte der Besitz der streitgegenständlichen fünf Verfahrensakten gestattet gewesen, Bestandsschutz zu gewähren ist. Nach der Rechtsprechung des Senats kann bei Genehmigung eines Gegenstandes in einer Justizvollzugsanstalt ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand dieser Entscheidung grundsätzlich auch nach einer Verlegung fortwirken (vgl. Senat, Beschluss vom 07. November 1989 — 1 Vollz (Ws) 173/89 —, Rn. 12, juris). Das gilt unverändert auch nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen (vgl. Senat, Beschluss vom 22.05.2018, - 111-1 Vollz(VVs) 137/18). Dementsprechend wäre unabhängig vom Ausmaß des Grades einer von dem begehrten Besitz der zwei weiteren Ordner ausgehenden Beeinträchtigung der Übersichtlichkeit des Haftraums weiterhin zu klären, ob und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen dem Betroffenen in der Voranstalt der Besitz aller fünf Ordner gestattet war, wobei auch die örtlichen Verhältnisse der Voranstalt zu ermitteln und zu berücksichtigen sind.


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