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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Prostitution, Betrug, Schaden

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Reutlingen, Beschl. v. 03.04.2018 -5 Cs Js 4686/18

Leitsatz: Zum Erfüllungsbetrug, wenn eine Prostituierte die zugesagte Leistung nicht erbringt.


5 Cs 24 Js 4686/18
Amtsgericht Reutlingen
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen Betrug

hat das Amtsgericht Reutlingen durch den Richter am Amtsgericht am 3. April 2018 beschlossen:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Tübingen vom 06.03.2018 auf Erlass eines Strafbefehls wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschuldigten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Tübingen beantragt am 06.03.2018 wegen folgenden Vorfalls den Erlass eines Strafbefehls:

„Am 10. Februar 2018 zwischen 08,30 und 14.00 Uhr habe die Angeschuldigte, eine ungarische Staatsbürgerin, unter Vorspiegelung ihrer vollen Leistungswilligkeit per WhatsApp dem Anzeigeerstatter angedient, ihm ab 21.30 Uhr zwei Stunden lang „full service" und „ohne Tabus" sexuelle Dienstleistungen für 350,-- € zu erbringen. Bereits bei Vertragsschluss habe sie zumindest billigend in Kauf genommen, nicht die volle Leistung erbringen zu wollen oder können. Im Vertrauen auf ihre Leistungswilligkeit habe der Anzeigeerstatter - vor Aufnahme der sexuellen Handlungen - nach deren Erscheinen in dessen Wohnung gegen 21.45 Uhr die verlangten 350.- EUR in bar übergeben. Vorgefasster Absicht entsprechend habe die Angeschuldigte sich gegen 22.00 Uhr nach dem ersten geschlechtlichen Verkehr wieder angekleidet und habe die Örtlichkeit verlassen, ohne zu weiteren sexuellen Handlungen bereit zu sein. Dem Anzeigeerstatter sei hierdurch ein entsprechender Schaden in Höhe von etwa 300 EUR entstanden.“

1. In tatsächlicher Sicht steht dem Erlass eines Strafbefehls entgegen, dass ein hinreichender Tatverdacht zweifelhaft ist. Es handelt sich um eine Konstellation Aussage-gegen-Aussage, wobei überdies eine Vernehmung der Angeschuldigten mit einem Dolmetscher unterlassen wurde. Mit dem „WhatsApp"-Chat, gar in einer Übersetzung, wurde die Angeschuldigte im Ermittlungsverfahren schon nicht konfrontiert, was freilich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1, 3 lit. d) EMRK vor Erlass eines Strafbefehls unerlässlich erscheint. Dass eine Übersetzung des Chats und dessen Vorhalt in ungarischer Sprache notwendig gewesen wäre, folgt schon aus dem Umstand, dass die Polizei Belehrungsformulare in ungarischer Sprache verwendet hat. Die datentechnische Integrität des vom Anzeigeerstatter vorgelegten Chat-Protokolls ist nicht überprüft.

Soweit der Anzeigeerstatter sich betrogen sieht, bleibt festzuhalten, dass die von ihm mitgeteilten Inhalte der Vertragsabsprache sehr wohl der Auslegung, §§ 133, 157 BGB, zugänglich sind. Zwar mögen im Bereich der gewerblichen Prostitution bestimmte Bezeichnungen und Szene-Abkürzungen ("Full Service") üblich sein, zum Beispiel in Zeitungsannoncen oder bei der Geschäfts- bzw. Verkehrsanbahnung. Doch kann hier den vagen Angaben des Anzeigeerstatters nicht sicher entnommen werden, was rein tatsächlich zum Leistungsinhalt gemacht werden sollte, worin mithin die Täuschung liegen könnte. Zum Online-Profil der Beschuldigten – zur Tatzeit - sind keine Ermittlungen getätigt. Aus diesem könnten sich Auslegungshinweise ergeben.

Auch bekundet der Anzeigeerstatter umfangreiche Nachverhandlungen in seiner Wohnung, die nicht mehr durch Chatverläufe dokumentiert sind.

Beruht die Annahme von der Täterschaft des Angeschuldigten allein auf der Aussage eines Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an den hinreichenden Tatverdacht strenge Anforderungen zu stellen. Dabei ist berücksichtigt, dass bei dem im Rahmen der Entscheidung nach § 408 Il StPO zu fällenden Wahrscheinlichkeitsurteil für in dubio pro reo noch kein Raum ist. Jedoch kann der hinreichende Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird.

Da drei weitere mögliche (Entlastungs-)Zeugen oder gar Beteiligte in der Akte geführt werden, die unvernommen blieben, ist anzumerken, dass eingedenk der strukturellen Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht nur einzelne ergänzende richterlich veranlasste Beweiserhebungen im späteren Verfahren vorgesehen sind. Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung des von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Tatvorwurfs oder zur erstmaligen Abklärung einer Konstellation Aussage-gegen-Aussage sind gesetzlich nicht vorgesehen, Gleichermaßen unstatthaft ist der Erlass eines Strafbefehls unter der Annahme, „erst später", im Falle eines Einspruches, nachträglich umfangreiche Beweisaufnahmen durchzuführen, wie etwa die Vernehmung zentraler Zeugen zur weiteren Abklärung. Hierin läge ein von Rechts wegen nicht vorgesehene Aufweichung oder Herabsetzung des im (Strafbefehls-)Verfahren für eine Anklage vorausgesetzten Verdachtgrades.

2. In rechtlicher Sicht steht einem Betrug entgegen, dass die Rückforderung des Anzeigeerstatters sittenwidrig ist, jedenfalls aber nicht besteht. Ein Erfüllungsbetrug scheidet deswegen aus.

Resultieren Ansprüche aus einem sittenwidrigen oder verbotenen Rechtsgeschäft (§§ 134, 138 BGB) so können sie wegen ihres Widerspruchs zu außerstrafrechtlichen Vorschriften auch im Rahmen des § 263 StGB keinen Schutz genießen. Für den Bereich der Prostitution hat der Gesetzgeber das im Prostitutionsgesetz abschließend geregelt und Zweifelsfragen geklärt (zu diesen: Schönke-Schröder, StGB, 29. Auflage, § 263, Rd. Ziff. 93). Der Freier einer Prostituierten hat keinen Anspruch auf die Erbringung der sexuellen Dienstleistung. Ihm bleibt nur die Möglichkeit nach § 2 Satz 2 ProstG die Zahlung zu verweigern, mit dem Einwand, die Prostituierte habe eine zugesagte Leistung nicht erbracht. Rechtlich fehl geht im Anwendungsbereich des ProstG hingegen die pauschale Annahme in der Vereitelung eines Rückzahlungsanspruches müsse ein Vermögensschaden gesehen werden. Dabei wird übersehen, dass der Prostitutionsvertrag nach der klaren gesetzlichen Regelung (hierzu: Bamberger/Roth/Hau/Posek,45. Edition, ProstG, § 1 Rd. Nr. 5) als einseitig verpflichtender Dienstvertrag ausgestaltet ist und ein Rückforderungsanspruch wegen Schlechterfüllung rechtlich nicht besteht. Die Vorschrift dient nur der Verbesserung der rechtlichen Stellung der Prostituierten, indem jenen die Begründung einer Entgeltforderung ermöglicht wird, nicht hingegen derjenigen ihrer Kunden, von Zuhältern, Bordellbetreibern oder sonstigen Dritten (BT-Drs. 14/5958, 4; Majer NJW 2008, 1926 [19271), weswegen letztere, mit ihren Ansprüchen, nicht von dem gesetzlichen Ausnahmefall von § 138 BGB profitieren.

a) Zwar ist, da das Gesetz in § 2 ProstG Einwendungen und Einreden behandelt, wohl noch vertretbar, dass auch der Freier im Falle der Nichtleistung eines gewissen Schutzes bedarf, weswegen angenommen werden mag, dass der Freier den vereinbarten Dirnenlohn herausverlangen kann, wenn er diesen zahlt, bevor ihm die hierfür zugesagten Dienste gewährt werden, wenn also die im Gegenzug vereinbarte oder versprochene Handlungen überhaupt nicht vorgenommen wird, wenn also kein Verkehr stattfand. In diesen Fällen mag vertreten werden, die Vorschrift des § 814 BGB stehe einer Rückforderung ausnahmsweise nicht entgegen. Die Vorschrift, die der Prostituierten wegen der Sittenwidrigkeit des Geschäfts an sich einen Einwand gegen den Rückforderungsanspruch gibt, sei bei einem Vorbehalt, in jenen Fällen dem Vorbehalt „alsbaldiger" Leistung, ausgeschlossen (so ohne nähere Begründung:
Bamberger/Roth/Hau/Posek, a.a.O.).

b) Bei einer Schlechtleistung, wie hier angezeigt oder bloß behauptet, scheitern ein Rückforderungsanspruch und eine Betrugsstrafbarkeit an der Wertung und des Vorschrift des § 2 Satz 2 ProstG i. V. m. § 1 Satz 1 ProstG.

aa) Nach der Vorschrift kann gegen die Forderung der Prostituierten nur die vollständige Nichterfüllung eingewendet werden. Mit Ausnahme des Erfüllungseinwandes und der Einrede der Verjährung sind „weitere Einwendungen und Einreden ausgeschlossen ". Da nach den Akten nicht ersichtlich ist, dass zwischen den Beteiligten ein dauerhaftes Dienstverhältnis begründet worden ist, hätte der Anzeigeerstatter nur einwenden können, er habe schon gezahlt oder die Forderung sei wegen „vollständiger" Nichterfüllung gar nicht erst entstanden, gar verjährt.

bb) Soweit eine Rückforderung im Raume steht wegen einer (behaupteten) Schlechtleistung geht die spezielle gesetzliche Regelung in § 2 ProstG jedem „allgemeinen" Rechtsgedanken vor, der § 814 BGB auch für diesen Fall ausschließen könnte.

Schwerlich vorstellbar, mit dem ProstG unvereinbar und im Lichte von Art. 1 GG unerträglich ist zunächst die Vorstellung, die Leistung des Freiers stehe unter dem Vorbehalt der baldigen Erbringung der Leistung in einer besonderen Qualität, nicht nur dem Vorbehalt einer alsbaldigen Leistungserbringung, was für sich besehen bereits rechtlich bemüht wirkt.

Bei einer Schlechtleistung kann ein Rückforderungsanspruch hingegen bereits nicht entstehen, § 138 BGB, oder jedenfalls § 814 BGB bleibt anwendbar und steht dem Anspruch und damit einem Vermögensnachteil des Freiers dauernd entgegen. Die Vorschrift des § 2 ProstG dient nach ihrem Sinn und Zweck dazu solche Einwendungen und Einreden des Freiers gegen den Anspruch der Prostituierten auszuschließen, die darauf beruhen könnten, dass die Leistung aus Sicht des Freiers „nicht gut genug", nicht „erfolgreich" oder „mittlerer Art und Güte" erbracht worden sei. Nach dieser gesetzlichen Wertung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift in § 2 ProstG ist freilich erst recht ein Rückforderungsanspruch wegen einer Schlechtleistung ausgeschlossen.

cc) Kurz: Ebenso wenig wie der Freier wegen einer „Schlechtleistung" die Zahlung verweigern kann, ist ihm im Falle einer behaupteten „Schlechtleistung" je ein (gar „anteiliger") Rückforderungsanspruch oder „Minderungsanspruch" gegeben.

c) Es war mithin ein Anspruch auf Rückforderung wegen Schlechtleistung nicht rechtlich existent und konnte auch nicht rechtlich existent werden. Ein Vermögensschaden i.S.d. § 263 StGB war im angeklagten Fall jedenfalls ausgeschlossen. Tatsächlich zweifelhaft bleibt überdies, wie oben unter 1. ausgeführt, ob ein auf eine Schlechtleistung oder Minderleistung gerichteter Vorsatz der Beschuldigten, zur Zeit der Vertragsanbahnung oder Leistungsandienung, mithin der Tathandlung, hinreichend belegt ist oder jemals belegbar sein wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.


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