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Entscheidungen

Haftfragen

Urinproben, Zulässigkeit, Strafvollzug

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 05.201.2017 - 2 Ws 92/17 (Vollz)

Leitsatz: 1. Nach § 84 StVollzG Bln sind Vollzugsbehörden berechtigt, von Strafgefangenen die Abgabe von Urinproben zur Feststellung des Konsums von Suchtmitteln zu verlan-gen; Strafgefangene sind verpflichtet, diesem Verlangen nachzukommen.
2. Kommt ein Strafgefangener dieser Mitwirkungspflicht schuldhaft nicht nach oder ma-nipuliert er Urinproben, stellt dies eine Verfehlung dar, die disziplinarisch geahndet werden kann.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
2 Ws 92/17 Vollz

In der Strafvollzugssache
gegen pp.
wegen einer Disziplinarmaßnahme

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 5. Oktober 2017 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 15. Mai 2017 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

A.
Zurzeit verbüßt der Beschwerdeführer in der Jusizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen … aus einem Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. September 2013. Nach den Urteilsfeststellun-gen hatte sich der Beschwerdeführer … unter anderem Sozialleistungen im Wert von über 250.000 Euro unberechtigt erschlichen. … Als Entlassungszeitpunkt ist der 5. Januar 2019 vermerkt.

B.
Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer wurde der Beschwerdefüh-rer am 1. Februar 2017 im Rahmen einer Abstinenzkontrolle aufgefordert eine Urin-probe abzugeben. Dieser Aufforderung kam er (scheinbar) nach; tatsächlich gab er jedoch eine wasserähnlich helle Flüssigkeit ab, die keine urinübliche Temperatur aufwies und bei der es sich nach einem Laborbefund vom 2. Februar 2017 im Hin-blick auf einen festgestellten Kreatinin-Wert unterhalb der Nachweisgrenze nicht um Urin handelte. Daraufhin wurde er am 5. Februar 2017 erneut aufgefordert, eine Urinprobe abzugeben, weil eine Manipulation des Urins nicht ausgeschlossen werden konnte. Dieser Aufforderung kam er nicht nach, sondern lehnte die Abgabe einer Probe unter Hinweis auf eine seiner Ansicht nach fehlende richterliche Anordnung ab.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2017, dem Beschwerdeführer noch am selben Tage ausgehändigt, ordnete die Vollzugsanstalt gegen ihn wegen beider Vorfälle als Dis-ziplinarmaßnahme für die Dauer von zehn Tagen die Unterbindung des Fernsehemp-fangs, den Entzug anderer Geräte der Informations- und Unterhaltungselektronik mit Ausnahme eines Hörfunkgerätes sowie den Entzug des Aufenthalts in der Gemein-schaft gemäß §§ 94 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3, Nr. 5, 96 Abs. 1 StVollzG Bln an, da ihr eine bloße Ermahnung, ein Verweis oder eine kürzere Maßnahme nicht mehr ausreichend erschien. Die Vollstreckung der Disziplinarmaßnahme wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt, sondern erfolgte unmittelbar ab dem Folgetag, bis sie im Wege einstwei-ligen Rechtsschutzes ab dem 23. Februar 2017 bis zum Abschluss des Hauptsache-verfahrens vorläufig ausgesetzt wurde.

Zur Begründung stützte sich die Vollzugsanstalt auf § 94 Abs. 1 Nr. 9 StVollzG Bln in Verbindung mit den §§ 82 Abs. 2, 84, 96 Abs. 1 StVollzG Bln.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. Mai 2017 hat die Strafvollstreckungs-kammer den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er die Aufhebung des Disziplinarbescheides begehrte, in der Hauptsache als unbe-gründet zurückgewiesen, den Streitwert auf 500 Euro festgesetzt und ihm die Kosten des Verfahrens auferlegt. Insbesondere sei die Wertung der Vollzugsbehörde, dass der Gefangene einen Manipulationsversuch unternommen habe, nicht zu beanstan-den.

Mit seiner zu Protokoll des Rechtspflegers des Amtsgerichts Charlottenburg erhobe-nen Rechtsbeschwerde vom 15. Juni 2017 rügt der Beschwerdeführer die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

C.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und rechtzeitig eingelegt worden, führt aber in der Sache nicht zum Erfolg.

I.

Die Verfahrensrüge ist bereits unzulässig, weil sie entgegen § 118 Abs. 2 StVollzG nicht in der dort vorausgesetzten Art und Weise ausgeführt und damit nicht zulässig erhoben ist.

Nach § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG, der § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nachgebildet ist, müssen die den Verfahrensmangel enthaltenen Tatsachen so vollständig angegeben werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht anhand der Rechtsmittelbegründung und ohne Rückgriff auf die Akten oder andere Unterlagen feststellen kann, ob bei Vorliegen der angegebenen Tatsachen die Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren zu bejahen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2011 – 2 Ws 143/11 Vollz –; Arloth/Krä, StVollzG 4. Aufl., § 118 Rdn. 2; jeweils mit weiteren Nachw.).

Zur Verletzung des Verfahrensrechts führt der Beschwerdeführer aus, dass eine (schriftliche) dienstliche Meldung vom 13. März 2017 betreffend den Vorfall vom 1. Februar 2017 vom Gericht nicht für die Beweiswürdigung hätte herangezogen werden dürfen, weil sie erst nach Erlass des Bescheides (der Vollzugsanstalt) vom 20. Februar 2017 gefertigt worden sei. Dieser Vortrag genügt den Anforderungen nicht, weil schon nicht mitgeteilt wird, wie die dienstliche Meldung vom 13. März 2017 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist und welchen Inhalt sie genau hatte. Wenn sie ordnungsgemäß Eingang in das gerichtliche Verfahren gefunden hat, konnte das Gericht sie grundsätzlich auch verwerten. Die Beweiswürdigung ist im Übrigen bereits auf die Sachrüge hin zu prüfen; dazu sogleich.

II.

1. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Sachrüge nach § 116 Abs. 1 StVollzG liegen vor. Die Rechtsbeschwerde ist zur Fortbildung des Rechts zulässig (§ 116 Abs. 1 Alt. 1 StVollzG Bund). Die Rechtsbeschwerde ist gegen Entscheidun-gen der Strafvollstreckungskammer in einzelnen Disziplinarangelegenheiten aller-dings grundsätzlich nur zulässig, wenn der Einzelfall Anlass gibt, Leitsätze für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften des materiellen oder des formellen Rechts auf-zustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. Arloth/Krä, StVollzG 4. Aufl., § 116 Rdn. 3 mit weit. Nachweisen). Dies ist hier der Fall, weil die zu treffende Entscheidung dem Senat die Möglichkeit eröffnet, über den Einzelfall hinaus erstmals zur Auslegung des § 84 StVollzG Bln in Verbindung mit § 94 Abs. 1 Nr. 9 StVollzG Bln Stellung zu nehmen.

2. Die Sachrüge ist nicht begründet.

a) Die Prüfungskompetenz des Rechtsbeschwerdegerichts beschränkt sich im Rah-men der Sachrüge auf die Beantwortung der Frage, ob die Entscheidung der Straf-vollstreckungskammer rechtlicher Beurteilung standhält. Der Beschluss der Strafvoll-streckungskammer muss deshalb grundsätzlich den Anforderungen genügen, die § 267 StPO an die Begründung eines strafgerichtlichen Urteils stellt (vgl. Senat, Be-schluss vom 11. Januar 2016 – 2 Ws 303/15 Vollz – [juris]). Im Rahmen der Be-weiswürdigung müssen dabei die tatsächlichen Grundlagen gezogener Schlüsse und rechtlicher Bewertungen mitgeteilt werden, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine rechtliche Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Mai 2017 – 2 Ws 80/17 – [juris]; OLG Hamburg NStZ 2005, 592). Die Strafvollstre-ckungskammer muss insbesondere unmissverständlich klarstellen, von welchen Feststellungen sie bei ihrer Entscheidung ausgegangen ist und welchen Parteivortrag sie für relevant gehalten hat (vgl. OLG Hamburg a.a.O.).

Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung der angegriffenen Entscheidung, die der Senat in dem revisionsähnlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahren nicht anstelle des Tatrichters vornehmen kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juli 1978 – 1 Vollz (Ws) 33/78 – [juris]). Ein im Rechtsbeschwerdeverfahren beachtli-cher Rechtsfehler der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn die Beweiswürdi-gung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesi-cherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – III-1 Vollz (Ws) 566/12 – [juris]). Davon kann hier keine Rede sein. Insbeson-dere die Feststellungen der Strafvollstreckungskammer zur Manipulation der am 1. Februar 2017 im Rahmen einer Abstinenzkontrolle abgegebenen der Urinprobe sind in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Dass die (schriftliche) dienstliche Mel-dung dazu erst 13. März 2017 verfasst worden ist, hindert ihre Verwertung nicht. Wie zuverlässig die darin dokumentierte Erinnerung an den Vorfall vom 1. Februar 2017 ist, berührt allenfalls den Beweiswert, nicht jedoch die Verwertbarkeit des Vermerks. Auch im Übrigen ist die tatsächliche Würdigung der Strafvollstreckungskammer aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie hat zwar die Möglichkeit eines erniedrigten Kreatinin-Wertes wegen einer möglicher Erkrankung des Betroffenen ausgeschlos-sen (anders z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – III-1 Vollz (Ws) 566/12 – [juris]), aber sich ergänzend auch auf weitere Indizien – vor allem die Tem-peratur und die Farbe der fraglichen Flüssigkeit – gestützt, um ihre Überzeugung von einer Manipulation zu begründen. In der Gesamtschau ist die Würdigung der Straf-vollstreckungskammer danach möglich, zwingend braucht sie nicht zu sein (vgl. zur gleichgelagerten Problematik im Revisionsrecht: OLG Stuttgart, Urteil vom 6. April 2017 – 4 Ss 623/16 – [juris]).

b) Auch die Anwendung des StVollzG Bln auf den rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalt durch die Strafvollstreckungskammer ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden.

aa) Gemäß § 84 StVollzG Bln können (durch die Vollzugsbehörde) zur Aufrechterhal-tung der Sicherheit oder Ordnung in einer Haftanstalt allgemein oder im Einzelfall Maßnahmen angeordnet werden, die geeignet sind, den Gebrauch von Suchtmitteln festzustellen. Einschränkend sieht Satz 2 der Vorschrift lediglich vor, dass diese Maßnahmen nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sein dürfen.

Es gehört zu den Aufgaben der Justizvollzugsanstalten, den Drogenmissbrauch wei-testgehend einzuschränken. Durch die Existenz und den Konsum von Drogen wird die Anstaltsordnung massiv gestört. Drogenabhängige sind in berauschtem Zustand in ihrem Verhalten und ihren Reaktionen unberechenbar und schwer zu kontrollieren. Durch die Verbreitung von Drogen wird zudem die Bildung subkultureller Abhängig-keiten in der Vollzugsanstalt gefördert. Bedeutsam ist auch, dass unter Drogenkon-sumenten eine gewisse Solidarität besteht, was den Drogenhandel innerhalb der An-stalt schwerer kontrollierbar macht. Dies birgt zudem auch die Gefahr, dass bisher nicht abhängige Gefangene zum Drogenkonsum verführt werden (vgl. KG, Be-schluss vom 26. Januar 2006 – 5 Ws 16/06 Vollz – [juris]).

Um den Gebrauch von Suchtmitteln festzustellen und möglichst einzudämmen, sind Urinkontrollen unerlässlich. Sie werden deshalb auch in der Gesetzesbegründung zu § 84 StVollzG Bln ausdrücklich als eine der Maßnahmen, die nach dieser Vorschrift in Betracht kommen, erwähnt (vgl. Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucher-schutz [Hrsg.], Berliner Strafvollzugsgesetz, 2016, S. 180).

Der Wortlaut erlaubt die anlasslose Anordnung entsprechender Kontrollen, ohne dass es eines bestimmten Verdachts bedarf. Dies beruht auf der Erfahrung, dass in Haftanstalten – wie an nahezu jedem anderen Ort – grundsätzlich jederzeit mit Dro-genkonsum gerechnet werden muss, dieser aber eben im Hinblick auf die besondere Situation im Vollzug besondere Gefahren für die Sicherheit und Ordnung mit sich bringt (vgl. oben), denen anders nicht wirksam begegnet werden kann. Eine Schran-ke findet die Anordnungsbefugnis über Satz 2 der Vorschrift hinaus lediglich im all-gemeinen Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG, sodass schikanöse Anordnungen ge-gen einzelne Gefangene ohne sachlichen Grund selbstverständlich nicht durch das Gesetz gedeckt wären. Dafür spricht hier jedoch nichts.

Da die Maßnahme ihre Rechtsgrundlage in einer Vorschrift zur Gefahrenabwehr und nicht in einer zur Gesundheitsvorsorge geschaffenen Regelung hat, spielt die frühere Kontroverse, ob § 56 Abs. 2 StVollzG (Bund) als Grundlage für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme wegen der Verweigerung einer Urinprobe in Betracht kam, kei-ne Rolle mehr (vgl. dazu befürwortend KG, Beschluss vom 26. Januar 2006 – 5 Ws 16/06 Vollz – [juris]; wohl ablehnend OLG Dresden NStZ 2005, 588 [beck-online], jeweils mit weit. Nachweisen).

Zutreffend hat die Strafvollstreckungskammer die Grundlage für die angegriffene Disziplinarmaßnahme denn auch in einer Verletzung der Verhaltensvorschrift des § 82 Abs. 2 StVollzG Bln („Die Gefangenen haben die Anordnungen der Bedienste-ten zu befolgen, auch wenn sie sich durch diese beschwert fühlen“) in Verbindung mit § 84 StVollzG Bln gesehen. Durch die Manipulation der ersten und die Verweige-rung der zweiten Urinprobe hat der Beschwerdeführer jeweils gegen rechtmäßige Anordnungen eines Vollzugsbediensteten verstoßen.

bb) Damit waren die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 94 Abs. 1 Nr. 9 StVollzG Bln erfüllt.

Durchgreifende Bedenken gegen die Ahndung derartiger Regelverstöße durch Dis-ziplinarstrafen ergeben sich aus Sicht des Senats im Ergebnis auch nicht aus der rechtsdogmatischen Erwägung, dass die Gefangenen bei Bejahung einer „strafbe-währten“ Verpflichtung zur Abgabe einer Urinprobe praktisch gezwungen sind, an der Beweissicherung zu ihrer Disziplinierung mitzuwirken. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Grundsatz, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, nicht nur im Strafprozess gilt, sondern wegen der Ähnlichkeit der Sanktionen auch im Diszipli-narverfahren sowie im berufsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 56, 37, 49; BVerfG NStZ 1993, 482).

Ob das Verbot des Selbstbezichtigungszwanges, das in erster Linie für Aussagen gilt, durch die Pflicht zur Abgabe von Urinproben jedoch überhaupt berührt wird, kann dahinstehen, denn jedenfalls durfte das Ergebnis der Urinprobe im Disziplinar-verfahren verwertet werden, weil bei einer Abwägung der widerstreitenden Interes-sen dies zum Schutz eines überragend wichtigen Allgemeinguts zwingend erforder-lich war (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 2. März 2004 – 3 Vollz (Ws) 128/03 – [juris]).

Trotz des im Strafverfahren geltenden Grundsatzes, dass kein Beschuldigter sich selbst belasten muss, gibt es auch dort gesetzlich normierte Duldungspflichten, die den Betroffenen zur passiven Mitwirkung an der Aufklärung eines gegen ihn beste-henden Tatverdachts und damit möglicherweise zu seiner eigenen Belastung zwin-gen. So bestimmt zum Beispiel § 81a Abs. 1 StPO für den Beschuldigten, dass er eine körperliche Untersuchung – einschließlich körperlicher Eingriffe und Entnahmen von Blutproben – dulden muss, wenn diese zur Feststellung von Tatsachen angeord-net wird, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Die hierin für das Strafverfah-rensrecht zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers, dem staatlichen Verfolgungsinteresse gegenüber den Individualrechten des Beschuldigten den Vor-rang einzuräumen, erlaubt den Rückschluss, dass im Strafvollstreckungs- und Straf-vollzugsrecht die Individualrechte des Gefangenen nicht nur den gleichen, sondern auch noch weitergehenden Beschränkungen unterliegen. Dies folgt aus der Erwä-gung, dass im Strafverfahrensrecht aufgrund der hier – bis zum rechtskräftigen Schuldspruch – geltenden Unschuldsvermutung Schranken für staatliche Rechtsein-griffe bestehen, die im Strafvollzugsrecht weitgehend entfallen oder zumindest stark herabgesetzt sind. Hier hat das staatliche Strafvollstreckungsinteresse, dem der Strafvollzug dient, grundsätzlich Vorrang gegenüber den Individualrechten des rechtskräftig für schuldig befundenen und zu Strafe verurteilten Straftäters (vgl. KG, Beschluss vom 26. Januar 2006 – 5 Ws 16/06 Vollz – [juris]).

Dürften die Verweigerung der Urinkontrollen und deren Ergebnisse nicht verwertet werden, liefe die präventive Bekämpfung des Drogenkonsums in den Haftanstalten ins Leere. Der Anstalt muss im Interesse einer effektiven Bekämpfung des Rausch-giftkonsums die Möglichkeit gegeben werden, in Fällen der Manipulation oder der Verweigerung der Abgabe von Urin disziplinarisch zu reagieren (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 2. März 2004 – 3 Vollz (Ws) 128/03 – [juris]).

cc) Das danach eröffnete Entschließungs- und Auswahlermessen der Vollzugsbe-hörde hinsichtlich einer möglichen Disziplinarmaßnahme durfte die Strafvollstre-ckungskammer lediglich auf Ermessenfehler prüfen, nicht aber ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Behörde setzen (§ 115 Abs. 5 StVollzG). Bei der Ermessensausübung sind der Vollzugsbehörde indessen keine erkennbaren Fehler unterlaufen. Weder die Art noch die Dauer der disziplinarischen Anordnung begegnet Bedenken.

D.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: VorsRi KG O. Arnoldi, Berlin

Anmerkung:


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