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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Vollrausch, Unterbringung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Landshut, Beschl. v. 14.12.2017 - 6 Qs 290/17

Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers in einer Trunkenheitssache, in der Unterbringung droht.


Landgericht Landshut
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen fahrlässiger Vollrausch
hier: Beschwerde gegen die Nichtbeiordnung eines Pflichtverteidigers
erlässt das Landgericht Landshut - 6. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 14. Dezember 2017 folgenden Beschluss
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 28.11.2017, mit dem der Antrag des Angeklagten pp, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, abgelehnt wurde,
wird aufgehoben.
2. Dem Angeklagten pp wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten
dabei entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe
Am 22.11.2017 hat das Amtsgericht Erding gegen pp. einen Strafbefehl wegen fahrlässigen Vollrausches gemäß § 323 a Abs. 1, Abs. 2 StGB mit einer Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen erlassen mit dem nachfolgenden Sachverhalt:
„Am 09.12.2016 gegen 18:50 Uhr hielten Sie sich, unbekleidet, mitten auf der Fahrbahn in der pp.-Straße in Erding auf. Die Streifenbesatzung, bestehend aus POK pp. und PHM pp., traf gegen 19:05 Uhr an der oben genannten Örtlichkeit ein. POK pp. ging auf Sie zu und versuchte Sie von der Straße zu bringen. Um dies zu verhindern, schlugen sie mit der rechten Hand in Richtung des Polizeibeamten pp., um den Polizeibeamten zu entkommen sprangen Sie aus vollem Lauf durch ein geschlossenes Fenster in die Kellergeschosswohnung, in der pp. in Erding, der Geschädigten.

Aufgrund des Sprunges durch ein geschlossenes Fenster, zersprang das Fenster der Geschädigten pp. Sie zogen sich erhebliche Schnittverletzungen hinzu, weshalb Sie stark bluteten. Sie verschmierten die gesamte Wohnung der Geschädigten mit Ihrem Blut und schlugen auf das Fernsehgerät der Geschädigten ein. Hierdurch entstand ein Sachschaden in Höhe von mindestens 6.672,31 EUR. Dies nahmen Sie billigend in Kauf.

Aufgrund Ihrer Verletzungen wollten die Polizeibeamten POK pp, PHM pp. und POM pp. Sie schnellstmöglich einer medizinischen Versorgung zuführen und versuchten, Sie aus der Wohnung zu bringen. Sie versuchten sich durch Herauswinden und Losreißen gegen die Haltegriffe der Polizeibeamten zu wehren. Des Weiteren traten sie dreimal gezielt mit dem Fuß gegen den Kopf des PHP pp. Hierdurch erlitt der Geschädigte, wie von Ihnen zumindest vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, nicht nur unerhebliche Schmerzen.

Strafantrag wurde jeweils form- und fristgerecht gestellt.
Die Staatsanwaltschaft hält wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten.

Am Tattag hatten Sie gegen 15 Uhr oder 16 Uhr 1 1/2 LSD genommen. Ausweislich der am 10.12.2016 um 00:43 Uhr entnommenen Blutprobe standen Sie zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss von LSD. Aufgrund des LSD-Rausches waren Sie zum Tatzeitpunkt schuldunfähig.

Sie hätten mit einer derartigen Ausschreitung aufgrund der Einnahme von LSD rechnen können."

Als Beweismittel ist u.a. ein psychiatrisches Gutachten des Landgerichtsarztes pp. vom 21.09.2017 benannt, der ein Gutachten für Schuldfähigkeit des Angeklagten und zu den Voraussetzungen einer evtl. Unterbringung des Angeklagten gemäß § 64 StGB wegen beginnender Polytoxikomanie erstellt hat. Auf dieses Gutachten wird Bezug genommen.

Gegen den Strafbefehl ist Einspruch eingelegt.

Mit Antrag vom 12.12.2016 hat der Wahlverteidiger Rechtsanwalt pp. beantragt, als Pflichtvertei-diger beigeordnet zu werden und diesen Antrag mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 24.11.2017 wiederholt. Auf den Inhalt dieser Schriftsätze wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 28.11.2017 hat das Amtsgericht Erding den Antrag des Angeklagten pp., ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen, mit folgender Begründung abgelehnt:

„Ein Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 Abs. 1 Strafprozessordnung) liegt nicht vor. Die Mitwirkung eines Verteidigers ist auch nicht wegen der Schwere der Tat oder Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Ebenfalls ist nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte nicht selbst verteidigen kann (§ 140 Abs. 2 Strafprozessordnung).

Die Schwere der Tat bemisst sich regelmäßig nach der zu erwartenden Strafdrohung. Diese ist vorliegend wie im Strafbefehl mit 150 Tagessätzen bemessen nicht so gravierend, dass darauf eine notwendige Verteidigung gestützt werden könnte.

Darüber hinaus begründet auch nicht die Tatsache, dass über die Schuldfähigkeit ein Gutachten erholt worden war eine besondere Schwierigkeit. Die Schuldunfähigkeit wurde zugunsten des Angeklagten durch die Annahme eines Vollrauschs bereits festgestellt und wird derzeit von keinem Verfahrensbeteiligten in Frage gestellt.“
Hiergegen hat der Angeklagte mit anwaltschaftlichem Telefax vom 29.11.2017 Beschwerde einle-gen und diese begründen lassen. Auf die Begründung wird verwiesen.

Das Amtsgericht Erding hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Nach Auffassung der Beschwerdekammer ist hier wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers geboten.

Der Sachverständigen ist in seinem Gutachten vom 21.09.2017 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem zur Tatzeit schuldunfähigen Angeklagten eine beginnende Polytoxikomanie bestehe. Mit etwa 15 Jahren habe der Angeklagte begonnen, Cannabisprodukte zu konsumieren und habe in der Folgezeit Konsurnmengen und Konsumfrequenz gesteigert. Laut den Angaben des Angeklagten habe dieser bis Ende 2016 regelmäßig (vor allem an den Wochenenden) größere Mengen Cannabis konsumiert. Ab dem 16./17. Lebensjahr habe er immer wieder auch Ecstasy, MDMA oder Speed genommen. 2013 habe er phasenweise über gut ein halbes Jahr hinweg regelmäßig Kräutermischungen geraucht. Er habe nunmehr seinen Drogenkonsum drastisch eingeschränkt und in den vergangenen Monaten nur insgesamt ca. fünfmal Drogen genommen (zweimal Cannabis, einmal Speed, zweimal Ecstasy), zuletzt vor etwa 2 Monaten. Gemäß dem Sachverständigen pp. habe bei dem Angeklagten zur Tatzeit ein schwerer LSD-Rausch bestanden.

Die Anordnungsvoraussetzung des § 64 StGB wurden von dem Sachverständigen nur deshalb verneint, weil nach den bisherigen Erkenntnissen noch nicht von einem umfassend beherrschenden, tiefgreifenden Hang zum übermäßigen Konsum berauschender Mittel 1.S. des § 64 StGB gesprochen werden könne.

Hier ergibt sich in der Zusammenschau, dass in dem nun anstehenden ergebnisoffenen Strafprozess die Frage der Schuldfähigkeit und damit auch die Auseinandersetzung mit dem Sachverständigengutachten über die Schuldfähigkeit und die Voraussetzungen einer Unterbringung gemäß § 64 StGB eine ganz entscheidende Rolle spielen werden.

Dies begründet nach Auffassung der Beschwerdekammer eine Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, die gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers gebietet.

Die Nichtbeiordnung des Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger wurde deshalb aufgehoben und dem Angeklagten Rechtsanwalt pp. antragsgemäß als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA F. Alte, Anzing

Anmerkung:


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