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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Strafzumessung, Anforderungen, Bagatelldelikte

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 28.06.2011 - 2 Ss 68/11

Fundstellen:

Leitsatz: Zum Einfluss von Persönlichkeitsstörungen auf die Schuldfähigkeit und zu den insoweit vom Tatrichter zu treffenden Feststellungen.

Im Falle geringer Tatschwere, insbesondere bei Delikten mit Bagatellcharakter, verlangt die konkrete Tatschuld selbst bei einschlägigen Vorstrafen angesichts des verfassungsrechtlichen Übermaßverbots und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht ohne weiteres eine kurze Freiheitsstrafe. Macht der Tatrichter von der Freiheitsstrafe Gebrauch, hat es für das Revisionsgericht nachprüfbar darzulegen, warum er im Einzelfall nur die Freiheitsstrafe als gerechten Schuldausgleich betrachtet. In diesem Zusammenhang ist die Unerlässlichkeit des § 47 Abs. 1 StGB besonders eingehend zu begründen.


In pp.
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 18. Februar 2011 mit den zugrunde liegenden Feststellungen - ausgenommen diejenigen zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe
I. Das Amtsgericht Halle (Saale) verurteilte die mehrfach, zum Teil einschlägig vorbestrafte und nach Aussetzung einer Restfreiheitsstrafe von ca. 10 Monaten seit dem 10. September 2009 unter Bewährung stehende Angeklagte am 1. Dezember 2010 wegen Diebstahls und Erschleichens von Leistungen in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten. Die Berufung der Angeklagten blieb ohne Erfolg. Das Landgericht Halle hat das Rechtsmittel am 18. Februar 2011 als unbegründet verworfen. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten.

II. Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung (§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Das Urteil des Landgerichts Halle vom 18. Februar 2011 beruht auf der Verletzung materiellen Rechts (§§ 352, 337 StPO).

1. Das Landgericht hat festgestellt: Die leicht intelligenzgeminderte und labile Angeklagte stand mehrere Jahre unter Betreuung. Sie lebt mit einem alkoholabhängigen Mann zusammen, der sie häufig schlägt. Die Angeklagte empfindet die Beziehung als Abhängigkeitsverhältnis. Die ihr vorgeworfenen Taten beging sie unter dem Einfluss ihres Lebensgefährten. Die Angeklagte weist eine schizoide und möglicherweise auch eine Borderline-Persönlichkeitsstörung auf. Diese Besonderheiten hatten jedoch keinen Einfluss auf die Taten. Die Angeklagte wusste immer, was sie tat und dass es sich um Unrecht handelte.

Weiter hat das Landgericht ausgeführt, die Angeklagte habe im geringwertigen Bereich sechsmal den Tatbestand der Leistungserschleichung verwirklicht und einen Diebstahl begangen. Aus dem Strafrahmen des § 265a Abs. 1 StGB sei für jede Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten tat- und schuldangemessen. Zu Gunsten der Angeklagten würden ihr Geständnis und der zum Teil eher geringe Umfang der in Anspruch genommenen Beförderungsleistung sprechen. Zu Lasten der Angeklagten seien die einschlägigen Vorstrafen und die alsbaldige Rückfälligkeit nach teilverbüßter Freiheitsstrafe zu berücksichtigen. Da es sich bei der Angeklagten um eine Bewährungsversagerin und mehrfach einschlägig Vorbestrafte handele, sei eine kurze Freiheitsstrafe unerlässlich.

Der Diebstahl sei mit einer Freiheitsstrafe von vier Monaten zu ahnden. Auch insoweit spreche das Geständnis für die Angeklagte. Zu ihren Gunsten seien zudem der geringe Wert der Beute (3,49 EUR), die frühe Entdeckung der Tat, die Labilität der Angeklagten und ihre Anstiftung durch den Lebenspartner zu werten. Strafschärfend wirkten sich die einschlägigen Vorstrafen und das Bewährungsversagen aus. Beides mache eine kurze Freiheitsstrafe unabdingbar.

Aus den Einzelstrafen hat das Landgericht unter Erhöhung der Einsatzstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten gebildet.

2. Das Urteil beruht auf einer Verletzung des Rechts. Die Strafkammer hat zur Schuld der Angeklagten keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es ist nicht geklärt, ob sie sich zum Zeitpunkt der Taten normgemäß verhalten konnte.

a) Die Feststellung des Landgerichts, die Angeklagte habe gewusst, was sie tat und dass es Unrecht sei, belegt für sich keine Schuldfähigkeit. Diese Formulierung erfasst nur die Unrechtseinsicht. Zur Steuerungsfähigkeit, also zur Fähigkeit der Angeklagten, nach ihrer Einsicht zu handeln, ist damit nichts gesagt. Sie bleibt im Urteil offen.

b) Darüber hinaus ist nicht zu ersehen, woher die augenscheinlich nicht sachverständig beratene und ihre eigene Sachkunde nicht darlegende Kammer den Schluss herleitet, die Angeklagte habe zum jeweiligen Tatzeitpunkt das Unrecht der Tat eingesehen. Hierzu hätte es einer Aufklärung der tatsächlich vorliegenden Persönlichkeitsstörungen und ihres Einflusses auf die Taten im Wege einer Gesamtschau bedurft (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 20 Rdn. 42a), die dem Urteil nicht zu entnehmen ist.

Auch Persönlichkeitsstörungen ohne Krankheitswert können als andere seelische Abartigkeit Schuldrelevanz besitzen, insbesondere zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit führen. Dass die Angeklagte auf Grund ihrer Persönlichkeit ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB erfüllen könnte, verkennt das Landgericht nicht. Zu den beachtlichen Defekten zählen u.a. (vgl. Fischer, § 20 Rdn. 41 m.w.N.) die schizoide (vgl. BGH NStZ 2005, 325) und auch die Borderline-Persönlichkeitsstörung (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 235 [BGH 05.04.2006 - 2 StR 41/06]). Die erwähnte Abhängigkeit von ihrem Lebenspartner und der festgestellte Einfluss dieses Mannes auf die Taten weisen zusätzlich auf eine abhängige Persönlichkeitsstörung hin (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 4. Juni 1997, 2 StR 188/97). Hinzu kommt die Intelligenzminderung, die selbst ohne die Voraussetzungen des Schwachsinns zu erfüllen, Einfluss auf andere seelische Abartigkeiten haben kann. Das Landgericht konnte vor diesem Hintergrund schon deshalb keine Schlüsse auf die Unrechtseinsicht und die Steuerungsfähigkeit ziehen, weil es sich nicht bemühte, die in Betracht kommenden Persönlichkeitsstörungen ordnungsgemäß einzugrenzen, aufzuklären und ggf. in ihrer kumulativen oder gemischten Wirkung (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 299, 300; 2010, 7, 8) zu erfassen. Das gelingt nur mit Hilfe eines Sachverständigen (Fischer, § 20 Rdn. 39a; Schäfer/Redeker/Busse, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rdn. 535).

Nicht jede Besonderheit in der Person des Täters, die Einfluss auf die Tat haben kann, zählt zu den seelischen Abartigkeiten im Sinne von §§ 20, 21 StGB. Das gilt insbesondere, wenn sie sich innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegt (BGH NStZ 1999, 395). Deshalb bedarf es zusätzlich einer einzelfallbezogenen Schweregradbestimmung. Bei einer nicht krankhaften Persönlichkeitsstörung liegt eine schwere seelische Abartigkeit nur dann vor, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben der Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen. Hierzu bedarf es einer tatrichterlichen Gesamtschau auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit der Angeklagten, ihrer Entwicklung, der Tatvorgeschichte, des unmittelbaren Anlasses und der Tatausführung sowie des Verhaltens nach den Taten unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (BGH NStZ 2000, 585 f. [BGH 14.07.2000 - 3 StR 195/00]; 2005, 326, 327; 2009, 258, 259; NStZ-RR 2003, 165, 166 [BGH 25.02.2003 - 4 StR 30/03]; 2005, 137, 138; 2006, 235, 236; 2010, 7, 8; Fischer, § 20 Rdn. 43, 60).

Es schließt sich die rechtliche Wertung des Tatrichters an, ob die Schuldfähigkeit der Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten fehlte (selten) oder erheblich vermindert war (BGH NStZ 2005, 326, 327 [BGH 21.09.2004 - 3 StR 333/04]). Liegt eine Persönlichkeitsstörung im Sinne der internationalen Klassifikation psychischer Störungen vor, weist dies in der Regel auf eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung hin, womit zumindest eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nahe liegt (BGH NStZ-RR 1998, 188, 189 [BGH 02.12.1997 - 4 StR 581/97]). Hierzu genügt es, im Hinblick auf die Auswirkungen der Persönlichkeitsstörungen einen Vergleich zu schwächeren Formen von gleichgerichteten Erkrankungen zu ziehen (BGH, Urteil vom 4. Juni 1999, 2 StR 188/97).

c) Da der Senat trotz des regelmäßigen Fernliegens einer solche Möglichkeit nicht ganz sicher ausschließen kann, dass die Persönlichkeitsdefizite der Angeklagten zur Schuldunfähigkeit führten, ist das Urteil auch im Schuldspruch aufzuheben. Davon sind - mit Ausnahme des äußeren Tatgeschehens (vgl. BGH NJW 1960, 1393, 1394 f. [BGH 27.11.1959 - 4 StR 394/59]) - auch die zugrunde liegenden Feststellungen betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Hierdurch ist es dem neuen Tatrichter nicht verwehrt, ergänzende Feststellungen zu den Umständen der Taten zu treffen (KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 353 Rdn. 32 m.w.N.; Pfeiffer, StPO, 3. Aufl., § 353 Rdn. 6 m.w.N.; Wiedner, in: BeckOK-StPO, Stand: 15. Jan. 2011, § 353 Rdn. 47).

3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen belegen den objektiven Tatbestand des Diebstahls und - gerade noch - der Leistungserschleichung. Soweit sich die Revision dagegen richtet, ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

4. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Auch wenn sich die volle Schuldfähigkeit der Angeklagten ergäbe, tragen die bisherigen Strafzumessungserwägungen die verhängten Freiheitsstrafen nicht. Die mehrmonatigen Einzelfreiheitsstrafen sowie die Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten dürften den Bereich schuldangemessenen Strafens verlassen. Auch die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB sind nicht festgestellt.

Die Erwägungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, dass sich die Kammer angesichts der geringen Schwere der Taten der Möglichkeit eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot bewusst war und die Strafen der Angeklagten tatsächlich anhand des konkreten Schuldvorwurfs ermittelt hat. Grundlage jeder Strafzumessung ist die konkrete Tatschuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Sie hat Vorrang und wird in erster Linie durch die Tatschwere und den Grad der persönlichen Schuld bestimmt (vgl. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, StGB, 28. Aufl., § 46 Rdn. 4). Alle Taten der Angeklagten weisen als Bagatelldelikte einen geringen Erfolgsunwert auf. Sie bewegen sich unter Berücksichtigung der Tatfolgen und der Art und Weise der Tatausführung im untersten Bereich strafwürdigen Verhaltens. Bei den Leistungserschleichungen musste die Angeklagte keine Sicherungen überwinden oder sich eines besonderen Verhaltens zur Täuschung bedienen. Die Beweggründe für die Taten liegen wesentlich in den von der Angeklagten nicht verschuldeten Persönlichkeits- und Intelligenzdefiziten sowie ihrer Abhängigkeit vom Lebensgefährten begründet. Sowohl bei den Leistungserschleichungen als auch im Falle des Diebstahls überwiegen die für die Angeklagte sprechenden Umstände. Dennoch gelangt das Landgericht zu kurzen Freiheitsstrafen zwischen zwei und vier Monaten und zwar gestützt auf die Vorstrafen, die sich hieraus ergebende Bewährung, die Rückfälligkeit und das zwangsläufig damit einher gehende Bewährungsversagen. Diese Momente können zweifelsohne die Schuld erhöhen. Sie dürfen aber nicht dazu führen, die konkrete Tat aus dem Blick zu verlieren und ohne Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Vorstrafen und erneutem Straffälligwerden den Vorstrafen das Primat bei der Strafzumessung einzuräumen. Ist die Tatschuld gering, können auch einschlägige Vorstrafen ohne weitergehende besondere erschwerende Umstände nicht zu einem wesentlich höheren Unrechtsgehalt der Tat führen (OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, 75; OLG Stuttgart NJW 2007, 37, 38; OLG Hamm, Beschluss vom 18. November 2002, 2 Ss 768/02 - zitiert in juris; Beschluss vom 10. Januar 2008, 3 Ss 491/07 - zitiert in juris). Die auf die konkrete Tat bezogene Schuld hat limitierende Funktion. Es ist nicht zulässig, die schuldangemessene Strafe aus spezial- oder generalpräventiven Gründen heraus zu überschreiten. Deshalb verbietet sich ein Automatismus, wonach einschlägige Vorstrafen selbst bei geringsten Taten stets zu einer erhöhten Strafe führen. Das Urteil des Landgerichts lässt aber genau diesen tatunabhängigen Effekt der Vorstrafen der Angeklagten und damit eine fehlerhafte Rechtsanwendung (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig/Stree, § 46 Rdn. 65 m.w.N.) besorgen.

Es ist im Einzelfall natürlich nicht ausgeschlossen, eine erhöhte persönliche Schuld festzustellen und daher eine Freiheitsstrafe zu verhängen (BGH NJW 2008, 672 f. [BGH 15.11.2007 - 4 StR 400/07]; BayObLG NJW 2003, 2926, 2927 m.w.N.; OLG Celle NStZ-RR 2004, 142; OLG Hamburg NStZ-RR 2004, 72, 73; OLG Nürnberg, Beschluss vom 25. Oktober 2005, 2 St OLG Ss 150/05 - zitiert in juris). Zu beachten bleiben aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, welche sich in ihrer Strafe begrenzenden Wirkung mit dem Schuldprinzip decken (BVerfG NJW 1979, 1039, 1040 [BVerfG 17.01.1979 - 2 BvL 12/77]; Beschluss vom 7. Januar 1999, 2 BvR 2178/98). Wird die schuldangemessene Strafe überschritten, ist das Übermaßverbot verletzt (OLG Hamburg aaO.). Der Tatrichter muss deshalb in Fällen wie diesem - Persönlichkeitsdefizite der Angeklagten und Bagatellschäden - zu erkennen geben, dem Übermaßverbot und dem Vorrang der Tatschuld Rechnung getragen zu haben. Er hat anhand der Strafzumessungskriterien zu prüfen und für das Revisionsgericht nachprüfbar darzulegen, warum er eine Freiheitsstrafe - zumal wenn sie mehrere Monate betragen soll - noch als gerechten Schuldausgleich betrachtet und das Übermaßverbot nicht verletzt sieht. Je geringer der Schaden, desto höher sind die an die Begründung einer Freiheitsstrafe zu stellenden Anforderungen (Krumm, NJW 2004, 328, 329). Allein der Hinweis auf Vorstrafen und die hieraus folgende Rückfälligkeit und das Bewährungsversagen genügen hierfür nicht, zumal sich das Landgericht nicht damit auseinander setzt, ob die Vorstrafen angesichts der Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten und ihrer Lebensumstände überhaupt warnende Wirkung entfalten konnten (vgl. Franke, in: MünchKomm.-StGB, 28. Aufl., § 46 Rdn. 40 m.w.N.). Erforderlich ist eine an den Umständen des Einzelfalls orientierte Prüfung, die Anzahl, Gewicht und zeitlichen Abstand der Vorstrafen, die Umstände der Taten und den Schuldgehalt sowie die Lebensverhältnisse der Angeklagten berücksichtigt (KG, Beschluss vom 4. November 2008, 1 Ss 375/08 - zitiert in juris).

Gleiches gilt im Hinblick auf § 47 Abs. 1 StGB (Senat, Beschluss vom 11. Juni 2008, 2 Ss 484/07 - zitiert in juris; OLG Stuttgart NJW 2002, 3188, 3189 [OLG Stuttgart 04.07.2002 - 2 Ss 138/02]). Die Unerlässlichkeit bedarf einer besonderen und eingehenden Begründung (§ 267 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO; Franke, § 47 Rdn. 9), da sie mehr als Gebotenheit bedeutet (BGH, Beschluss vom 8. September 2010, 2 StR 407/10). Die Freiheitsstrafe darf nur dann ausgesprochen werden, wenn nicht auf sie verzichtet werden kann (Fischer, § 47 Rdn. 7, 10), weil die Angeklagte durch eine Geldstrafe nicht nachhaltig zu beeindrucken ist oder weil die zu wahrende Rechtsordnung - in Fällen wie diesem kaum vorstellbar - dies fordert. Es ist anhand konkreter Tatsachen in gründlicher Würdigung ihrer Persönlichkeit, der Taten, deren Hintergründe, der Einstellung der Angeklagten sowie der den einschlägigen Vorstrafen zugrunde liegenden Taten darzustellen, warum jedes andere zulässig Reaktionsmittel keine Einwirkung auf die Angeklagte gewährleistet (BayObLG NStZ-RR 2003, 275, 276 [BayObLG 31.03.2003 - 4 St RR 18/03]; OLG Nürnberg aaO.; Senat aaO.; Franke, § 47 Rdn. 14) oder die Wahrung der Rechtsordnung unbedingt die Freiheitsstrafe fordert (OLG München, Urteil vom 10. August 2009, 5 St RR 201/09 - zitiert in juris). Die Unverzichtbarkeit einer Freiheitsstrafe liegt jedenfalls umso ferner, je geringfügiger die konkrete Tatschuld ist (vgl. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 47 Rdn. 10 m.w.N.). Sie ist bei Delikten mit Bagatellcharakter nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen denkbar (OLG Brandenburg, Beschluss vom 19. Januar 2009, 1 Ss 99/08 - zitiert in juris; Fischer, § 47 Rdn. 6a).

Es mag angesichts der geringen Schwere der Straftaten der Angeklagten fern liegen, dass die Bewährung widerrufen und die Angeklagte den noch offenen Teil der Freiheitsstrafe verbüßen muss. Trotzdem hat das Landgericht auch diese Möglichkeit in seine Erwägungen einzubeziehen, falls es erneut die Unerlässlichkeit einer Freiheitsstrafe bejahen will.

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