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Entscheidungen

Sonstiges

Besorgnis der Befangenheit, Versagung des rechtlichen Gehörs

Gericht / Entscheidungsdatum: SG Bremen, Beschl. v. 08.07.2016 - S 10 SF 481/16 AB

Leitsatz: Zur Besorgnis der Befangenheit, wenn der Richter vor einer von ihm selbst gesetzten Stellungnahmefrist entscheidet.


SOZIALGERICHT BREMEN
S 10 SF 481/16 AB
S 16 AS 1206/16 ER
BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
pp.
Antragsteller,
gegen
Jobcenter Bremen, vertreten durch den Geschäftsführer, Doventorsteinweg 48 - 52, 28195 Bremen, Az.: ppppppppppppppp.
Antragsgegner,
hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Bremen am 08. Juli 2016 durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht, beschlossen:
Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers wegen Besorgnis der Befangenheit vom 30. Juni 2016 gegen die Vorsitzende der 16. Kammer des Sozialgerichts Bremen, Richterin am Sozialgericht, ist begründet

Gründe
Der Antragsteller hat, nachdem die Vorsitzende der 16. Kammer des Sozialgerichts Bremen, Richterin am Sozialgericht pp. (im Folgenden nur "Vorsitzende" genannt), das Antragsverfahren um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wegen örtlicher Unzuständigkeit durch nicht anfechtbaren Beschluss vom 30. Juni 2016 an das Sozialgericht Stade verwiesen hatte, noch am 30, Juni 2016 Anhörungsrüge nach § 178a Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben und diese mit einem Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende verbunden. Wegen der Einzelheiten der insoweit gegebenen Begründung wird an dieser Stelle Bezug genommen auf den Inhalt des Schriftsatzes des Antragstellers vom 30. Juni 2016.

Die Vorsitzende hat sich unter dem 04. Juli 2016 zum Ablehnungsgrund dienstlich geäußert.

Nach § 60 Abs. 1 SOG i. V. m. § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtsfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern allein darauf, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände von seinem Standpunkt aus berechtigten Anlass haben kann, an der Unparteilichkeit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln, Abzustellen ist damit auf die Sichtweise eines objektiven Beteiligten in der Situation des das Ablehnungsgesuch Einreichenden, nicht auf die rein subjektiven Vorstellungen und Gedankengänge des das Verfahren konkret Betreibenden. Deshalb kommt es auf die subjektive Meinung des das Ablehnungsgesuch Einreichenden ebenso wenig an, wie auf die subjektive Einschätzung des abgelehnten Richters. Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit ist somit nur gerechtfertigt, wenn ein Beteiligter die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende (Vorliegen objektiver Gründe)-; subjektiv vernünftige Besorgnis hat, der Richter werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden.

Das vom Antragsteller gegen die Vorsitzende angebrachte Ablehnungsgesuch erweist sich danach als zulässig und begründet.

Es kann dahinstehen bleiben, ob das rechtlich falsche Abstellen der Vorsitzenden in ihrem Verweisungsbeschluss vom 30. Juni 2016 auf die postalische Erreichbarkeit des Antragstellers (unter der Anschrift ppppp.) allein die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden rechtfertigt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die Befürchtung der Voreingenommenheit des befassten Richters nicht rechtlichen Erwägungen (hier dem Abstellen auf die postalische Erreichbarkeit des Antragstellers zum Zeitpunkt seiner Antragstellung — vgl. insoweit § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG, der auf ein Antragsverfahren um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes entsprechend anwendbar ist —) zu entnehmen. Vielmehr sind danach unrichtige (oder für unrichtig gehaltene) Rechtsauffassungen (oder Tatsachenwürdigungen) eines Richters nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen (Hinweis auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgericht vom 23. Oktober 2007 zu den Az. 9 A 50/07, 9 VR 19/07, 9 VR 21/07, Buchholz 303 § 43 ZPO Nr. 1). Nach dieser Rechtsprechung müssen vielmehr objektive Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass eine mögliche Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung auf eine unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten beruht oder willkürlich i. S. e. greifbaren Gesetzeswidrigkeit ist (vgl. zu vorstehendem: BSG, Beschluss vom 10. Dezember 2010 zum Az. 13 4 AS 97/10 B).

Im Fall des Antragstellers treten aber objektive Gründe in dem o. g. Sinne hinzu. Diese sind zum ersten darin zu sehen, dass der Antragsteller vor Erlass des Verweisungsbeschlusses der Vorsitzenden vom 30. Juni 2016 nicht angehört worden ist (statt seiner sind die Rechtsanwälte ppp. unter dem 28. Juni 2016 wegen der beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht Stade angehört worden, obwohl diese sich weder als Bevollmächtigte des Antragstellers zur Gerichtsakte gemeldet hatten noch diesem — da über seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entschieden worden ist — gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 121 Zivilprozessordnung beigeordnet worden sind). Zum zweiten hat die Vorsitzende den Inhalt der Stellungnahme des Antragsgegners vom 28. Juni 2016 und den der Stellungnahme des Antragstellers vom frühen Morgen des 30. Juni 2016, in der er mit dem Zusatz „(lesen Sie das eigentlichen" auf den Inhalt seines Schriftsatzes „vom 17. Mai 2016" (gemeint war erkennbar sein Fax-Schriftsatz vom 17. Juni 2016) hingewiesen hat, nicht hinreichend gewürdigt.

Zum dritten schließlich hat die Vorsitzende den Ablauf der von ihr selbst gesetzten Anhörungsfrist (vgl. dazu deren Verfügung vom 27. Juni 2016, die durch gerichtliche Schreiben vom 28. Juni 2016 an den Antragsgegner und die den Antragsteller nicht vertretenden (s. o.) Rechtsanwälte pp. umgesetzt worden ist) nicht abgewartet. Vielmehr hat sie den Verweisungsbeschluss vor Ablauf der von ihr gesetzten Anhörungsfrist (am 30. Juni 2016 um 24.00 Uhr) gefasst und dessen Zustellung an den Antragsgegner sowie die Rechtsanwälte ppp. ( ! ) verfügt (von der Geschäftsstelle jeweils per Fax am frühen Nachmittag des 30. Juni 2016 ausgeführt). Angesichts des Vorliegens dieser Umstände ist davon auszugehen, dass auch ein sich in der Situation des das Ablehnungsgesuch anbringenden Antragstellers befindender objektiver Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände von seinem Standpunkt aus berechtigten Anlass hat haben dürfen, an der Unparteilichkeit und objektiven Einstellung der Vorsitzenden zu zweifeln. Diese hat aufgrund der maßgeblichen durch sie veranlassten Umstände aus der Sicht eines objektiven Beteiligten in der Situation des Antragstellers den Eindruck erweckt, das dem Ablehnungsgesuch zugrunde liegende Verfahren um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht entscheiden, sondern dieses schnell - an das Sozialgericht Stade - abgeben zu wollen.

Dem vom Antragsteller angebrachten Ablehnungsgesuch war daher stattzugeben.

Dieser Beschluss ist gem. § 172 Abs. 2 SGG unanfechtbar.


Einsender: F. Sailer, Bremen

Anmerkung:


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