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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidigerbestellung, Hauptverfahren, Fortwirkung Nachverfahren, Strafaussetzung, JGG-Verfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 11.08.2015 - 3 Ws 275/15

Leitsatz: 1. Ergeben sich aus der deutlich ambivalenten Entwicklung des Verurteilten in der Vorbewährungszeit besondere Gründe kann die Höchstfrist der Vorbewährungszeit verlängert werden.
2. Eine das Hauptverfahren betreffende Verteidigerbestellung wirkt im Verfahren über die Aussetzung der Jugendstrafe gemäß § 57 JGG fort.


OBERLANDESGERICHT HAMM
BESCHLUSS
III-3 Ws 275/15 OLG Hamm
Jugendstrafsache
gegen pp.
wegen Betruges u.a.,
(hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Aussetzung der Jugendstrafe nach vorbehaltener Entscheidung).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 13. Juli 2015 gegen den Beschluss der IV. großen Strafkammer — Jugendkammer — des Landgerichts Bielefeld vom 26. Juni 2015 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. August 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Höchstfrist zur vorbehaltenen Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung wird auf neun Monate verlängert.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen, jedoch wird die Gebühr um die Hälfte ermäßigt. Je eine Hälfte der gerichtlichen Auslagen im Beschwerdeverfahren und der dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

2. Der Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers ist gegenstandslos. (Alleinentscheidung des Vorsitzenden)

Gründe:

Das Landgericht Bielefeld hat den Beschwerdeführer am 23. Januar 2015 wegen Betruges in 15 Fällen und Computerbetruges in 21 Fällen zu einer einheitlichen Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Entscheidung über die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung einem nachträglichen Beschluss vorbehalten. Das Urteil ist seit dem 31. Januar 2015 rechtskräftig. Zur Begründung der vorbehaltenen Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich der Verurteilte kurz vor und zwischen den Hauptverhandlungsterminen um eine Veränderung seiner Wohnsituation sowie eine Fortsetzung seiner schulischen Ausbildung bemüht und erklärt habe, nicht wieder straffällig werden zu wollen. Es bleibe abzuwarten, ob ihm die Umsetzung seiner Vorsätze, insbesondere eine Verselbständigung, gelinge. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 26. Juni 2015 die Strafaussetzung und eine Anrechnung zwischenzeitlich erbrachter Arbeitsleistungen auf die Jugendstrafe abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde, mit der er vorrangig eine Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung begehrt, und beantragt zudem die Beiordnung seines Verteidigers für das Beschwerdeverfahren. Das Rechtsmittel hat insoweit Erfolg, als es zu einer Verlängerung der Vorbewährungszeit führt.

1. Die zulässige sofortige Beschwerde ist — unter Berücksichtigung der vom Verurteilten erst im Beschwerdeverfahren vorgelegten und dem Landgericht bei seiner Entscheidung weitgehend unbekannten Unterlagen — teilweise begründet.

a) Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, soweit es die Verletzung rechtlichen Gehörs und einen verfrühten Zeitpunkt der Beschlussfassung beanstandet.

Eine Anwesenheit des Verteidigers im Rahmen der Anhörung ist nicht zwingend vorgeschrieben. Dem — nicht inhaftierten — Verurteilten wurde die Ladung am 19. Juni 2015 zugestellt, so dass er genügend Zeit hatte, seinen Verteidiger selbst von dem Termin am 26. Juni 2015 zu informieren (vgl. zur Benachrichtigung des Verteidigers durch den Verurteilten selbst BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1993 - 2 BA 710/91, NJW 1993, 2301, 2303). Im Übrigen hat das Landgericht die Übersendung einer Terminsnachricht an den Verteidiger über zehn Tage vor dem Anhörungstermin verfügt.

Dass die angefochtene Entscheidung bereits vor dem Ablauf von sechs Monaten nach Rechtskraft des den Vorbehalt aussprechenden Urteils erging, ist nicht zu beanstanden, da es sich bei der Frist gemäß § 61a Abs. 1 Satz 1 JGG um eine Höchstfrist handelt (vgl. BT-Drucks. 17/9389 S. 17).

b) Nach der bisherigen Entwicklung des Verurteilten in der Vorbewährungszeit besteht weiterhin die Aussicht im Sinne des § 61 Abs. 1 Nr. 2, § 109 Abs. '2 Satz 1 JGG, dass in absehbarer Zeit eine positive Prognose gemäß § 21 Abs. 1, § 105 Abs. 1 JGG begründet sein wird. Derzeit ist eine solche abschließende Prognose nach den besonderen Umständen des Einzelfalles noch nicht möglich. Vielmehr ergeben sich aus der deutlich ambivalenten Entwicklung des Verurteilten in der Vorbewährungszeit besondere Gründe, die Höchstfrist der Vorbewährungszeit mit seinem über den Verteidiger erklärten ausdrücklichen Einverständnis auf neun Monate zu verlängern (§ 61a Abs. 1 Satz 3, § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG).

Das Landgericht-ist in dem rechtskräftigen Urteil davon ausgegangen, dass für eine günstige Prognose die Frage von besonderer Bedeutung sei, ob es dem Verurteilten gelinge, sich zu verselbständigen (vgl. zum zentralen Anknüpfungspunkt der nachträglichen Aussetzungsentscheidung OLG Hamburg, Beschluss vom 9. September 2014 - 1 Ws 92/14, ZJJ 2015, 71, 72). Eine solche Verselbständigung ist noch nicht festzustellen, obschon weiterhin Ansätze hierfür erkennbar sind.

So ist der Verurteilte zwar inzwischen aus der Wohnung seiner Mutter ausgezogen. Allerdings beruht der Auszug nicht auf eigenen Bemühungen um eine andere Wohnung, sondern auf einer polizeilichen Wohnungsverweisung und einem Rückkehrverbot von zehn Tagen. Zudem wird sich zu erweisen haben, ob der Umzug in die Einliegerwohnung im Haus der Großeltern tatsächlich zu einer Verselbständigung führt und nicht bloße Folge der Wohnungsverweisung ist. Insofern ist ferner zu berücksichtigen, dass der Verurteilte dem Verein Zentrallager e.V., bei dem er ihm auferlegte Arbeitsstunden erbringen sollte, seine neue Anschrift nicht mitgeteilt, die monatlich zu leistenden zehn Arbeitsstunden jedenfalls in den Monaten März bis Mai 2015 nicht erbracht und sich ersichtlich nicht von sich aus um die Einhaltung der Weisung bemüht hat. Auch die weiteren vom Landgericht im angefochtenen Beschluss genannten Gründe, auf die der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, geben Anlass zu der — unter anderem auf die mündliche Anhörung des Verurteilten durch den beauftragten Richter gestützten — Besorgnis, dass der Verurteilte schnell wieder in sein durch Antriebslosigkeit geprägtes Verhalten zurückfallen könne und ein für ihn handlungsleitender Leidensdruck nicht erkennbar sei.

Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte inzwischen den Hauptschulabschluss nach Klasse 10 mit im Durchschnitt guten Leistungen erworben hat. Er hat (nach der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer) im Juli 2015 zwei Gesprächstermine bei der Fachstelle Sucht — Glücksspielabhängige und Angehörige — des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis Herford wahrgenommen. Überdies hat die Stadt Minden - Jobcenter - ihm (für ihn allein) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 11. April 2015 bis Ende September 2015 bewilligt. Seit dem 19. Juli 2015 hat er einen bis Ende Oktober 2015 befristeten (dem Jobcenter mitzuteilenden) Arbeitsvertrag bei einem Personaldienstleistungsunter-nehmen. Im Juni und Juli 2015 hat er (trotz oder wegen der die Strafaussetzung ablehnenden Entscheidung des Landgerichts) zumindest zwölf weitere Stunden gemeinnütziger Arbeit erbracht. Straftaten in der Vorbewährungszeit sind — nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Bielefeld (586 Js 755/15) mangels genügenden Tatverdachts — nicht bekannt geworden.

Insgesamt reichen die derzeitigen Erkenntnisgrundlagen nach Wertung des Senats noch immer nicht aus, um nunmehr die im Urteil vorbehaltene nachträgliche Entscheidung über die Strafaussetzung zu treffen. Insofern ist insbesondere von Belang, ob der Verurteilte die zuletzt gezeigten positiven Ansätze weiterverfolgt, namentlich ob er

- zum Ende der verlängerten Vorbewährungszeit und seines befristeten Arbeitsverhältnisses eine weitergehende schulische oder berufliche Perspektive entwickelt, etwa durch Fortsetzung der Schulausbildung, Aufnahme einer beruflichen Ausbildung oder Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages,
- nunmehr von sich aus regelmäßig jeden Monat die im Bewährungsbeschluss auferlegten Stunden gemeinnütziger Arbeit erbringt,
- unaufgefordert mit seinem Bewährungshelfer kontinuierlich eng zusammenarbeitet,
- keinerlei neue Straftaten begeht.

c) Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.

2. (Alleinentscheidung des Vorsitzenden)
Der Antrag auf Beiordnung des Verteidigers ist gegenstandslos, da eine das Hauptverfahren betreffende Verteidigerbestellung im Verfahren über die Aussetzung der Jugendstrafe gemäß § 57 JGG fortwirkt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24. März 1998 - 3 Ws 53/98, StV 1998, 348; vgl. entsprechend zu nachträglichen Gesamtstrafenbildungen KG, Beschluss vom 12. Oktober 2010 - 2 Ws 521/10, NStZ-RR 2011, 86 f.; OLG Köln, Beschluss vom 22. März 2010 - 2 Ws 168/10, juris Rn. 9 m.w.N.).

Ein Rechtsschutzbedürfnis für die hilfsweise begehrte Feststellung, dass die Bestellung fortwirke, ist weder dargelegt noch ersichtlich.


Einsender: RA B. Brüntrup, Minden

Anmerkung:


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