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Entscheidungen

StPO

Auskunftsverweigerungsrecht, Beweisverwertungsverbot

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Jena, Beschl. v. 09.02.2011 - 1 Ss 113/10

Fundstellen:

Leitsatz: Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO setzt voraus, dass der Zeuge sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt, wenn er bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Angaben machen müsste, die zumindest einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO begründen würden. Ein solcher Anfangsverdacht muss sich auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, das heißt auf konkrete Tatsachen stützen, die dafür sprechen, dass gerade der zu untersuchende Lebenssachverhalt eine (bestimmte) Straftat enthält.

Die Missachtung der Belehrungspflicht nach § 55 Abs. 2 StPO führt in einem nachfolgenden Verfahren gegen einen vormaligen Zeugen wegen Falschaussage nicht grundsätzlich zu einem Verwertungsverbot seiner Aussage. Ihr kommt lediglich schuldmindernde Bedeutung zu, weshalb sie bei der Ahndung des Aussagedelikts als Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen ist.


THÜRINGER OBERLANDESGERICHT
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
wegen falscher uneidlicher Aussage
hat auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 12.07.2010
der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch
Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht,
Richterin am Oberlandesgericht und
Richterin am Oberlandesgericht
am 09. Februar 2011
einstimmig b e s c h l o s s e n:
Die Revision wird auf Antrag der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO auf Kosten des Angeklagten verworfen, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
G r ü n d e:
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil der 5. Strafkammer des Landgerichts Erfurt vom 12.07.2010 hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 55 Abs. 2 StPO, der nach Auffassung des Senats ein vollständiger und mithin den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügender Tatsachenvortrag zugrunde liegt, ist unbegründet.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen uneidlicher Falschaussage bezieht sich auf –nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils – unrichtige Angaben, die er als Zeuge bei seiner Vernehmung in der gegen die Angeklagten H, P und M geführten Hauptverhandlung vor der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Erfurt am 20.06.2007 gemacht hat, ohne zuvor vom Gericht über ein – nach seiner Auffassung bestehendes – Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Abs. 2 StPO belehrt worden zu sein. Gegenstand der Vernehmung war ein Vorfall am 01.06.2005 gegen 23.00 Uhr in der Humboldtstraße in W, bei dem die Frontscheibe des PKW des Ange-klagten beschädigt wurde.
a) Hierauf kann sich die Revision schon deshalb nicht mit Erfolg stützen, weil sich aus dem von ihr – vollständig – vorgetragenen Sachverhalt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 55 Abs. 2 StPO nicht ergibt. Insbesondere lässt das Revisionsvorbringen – auch in Verbindung mit den dem Senat aufgrund der Sachrüge zugänglichen Gründen des angefochtenen Urteils – keine Tatsachen erkennen, die dem Vorsitzenden der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Erfurt in der Hauptverhandlung am 20.06.2007 Grund zu der Annahme gegeben hätten, dass (gerade) der Angeklagte als Täter oder Beteiligter einer konkreten, im Rahmen des Vorfalls vom 01.06.2005 begangenen Straftat in Betracht kam oder dies offensichtlich gewesen wäre. Hierzu ist in der Revisionsbegründung ausgeführt:
„Im Rahmen der Ereignisse vom 01.06.2005 ist es den Ermittlungsergeb-nissen zufolge zu einer Art Straßenschlacht in W gekommen, in dessen Verlauf offensichtlich erhebliche Straftaten begangen worden sind. Den Ermittlungsergebnissen zufolge kam es zu Körperverletzungsdelikten und Sachbeschädigungen bei einer öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzung zwischen mutmaßlich 20 Personen. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen wurde auch Herr S am 01.06.2005 durch die Polizei in W festgestellt...
Aufgrund der Gesamtumstände hat das Landgericht Erfurt Herrn S im Rahmen der Befragung zu den Ereignissen vom 01.06.2005 rechtsfehlerhaft nicht über dessen mögliche Rechte aus § 55 Abs. 2 StPO belehrt...
Es war allerdings aufgrund der Gesamtumstände und der polizeilichen Ermittlungen keinesfalls ausgeschlossen, dass sich Herr S an diesem 01.06.2005 einer Straftat schuldig gemacht haben könnte...
Aufgrund der zwingend notwendigen Aktenkenntnis der verantwortlichen Berufsrichter des Landgerichts Erfurt im Rahmen der Zeugeneinvernahme des Herrn S am 20.06.2007 hätten diese wegen der Vielzahl von in Betracht zu ziehenden möglichen Straftaten rund um das Ereignis vom 01.06.2005 hierbei zumindest auch ein mögliches strafrechtlich relevantes Verhalten des Herrn S bedenken müssen....“
Zur Verdeutlichung wird auf einen in der Akte des Ausgangsverfahrens gegen die Angeklagten H, P und M enthaltenen Vermerk der Polizeiinspektion Weimar verwiesen, der wie folgt in der Revisionsbegründung wiedergegeben ist:
„Am 01.06.2005, 23.12 Uhr erhielt die Streifenbesatzung G/B den Auftrag, in die Humboldtstraße in W zu fahren. Hier sollte es nach erster Information zu einer Schlägerei zwischen einer größeren Gruppe in der Nähe der Gaststätte ´Luise` gekommen sein.
Beim Eintreffen der Besatzung wurde eine Anzahl von Personen fest-gestellt, welche der Bekleidung nach (Aufschrift) dem Club ´Dark Forces` zugeordnet werden konnten.
Die Personen standen bei einem Fahrzeug der Marke Mitsubishi mit dem aKz A. Das Fahrzeug war augenscheinlich an der Frontscheibe beschädigt. Direkt hinter dem Fahrzeug stand ein Volvo V 70 aKz Z –, der einem der Beteiligten zuzuordnen ist.
Weitere Dark Forces Mitglieder entstiegen einem BMW mit dem aKz J –. Auch ein mehrere Meter vor dem angegriffenen Fahrzeug stehender Opel aKz J gehörte einem der in der Gruppe stehenden Dark Forces Mitgliedern.
Die Umstehenden verhielten sich bei der ersten Befragung nicht koopera-tiv und wollten keine Aussage zum Geschehen machen. Im Verlauf der Straße, in Richtung Schubertstraße waren Scherben auf der Fahrbahn ersichtlich, an der Einmündung zur Schubertstraße lagen mehrere Scherbenfelder.
Desweiteren befanden sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite mehrere Personen, die verschüchtert noch unter dem Eindruck des Ge-schehens standen. Diese berichteten aufgeregt darüber, wie eine Gruppe von ca. 10 Personen mit Baseballschlägern Fahrzeuge angegriffen hatten und es zu einer Schlägerei gekommen war. Nach ersten Aussagen waren die Angreifer ebenso plötzlich erschienen, wie sie wieder verschwanden. Einer der Zeugen beklagte Augen- und Luftreizung, vermutete den Einsatz von Reizgas...
Desweiteren wurde in der Humboldtstraße, auf halber Höhe zwischen dem geschädigten Fahrzeug Mitsubishi und der Einmündung Schubertstraße, eine Herrenuhr durch den Beamten W gesichert, welche mit abgerissenem Armband auf der Fahrbahn lag. Es handelt sich um (eine) Metalluhr mit türkisfarbenem Ziffernblatt, kombinierte Analog/Digitalanzeige.
Diese konnte auf Anfrage in die Runde der umherstehenden Dark Forces – Anhänger dem Fahrer des Mitsubishi, einem S, H, geboren, B, zugeordnet werden.
Dieser griff sich an das Handgelenk, bemerkte das Fehlen und gab ge-genüber dem Beamten W an, dass diese ihm beim Gerangel abhanden gekommen sein könnte.“
Zusammenfassend ist in der Revisionsbegründung ausgeführt:
„Demnach kann festgehalten werden, dass bereits am 01.06.2005 zumin-dest der Tatverdacht auch gegen die Anwesenden des Motorradclubs Dark Forces, zumindest in Straftaten mit verwickelt gewesen zu sein, bestanden hat...
Die entsprechenden möglichen Straftatbestände der Beteiligung an einer Schlägerei, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung, ge-fährliche Körperverletzung u.a. müssen sicherlich diesbezüglich nicht vollumfänglich ausgeführt werden, da deren Tatbegehung zumindest abstrakt in Frage kam...“.
Entgegen der in der Revisionsbegründung vertretenen Auffassung reicht indes die „abstrakte“Möglichkeit der „Mitverwicklung“ in (irgendwelche) Straftaten für die Annahme eines Auskunftsverweigerungsrechts nach § 55 Abs. 1 StPO nicht aus. Diese Vorschrift setzt vielmehr voraus, dass der Zeuge sich der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt, wenn er bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Angaben machen müsste, die zumindest einen prozessual ausreichenden Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO begründen würden. Ein solcher Anfangsverdacht muss sich auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, das heißt auf konkrete Tatsachen stützen, die dafür sprechen, dass gerade der zu untersuchende Lebenssachverhalt eine (bestimmte) Straftat enthält. Bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder rei-ne denktheoretische Möglichkeiten reichen weder für einen prozes-sual ausreichenden Anfangsverdacht noch für ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO aus (vgl. BGH, Beschluss vom 01.06.1994, StB 10/94, 1 BJs 182/83StB 10/94, bei juris m.w.N.). Bei zweifellos ausgeschlossener Gefahr der Strafverfolgung, etwa weil offensichtlich Rechtfertigungs- oder Ent-schuldigungsgründe vorliegen, besteht ebenfalls kein Auskunftsverweigerungsrecht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 55 Rn. 8). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte Täter oder Teilnehmer eines bestimmten rechtswidrigen Delikts gewesen ist, ergeben sich aus dem Revisionsvorbringen nicht. Der Revisionsbegründung ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte im Rahmen des Vorfalls vom 01.06.2005 überhaupt – ohne hierbei in Notwehr zu handeln – irgendeine Person geschlagen oder sonst körperlich angegriffen hätte und dadurch ein Körperverletzungsdelikt verwirklicht haben könnte. Ebenso wenig sind konkrete Umstände vorgetragen, die darauf hindeuten, dass der Angeklagte fremde Sachen beschädigt oder sich i.S.d. § 125 StGB als Täter oder Teilnehmer an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohungen von Menschen mit Gewalttätigkeiten beteiligt hätte oder die Voraussetzungen für seine Strafbarkeit wegen Beteiligung an einer Schlägerei nach § 231 StGB, die nur bei Tod oder schwerer Körperverletzung eines Menschen in Betracht kommt, gegeben sein könnten. Vielmehr lässt sich aus dem Revisionsvorbringen nur schließen, dass der Angeklagte bei dem Vorfall am 01.06.2005 Opfer einer Sachbeschädigung geworden ist. Eben deshalb ist ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils von einer Belehrung in der Hauptverhandlung am 20.06.2007 abgesehen worden.
b) Die erhobene Verfahrensrüge wäre im Übrigen auch dann unbegründet, wenn der Angeklagte nach § 55 Abs. 2 StPO hätte belehrt werden müssen.
Der Senat folgt insoweit der Auffassung, dass eine Missachtung der Belehrungspflicht nach § 55 Abs. 2 StPO in einem nachfolgenden Verfahren gegen einen vormaligen Zeugen wegen Falschaussage dort nicht grundsätzlich zu einem Verwertungsverbot seiner Aussage führt (so aber OLG Celle, Beschluss vom 07.02.2001, 32 Ss 101/01; BayObLG, Beschluss vom 16.05.2001, 1St RR 48/01, bei juris), sondern ihr lediglich schuldmindernde Bedeutung zukommt, weshalb sie bei der Ahndung dieser Tat als Strafmilderungsgrund zu berück-sichtigen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13.02.2004, 2 StR 408/03; Urteil vom 13.02.1991, 3 StR 342/90; Beschluss vom 04.02.1986, 4 StR 685/85; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.06.2002, 3 Ss 120/01, bei juris).
Da ein Verwertungsverbot in Bezug auf die Aussage des Angeklagten vom 20.06.2007 nicht in Betracht kommt, hätte seine unterbliebene Belehrung nach § 55 Abs. 2 StPO im Ausgangsverfahren auch dann keine Auswirkungen auf den Schuldspruch gehabt, wenn er tatsächlich hätte belehrt werden müssen. Auch soweit es den Rechtsfolgenausspruch betrifft, wäre das angefochtene Urteil, selbst wenn eine Belehrungspflicht bestanden hätte, auch im Hinblick auf den vom Senat angenommenen Strafmilderungsgrund nicht zu beanstanden. Denn das Landgericht hat die gegen den Angeklagten verhängte Strafe bereits aufgrund anderer Strafmilderungserwägungen auf das nach § 47 Abs. 2 Satz 2 StGB noch zulässige Mindestmaß von 90 Tagessätzen und damit auf die gesetzlich niedrigste Strafe gemildert, so dass eine verfah-rensfehlerhaft unterbliebene Belehrung auch für den Rechtsfolgenausspruch nicht ursächlich wäre.
2. Im Übrigen hat die Prüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

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