Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

OWi

Fahrverbot, Absehen, Gründe

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 24.02.2016 - 3 Ws (B) 95/16

Leitsatz: Das Absehen vom Fahrverbot wegen angedrohter Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann keinen Bestand haben, wenn der Tatrichter seine Feststellungen ausschließlich auf die durch ein verlesenes Schreiben des Arbeitsgebers untermauerten Angaben des Betroffenen stützt und die Urteilsgründe eine kritische Auseinandersetzung, ob sich seine Angaben im Ergebnis lediglich als durch das Fahrverbot bedingte berufliche Nachteile oder Unbequemlichkeiten darstellen, vermissen lassen.


Kammergericht
Beschluss
Geschäftsnummer: 3 Ws (B) 95/16
In der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 24. Februar 2016 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. Dezember 2015 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Polizeipräsident in B. hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen innerorts geltenden Höchstgeschwindigkeit um 37 km/h eine Geldbuße von 160,00 Euro festgesetzt, ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Auf seinen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Einspruch hat das Amtsgericht T. den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil zu einer Geldbuße von 320,00 Euro verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat es abgesehen.
Aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen des Bußgeldbescheids ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Betroffene am Tattag, dem 19. Juni 2015, um 1.46 Uhr die BAB 100 (innerorts) in Richtung Süden/AS Innsbrucker Platz befuhr und hierbei die wegen einer Bausstelle auf 60 km/h beschränkte Geschwindigkeit fahrlässig nach Toleranzabzug um 37 km/h überschritt.
Das Amtsgericht ist den auf ein verlesenes Schreiben des Arbeitgebers gestützten Angaben des Betroffenen gefolgt, wonach ihm, dem Betroffenen, bei Anordnung eines Fahrverbotes der Arbeitsplatzverlust infolge Kündigung drohe. Denn er sei als angestellter Physiotherapeut auf seinen Führerschein angewiesen, weil er laut Arbeitsvertrag ausschließlich Hausbesuche absolviere, zu denen er schwere Massagebänke sowie andere Hilfsmittel transportieren müsse. Diese auswärtigen Termine könnten weder sein Arbeitsgeber „aus privaten und beruflichen Gründen“ noch die anderen acht Angestellten „wegen fehlender Kenntnisse“ oder „fehlendem Führerschein“ wahrnehmen. Das Amtsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass „die Vollstreckung des Fahrverbotes unverhältnismäßig sei und für den Betroffenen aus beruflichen Gründen eine unzumutbare Härte bedeuten würde“. Ergänzend sei der Zeitpunkt des Verstoßes „zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zu berücksichtigen.“
Aufgrund dieser Erwägungen hat das Amtsgericht von der Verhängung des Fahrverbots abgesehen und die Geldbuße gegenüber der Regelgeldbuße verdoppelt. Hiergegen wendet sich die Amtsanwaltschaft mit der auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde, die von der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vertreten wird. Die Amtsanwaltschaft rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.


II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG zulässig, insbesondere ist die Rechtsbeschwerdebegründung nach §§ 73 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 1 StPO rechtzeitig eingegangen.
Zwar ist den Akten nicht zu entnehmen, wann das Urteil des Amtsgerichts durch Vorlage der Urschrift der Amtsanwaltschaft nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 41 StPO zugestellt worden ist, dies ist jedoch unschädlich, weil die Zustellung jedenfalls nicht vor dem 6. Januar 2016 erfolgt sein kann und die laut Kürzel am 21. Januar 2016 auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts eingegangene Rechtsbeschwerdebegründung der Amtsanwaltschaft vom 14. Januar 2016 ist jedenfalls rechtzeitig. Denn das Urteil ist mit den Gründen am 4. Januar 2016 zu den Akten gelangt und die Zustellungsverfügung des Richters hat die Geschäftsstelle am 6. Januar 2016 ausgeführt.

2. Die Sachrüge hat Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch des Amtsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Der Senat lässt offen, ob die Beweiswürdigung revisionsrechtlich Bestand haben kann. Zweifel ergeben sich daraus, dass das Amtsgericht den Angaben des Betroffenen in Bezug auf die belastenden Auswirkungen des Fahrverbots gefolgt ist, ohne sie der hierbei angezeigten besonders kritischen Prüfung (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt VRS 127, 259) zu unterziehen. Dies hätte insbesondere im Hinblick auf die singuläre Betrachtung des auf den Führerschein aus beruflichen Gründen Angewiesenseins nahe gelegen (UA S. 2/3).

3. Denn jedenfalls rechtfertigen auch die als Ergebnis der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen nicht, vom Fahrverbot abzusehen.

a) Nach der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 BKatV ist eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG bei der hier abgeurteilten Verkehrsordnungswidrigkeit indiziert, die zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass sie regelmäßig zur Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme Anlass gibt (BGHSt 38, 125 und 231; BayObLG VRS 104, 437; ständige Rspr. des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284).

b) Folgerichtig ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen (nach §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1, 26a StVG iVm § 4
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV iVm Tabelle 1 lfdNr. 11.3.6) wegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (hier: die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit von mehr als 50%) neben der Anordnung einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots indiziert war. Dies lässt sich den insoweit sehr knappen Urteilsgründen noch mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen.

c) Die Begründung, trotz des Vorliegens einer groben Pflichtverletzung vom Fahrverbot abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung aber nicht stand.

aa) Zwar kann von der Anordnung eines Fahrverbotes auch dann abgesehen werden, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt oder wenn eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die in ihrer Gesamtheit eine Ausnahme zu begründen vermögen, oder wenn durch die Anordnung eines Fahrverbots bedingte erhebliche Härten oder gar eine Härte außergewöhnlicher Art eine solche Entscheidung als nicht gerecht erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 1996 - 3 Ws (B) 445/96 -), wie etwa den Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer oder dem Existenzverlust bei einem Selbstständigen (Senat, Beschlüsse vom 13. Mai 2015 – 3 Ws (B) 42/15 – und vom 22. März 2015 - 3 Ws (B) 132/15 –).
Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. BGH NZV 1997, 525, 526; Senat, Beschlüsse vom 2. Juni 2014 – 3 Ws (B) 285/14 -, vom 22. September 2004 - 3 Ws (B) 418/04 -, in VRS 108, 286 m.w.N.).
Hierbei ist auch in Rechnung zu stellen, dass einem Betroffenen zuzumuten ist, durch eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen (Einstellung eines Fahrers, Benutzung anderer Verkehrsmittel usw.) die Zeit eines Fahrverbots zu überbrücken und für die finanziellen Belastungen notfalls einen Kredit aufzunehmen (vgl. Senat VRS 127, 259; OLG Frankfurt DAR 2002, 82).
Ferner muss Berücksichtigung finden, dass ein Kraftfahrzeugführer, der ein Fahrverbot durch mangelnde Verkehrsdisziplin riskiert, nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht geltend machen kann, auf den Führerschein angewiesen zu sein (vgl. zuletzt Senat, Beschlüsse vom 13. Mai 2015 – 3 Ws (B) 42/15 - und 22. März 2015 - 3 Ws (B) 132/15 -, VRS 127, 74; 117, 197). Gleiches gilt für die durch das Fahrverbot bedingte Einschränkung der Mobilität und beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteile; auch sie sind als häufige Folgen hinzunehmen, ohne dass schon deshalb ein Absehen vom Fahrverbot gerechtfertigt wäre (vgl. Senat VRS 127, 259; 108, 286; 108, 288; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 344).
Des Weiteren darf nicht übersehen werden, dass nach Einführung des § 25
Abs. 2a StVG mit der für einen unvorbelasteten Betroffenen bestehenden Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbots in einem Zeitraum von vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab an die tatrichterlichen Feststellungen der außergewöhnlichen Härte anzulegen ist (vgl. OLG Frankfurt DAR 2002, 82).

bb) Nach diesen Grundsätzen lassen die Urteilsgründe die erforderliche Abwägung vermissen und belegen nicht, dass das Fahrverbot für den Betroffenen eine ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde. Dies gilt sowohl für jeden einzelnen im Urteil niedergelegten Umstand als auch für eine Gesamtschau aller Umstände. Dass der unvorbelastete Betroffene aufgrund seines Arbeitsvertrages ausschließlich für Hausbesuche, die er allein mit dem PKW zu absolvieren hat, angestellt worden ist, zu denen er u.a. Massagebänke, Gewichte und andere Utensilien mitzunehmen hat, gibt keinen Anlass, ein einmonatiges Fahrverbot als unzumutbar anzusehen.
Zwar hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln wegen der Größe und des Umfanges der Utensilien nicht möglich sei, eine plausible Erklärung, warum die Inanspruchnahme eines Taxi als öffentliches Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, enthalten die Urteilsgründe jedoch nicht.
Auch fehlen Feststellungen dazu, ob diese Aufgabe während eines Fahrverbotes nicht durch eine Kombination von Urlaub und Hinzuziehen eines Fahrers zu bewältigen ist. Denn selbst wenn nur der Betroffene die Hausbesuche vornehmen kann, so muss der Arbeitgeber doch für den Fall des Urlaubes oder Erkrankung des Betroffenen Vorkehrungen für das Gewährleisten dieser Hausbesuche getroffen haben, die auch für die Zeit eines Fahrverbotes gelten könnten. Unter diesem Gesichtpunkt ist zu besorgen, dass das Amtsgericht die Angaben des Arbeitgebers unkritisch übernommenen hat.
Die ergänzende Überlegung des Amtsgerichts (UA S.2) zum Absehen vom Fahrverbot, der Verkehrsverstoß habe sich „zur Nachtzeit bei üblicherweise sehr geringem Verkehrsaufkommen zugetragen“ überzeugt nicht, da sich bereits andere Verkehrsteilnehmer erfahrungsgemäß nicht darauf einstellen müssen, dass die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von einem einzelnen Kraftfahrer, in einem derart hohen Maß – hier über 50% der zulässigen Höchstgeschwindigkeit – überschritten wird (Senat, Beschluss vom 14. Juli 2015 – 3 Ws (B) 307/15 -). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit darf grundsätzlich auch nicht zur Nachzeit bei geringem Verkehrsaufkommen überschritten werden.
Die Schlussfolgerung des Verteidigers, bereits aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Betroffenen könne er, der Betroffene, sich weder Ersatzfahrer noch Taxifahrten leisten, ist urteilsfremd und daher vom Rechtsbeschwerdegericht nicht zu berücksichtigen. Gleiches gilt für die Umstände des nicht wahrgenommenen Verkehrszeichens über die Geschwindigkeitsbeschränkung. Insoweit merkt der Senat an, dass die fehlenden Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen wegen der Höhe des verhängten Bußgeldes mit Blick auf § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG bedenklich sind.

Insgesamt stellen die durch das Amtsgericht bezeichneten Umstände allenfalls Unbequemlichkeiten dar, die als regelmäßige Folge eines Fahrverbots hinzunehmen sind.

4. Da das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots somit keinen Bestand haben kann und eine Wechselwirkung zwischen der Frage der Anordnung dieser Maßregel und der Bemessung der Höhe der Geldbuße besteht, war das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 6 OWiG im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Tiergarten zurückzuverweisen.










Einsender: RiKG K. P. Hanschke

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".