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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 480/07 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Strafbarkeit wegen falschen Angaben (falscher Personenstand) im Rahmen einer Antragstellung auf Verlängerung einer ausländerrechtlichen Duldung.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufenthaltsgesetz; falsche Angaben; falscher Personenstand; Strafbarkeit;

Normen: AufenthG 95; AufenthG 42;

Beschluss:

Strafsache
gegen V.O. und T.K.
wegen Verstoßes gegen das AufenthG.

Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden vom 29.05.2007 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 11. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Angeklagten sind vom Amtsgericht Minden jeweils wegen “Machens unrichtiger Angaben entgegen § 49 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz“ (§ 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 7 Euro verurteilt worden. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts stellten sie am 23.12.2005 beim Ausländeramt der Stadt Minden jeweils einen Antrag auf Verlängerung ihrer Duldung. Dabei gaben sie jeweils wahrheitswidrig an, sie seien in Polozk (Weißrussland) geboren, hätten die weißrussische Staatsangehörigkeit und seien verheiratet. Tatsächlich seien sie unter den von ihnen jeweils angegebenen Personalien nicht bekannt, insbesondere liege keine Eintragung über eine Ehschließung dort vor.

Gegen das Urteil haben beide Angeklagten form- und fristgerecht (Sprung-)Revision eingelegt und diese jeweils form- und fristgerecht mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat die Verwerfung der Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO beantragt.

II.
Die Revisionen beider Angeklagter haben mit der Sachrüge Erfolg.

1. Ein Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs durch die (Vor-)Verurteilung des Amtsgerichts Minden vom 19.08.2005 wegen „Machens unrichtiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels bzw. einer Duldung“ in jeweils dreizehn Fällen ist nicht eingetreten. Das Amtsgericht Minden hatte beide Angeklagten jeweils wegen Verstoßes gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG und 95 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in 13 Fällen, begangen zwischen Mai 2001 und Januar 2005 zu einer Gesamtgeldstrafe von jeweils 120 Tagessätzen zu je 7 Euro verurteilt. Grundlage der Verurteilung war, dass die Angeklagten seinerzeit jeweils bei ihren Anträgen auf Duldung, Erneuerung bzw. Verlängerung der Duldung wahrheitswidrig angegeben hatte, sie seien in Weißrussland geboren, hätten die dortige Staatsangehörigkeit und seien miteinander verheiratet.

Ein Strafklageverbrauch liegt dann vor, wenn das frühere Verfahren, wegen der Tat, die Gegenstand des jetzigen Verfahrens ist, vollständig abgeschlossen ist. Die Sperrwirkung reicht so weit, wie die Sachentscheidung auf Grund der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses geboten war (Meyer-Goßner 50. Aufl. Einl Rdn. 171, 173). Die frühere Verurteilung durch das AG Minden bezog sich jeweils auf unrichtige Angaben bezüglich des Geburtsorts in Weißrussland, der weißrussischen Staatsangehörigkeit und des Familienstandes bei Anträgen auf Duldung bzw. Verlängerung oder Erneuerung der Duldung im Zeitraum von Mai 2001 bis Januar 2005. Das vorliegende Verfahren bezieht sich hingegen auf falsche Angaben im Rahmen einer Antragstellung auf Verlängerung der Duldung am 23.12.2005, also vier Monate nach der oben genannten Verurteilung. Hierbei handelt es sich um einen Lebenssachverhalt, der nicht von der früheren Verurteilung erfasst ist. Zwar haben die Angeklagten nach den – nur teilweise rechtsfehlerfrei getroffenen – amtsgerichtlichen Feststellungen bei der neuen Antragstellung am 23.12.2005 die gleichen falschen Angaben gemacht wie früher. Indes ist die neue Antragstellung schon rein zeitlich nicht von der früheren Verurteilung umfasst. Es handelt sich auch um ein neues, willensgetragenes Tätigwerden der Angeklagten durch die erneute Antragstellung. Diese fand statt in einem Verfahren, das ein anderes Verfahrensziel hatte (nämlich Verlängerung der Duldung nach Erlöschen einer bisherigen Duldung für die Zeit nach dem 23.12.2005) als die früheren Verfahren. Durch die neuerlich falschen Angaben sollte auch für die Zukunft ein Abschiebungshindernis i.S.d. § 60a AufenthG begründet werden.

2. Die Verurteilung der beiden Angeklagten hält aber in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht Stand.

Nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG macht sich strafbar, wer (vorsätzlich) entgegen § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (§ 49 Abs. 2 AufenthG n.F., Fassung durch das Gesetz vom 20.07.2007 (BGBl I S. 1566) die dort geforderten Angaben nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, wenn die Tat nicht bereits nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG strafbar ist.

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 AufenthG hat das Amtsgericht zu Unrecht bejaht.

a) Soweit das Amtsgericht der Strafbarkeit zu Grunde legt, dass die Angeklagten wahrheitswidrig angegeben hätten, sie seien in Polozk (Weißrussland) geboren und hätten die weißrussische Staatsangehörigkeit, ist die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, da sie lückenhaft (vgl. dazu BGH NStZ 1983, 277, 278; OLG Hamm Beschl. v. 02.08.2007 – 3 Ss 319/07; OLG Hamm Beschl. v. 29.08.2001 – 2 Ss 488/01) ist.

Das Amtsgericht stützt seine Feststellungen darauf, dass das weißrussische Außenministerium in einer verlesenen Verbalnote bescheinigt habe, dass eine Eintragung über die Eheschließung der Angeklagten nicht vorhanden sei. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe vermag der Senat noch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass die Angeklagten angegeben haben sollen, sie seien miteinander verheiratet und dass die Eheschließung bereits in Weißrussland erfolgte. Anhaltspunkte dafür, dass auch die Angaben zu Geburtsort und Staatsangehörigkeit falsch sind, ergeben sich im übrigen aus dem angefochtenen Urteil nicht. Worauf das Amtsgericht seine Überzeugung stützt, dass die Angaben der Angeklagten zu Geburtsort und Staatsangehörigkeit der Wahrheit zuwider erfolgten, erschließt sich aus dem Urteil nicht.

Sofern das Amtsgericht der Auffassung sein sollte, dass in derartigen Fällen geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung zu stellen seien, worauf die unklaren Ausführungen zum „Maßstab der Überzeugungsbildung“, wonach es einer wachsenden Tendenz zur Verschleierung der Identität und Staatsangehörigkeit generalpräventiv entgegenzuwirken gelte, hindeuten, gehen diese Ausführungen ersichtlich an der Sache vorbei und sind rechtlich nicht haltbar. Generalpräventive Erwägungen sind auf der Rechtsfolgenseite, nach Überzeugung von der Schuld der Angeklagten, zu berücksichtigen (vgl. § 47 Abs. 1 StGB bzw. § 45 Abs. 3 StGB). Sie können aber nicht zu einer Absenkung des erforderlichen Grades der Überzeugungsbildung des Richters führen.

b) Auch die einzig verbleibende, rechtsfehlerfrei festgestellte unrichtige Angabe hinsichtlich der Eheschließung der Angeklagten erfüllt nicht die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG iVm. § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (§ 49 Abs. 2 AufenthG n.F.). Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich zwar noch hinreichend entnehmen, dass beide Angeklagten jeweils im Rahmen einer schriftlichen Antragstellung die inkriminierten Angaben gemacht haben und dass diese Angaben „auf Verlangen“ der Ausländerbehörde gemacht wurden (vgl. UA S. 7). Indes reicht nicht jegliche falsche Angabe zur Herbeiführung der Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG. Das zeigt sich schon an dem Vergleich mit § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG. Letzterer setzt ganz allgemein unrichtige oder unvollständige Angaben voraus (enthält dafür allerdings zusätzliche subjektive Voraussetzungen), ersterer nur solche i.S.v. § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (§ 49 Abs. 2 AufenthG n.F.).

Die Täuschung über die Eheschließung ist jedoch allenfalls in – hier nicht festgestellten - Ausnahmefällen eine Angabe i.S.d. § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (§ 49 Abs. 2 AufenthG n.F.). Nach dieser Vorschrift muss es sich um Angaben des Ausländers „zu seinem Alter, seiner Identität und Staatsangehörigkeit“ handeln.

Mit „Identität“ ist die „nachzuweisende Echtheit einer Person“ (vgl. Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort „Identität“) gemeint. Diesem Identitätsbegriff entspricht die Regelung des § 49 Abs. 3 AufenthG, denn danach können bei Bestehen von „Zweifel über die Person“ des Ausländers bestimmte Maßnahmen „zur Feststellung seiner Identität“ getroffen werden. Es ist nach der Gesetzesfassung nicht erforderlich, dass die Identität als solche falsch benannt wird (also jemand vorgibt ein anderer zu sein). Es reicht aus, wenn einzelne Umstände, die der Feststellung der Identität dienen, unrichtig benannt werden. In § 49 Abs. 1 AufenthG a.F. (§ 49 Abs. 2 AufenthG n.F.) sind nämlich Angaben „zur“ Identität (abzugrenzen von einer Angabe „der“ Identität) gefordert.

Der Personenstand dient im Regelfall nicht der Identifizierung einer Person. Das zeigt sich bereits daran, dass der Personenstand nach § 1 PersAuswG nicht in das Ausweispapier aufgenommen wird. Der Feststellung der Identität dienen regelmäßig die Angaben zu Vornamen, Familiennamen und gegebenenfalls Geburtsnamen, Ort und Zeit der Geburt sowie die Angabe der Anschrift (OLG Hamm NJW 1988, 274 – zu § 111 OWiG -). Der Personenstand ist wegen möglicher Wechsel und wegen möglicherweise unterschiedlichen Definitionen in fremden Kulturkreisen ein eher wenig geeignetes Identifizierungsmerkmal zum Nachweis der „Echtheit“ einer Person. Indiziell spricht auch Nr. 49.1.4. der vorläufigen Anwendungshinweise zum AufenthG dagegen (abgedruckt bei Renner, Ausländerrecht 8. Aufl. zu § 49 AufenthG). Dort ist der Personenstand als Identitätsmerkmal nicht aufgeführt. Dass nach § 111 OWiG auch eine falsche Angabe zum Familienstand bußgeldbewehrt ist, steht dem Auslegungsergebnis nicht entgegen. Geschütztes Rechtsgut dieser Vorschrift ist nicht nur das staatliche Interesse an der Identitätsfeststellung einer Person, sondern auch das staatliche Interesse an der Kenntnis weiterer Personenangaben, um staatliche Aufgaben ordnungsgemäß durchführen zu können (vgl. OLG Hamm NJW 1988, 274; KK-OWiG-Rogall, 3. Aufl. § 111 Rdn. 4). Soweit teilweise in der Literatur ausgeführt wird, dass auch das Vortäuschen einer ehelichen Lebensgemeinschaft eine unrichtige Angabe sei (vgl. Renner, 8. Aufl. § 95 AufenthG Rdn. 18), bezieht sich dies ersichtlich auf den früheren § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG, dem der heutige § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufentG entspricht. Im Rahmen des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist die Problematik aber eine andere. Er ist in objektiver Hinsicht weiter gefasst, verlangt dafür aber zusätzliche subjektive Merkmale, wobei sich diese nach der zum Tatzeitpunkt geltenden Gesetzesfassung nur auf die Erlangung eines Aufenthaltstitels, nicht aber einer Duldung bezogen.

Der Senat will nicht ausschließen, dass im Ausnahmefall auch einmal die Angabe des Personenstands zur Feststellung der Identität notwendig sein kann. Das kommt in Betracht, wenn bei mehreren Personen mit im übrigen gleichen Identitätsmerkmalen (wie Name, Vorname, Tag und Ort der Geburt etc.) die Unterscheidung nur über den Personenstand möglich ist. Dass ein solcher Fall hier vorliegt, ist vom Amtsgericht aber nicht festgestellt.

c) Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung (Fassung vom 30.07.2007, gültig vom 01.01.2005 bis zum 27.08.2007 – juris -) ergeben sich aus den Feststellungen, soweit sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden, nicht. Insbesondere erfasste die Vorschrift zum Tatzeitpunkt (anders als die aktuelle Gesetzesfassung) noch nicht die Falschangaben zur Erlangung einer Duldung sondern nur solche zur Erlangung eines Aufenthaltstitels, zu denen aber die Duldung nicht gehört (vgl. § 4 Abs. 1 AufenthG).

3. a) Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler, auf denen das Urteil auch beruht, war es aufzuheben und an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen
(§ 354 Abs. 2 StPO).

b) Der neue Tatrichter wird insbesondere auch zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Wahrung des in der Menschenwürde gem. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Schuldprinzips in Fällen derartiger „wiederholender Verurteilungen“ stellt (BVerfG, Beschl. v. 27.12.2006 – 2 BvR 1895/05), gewahrt sind. Danach muss insbesondere geprüft und begründet werden, dass der Täter „einen neuen, von dem ersten qualitativ verschiedenen, weil die vorausgegangenen Verurteilungen außer Acht lassenden Tatentschluss gefasst hat“ (BVerfG, a.a.O. Rdn. 31).

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass zur revisionsgerichtlichen Überprüfung, ob ggf. eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit den Strafen aus einer früherern Verurteilung in Betracht kommt, grundsätzlich die Angabe erforderlich ist, wann die Vorverurteilung rechtskräftig geworden ist bzw. wann das letzte Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten (ggf. ein Berufungsurteil), ergangen ist (vgl. dazu BGH NStZ 2002, 590).

Die Schriftsätze der Verteidiger vom 18.11.07 lagen vor und waren Gegenstand der Beratung.



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