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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss OWi 759/06 OLG Hamm

Leitsatz: Bei besonders langer Meßstrecke und geringem Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug - hier 75 Meter Abstand bei einer Meßstrecke von 3.000 Metern - können bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit nähere Ausführungen zu den Sichtverhältnissen und zu den Orientierungspunkten zur Abstandsschätzung entbehrlich sein.

Senat: 4

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Geschwindigkeitsüberschreitung, Messung durch Nachfahren, Messung durch Hinterherfahren, Nachtzeit, besonders lange Meßstrecke, 3 km, 3000 m, geringer Abstand, Sichtverhältnisse, Orientierungspunkte, Änderung des Schuldspruchs

Normen: StPO 261, StVO 3

Beschluss:

Bußgeldsache gegen U. F.,
wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Borken vom 16. August 2006 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 4. Dezember 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird mit der Maßgabe verworfen, daß der Betroffene schuldig ist der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO).

Gründe: I. Gegen den Betroffenen ist durch Bußgeldbescheid des Landrates des Kreises Borken vom 18. Mai 2006 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 76 km/h eine Geldbuße von 750,00 Euro und ein Fahrverbot von drei Monaten Dauer unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2 a StVG verhängt worden.
Auf seinen zulässigen Einspruch hat ihn das Amtsgericht Borken durch das angefochtene Urteil wegen "Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 76 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft - fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit -" zu einer Geldbuße von 400,00 Euro und - ebenfalls unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2 a StVG - zu einem Fahrverbot von zwei Monaten Dauer verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und - jedenfalls inzidenter - materiellen Rechts rügt. Er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das angefochtene Urteil mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Borken zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht ergeben. Lediglich die vom Amtsgericht festgestellte Schuldform war zu berichtigen, da der Betroffene nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt hat. Das Verschlechterungsverbot (vgl. § 358 Abs. 2 StPO) steht dieser Abänderung nicht entgegen (Göhler, OWiG, 14. Auflage, § 79 Rdnr. 37 m.w.N.).
Das Amtsgericht hat zur Tat folgende Feststellungen getroffen:
"Am 30.04.2006 befuhr der Betroffene mit seinem Pkw Volvo mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXX um 4.50 Uhr in Heiden die A 31 in Fahrtrichtung Emden. Sein Beifahrer war der Zeuge L.. In diesem Bereich der Autobahn befand sich seinerzeit eine Baustelle. Im Einfahrtsbereich der Baustelle war die zulässige Höchstgeschwindigkeit wegen erheblicher Fahrbahnschäden und einer Verschwenkung, die den Verkehr auf nur eine Fahrspur lenkt, auf 60 km/h, im weiteren Verlauf der Baustelle dann auf 80 km/h begrenzt. Die Reduzierung der Geschwindigkeit vor der Baustelle erfolgte durch einen Geschwindigkeitstrichter, der die Geschwindigkeiten in den Stufen 100 km/h bei Kilometer 32.920, 80 km/h bei Kilometer 33.120 und schließlich 60 km/h bei Kilometer 33.520 herabsetzte.
Die vom Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit wurde von den Zeugen Polizeihauptkommissar F. und Polizeiobermeister K. durch Nachfahren mit dem Funkstreifenkraftwagen mit dem amtlichen Kennzeichen MS - XXXX gemessen. Der Tacho in dem Polizeifahrzeug war geeicht bis zum 31.01.2007. Die Messung begann bei Kilometer 31,5 und endete bei Kilometer 34,5. Die Messstrecke betrug somit 3.000 Meter. Der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug betrug gleich bleibend ca. 75 m. Der Betroffene fuhr ungebremst mit einer Geschwindigkeit von 160 km/h in den Baustellenbereich ein und durchfuhr auch die Verschwenkung mit dieser Geschwindigkeit. Innerhalb der Baustelle, etwa ab km 35, reduzierte der Betroffene die Geschwindigkeit und fuhr bei erlaubten 80 km/h mit 130 km/h fast durch den gesamten Baustellenbereich. Wegen eines langsameren vorausfahrenden Fahrzeug musste er seine Geschwindigkeit dann auf ca. 100 km/h verringern. Unmittelbar nach der Baustelle beschleunigte er stark und fuhr mit einer Geschwindigkeit von gut 200 km/h weiter.
Für den Betroffenen wurde zur Tatzeit während der gesamten Messstrecke eine Geschwindigkeit von 160 km/h gemessen. Nach Abzug eines Toleranzwertes für Messungenauigkeiten von 15% verblieb eine nachweisliche Geschwindigkeit von 136 km/h. Der Betroffene hat daher die außerörtlich zugelassene Höchstgeschwindigkeit um 76 km/h netto überschritten."
Die Einlassung des Betroffenen, die im wesentlichen durch den Zeugen L. bestätigt worden ist, er sei mit allenfalls leicht überhöhter Geschwindigkeit im Bereich der Baustelle gefahren, hat das Amtsgericht aufgrund der Aussagen der beiden Meßbeamten als widerlegt angesehen. Auch eine von dem Betroffenen eingewandte mögliche Verwechselung hat das Amtsgericht aufgrund der Aussagen dieser Zeugen ausgeschlossen, die bekundet haben, sie hätten das Fahrzeug des Betroffenen bis zu dessen Anhalten nicht aus den Augen verloren.
Die Feststellungen und die Beweiswürdigung des Amtsgerichts zum Schuldspruch sind frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Betroffenen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat vom 20. November 2006 unter Hinweis auf die obergerichtliche Rechtsprechung, der der Senat folgt (z.B. Senatsbeschluß vom 18. März 2003 - 4 Ss OWi 110/03 - sowie vom 11. Juli 2000 - 4 Ss OWi 676/00 -), zwar zutreffend darauf hingewiesen, daß bei Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren zur Nachzeit wie hier nicht nur Angaben zur Länge der Meßstrecke, zu dem Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug, zur Justierung des Tachos und zur Höhe des Sicherheitsabschlages erforderlich sind, sondern grundsätzlich auch dazu, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren. Diese Ausführungen sind auch nach Ansicht des Senats grundsätzlich erforderlich, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt war und damit sicher erfaßt und geschätzt werden konnte. Außerdem sind grundsätzlich Ausführungen dazu erforderlich, ob ausreichende und trotz der Dunkelheit hinreichend erkennbare Orientierungspunkte für die Bestimmung des Abstandes vorhanden waren. Die in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen beziehen sich allerdings ganz überwiegend auf Meßstrecken von rund 1.000 Metern und einem Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug von 100 bis 150 Metern.
Die vorliegende Messung weist demgemäß Besonderheiten auf, so daß auch ohne diese zusätzlichen Angaben zu den Sichtverhältnissen und Orientierungshilfen ausnahmsweise von einer hinreichend sicheren Messung ausgegangen werden kann. So ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Meßstrecke mit 3.000 Metern außerordentlich lang war. Selbst bei Zugrundelegung der von den Zeugen abgelesenen Geschwindigkeit von 160 km/h bedeutet eine Strecke von 3.000 Metern eine Meßzeit von 67,5 Sekunden. Während dieser gesamten Strecke ist nach den Aussagen der beiden Polizeibeamten, die das Amtsgericht für zuverlässig angesehen hat, eine gleichbleibende Geschwindigkeit von 160 km/h auf dem justierten Tacho des Polizeifahrzeugs abgelesen worden. Der Abstand zu dem gemessenen Fahrzeug des Betroffenen war mit 75 Metern zudem relativ gering. Eine Geschwindigkeitsdifferenz der beiden Fahrzeuge von nur 5 km/h hätte auf die Meßstrecke eine Abstandsveränderung von 93,5 Metern ergeben. Auch wenn kein Erfahrungssatz besteht, daß asymmetrisches Abblendlicht immer eine Sicht von 70 bis 80 Metern auf den vorausliegenden Straßenraum gewährt (vgl. Hentschel, StVR, 37. Auflage, § 50 StVZO Rdnr. 15), ist angesichts dieser Besonderheiten doch davon auszugehen, daß der Abstand zum Fahrzeug des vorausfahrenden Betroffenen von den Polizeibeamten, die eine gezielte Überwachungsmaßnahme durchgeführt hatten, hinreichend zuverlässig geschätzt werden konnte. Insbesondere wäre ihnen eine größere Abstandsveränderung trotz Dunkelheit sicherlich aufgefallen. Mangels anderer Anhaltspunkte ist auch davon auszugehen, daß an der Bundesautobahn Leitpfosten im üblichen Abstand von 50 Metern installiert waren, die den Zeugen als Orientierungshilfe dienen konnten.
Unzutreffend ist das Amtsgericht allerdings davon ausgegangen, daß dem Betroffenen vorliegend nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen sei. Die Geschwindigkeitsüberschreitung betrug vorliegend im Bereich einer Gefahrenstelle rund 125%, das Amtsgericht hat einen Geschwindigkeitstrichter mit Stufen von 100 km/h bei Kilometer 32.920, 80 km/h bei Kilometer 33.120 und schließlich 60 km/h bei Kilometer 33.520 festgestellt. Schon seine außerordentlich hohe Geschwindigkeit kann dem Betroffenen angesichts der Verschwenkung der Fahrbahn und der Baustelle nicht verborgen geblieben sein. Außerdem ist angesichts der Verschwenkung mit Sicherheit neben der stufenweisen Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch zahlreiche weitere Schilder und Warnzeichen auf diese Gefahrenstelle hingewiesen worden. Schließlich handelte es sich nach der Aussage des Zeugen K. ersichtlich um ein waghalsiges Fahrmanöver, denn die ungebremste Einfahrt in die Baustelle hatte ihn zu der spontanen Äußerung veranlaßt, das habe der Fahrer schon öfter gemacht.
Angesichts des Umstandes, daß die Bußgeldkatalogverordnung für eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 70 km/h gemäß Nr. 11.3.10 der Tabelle 1 eine Geldbuße von 375,00 Euro und die Verhängung eines Fahrverbots von drei Monaten vorsieht, ist insbesondere unter Berücksichtigung des vorliegenden Vorsatzes gegen die verhängten Rechtsfolgen - 400,00 Euro Geldbuße und ein Fahrverbot von zwei Monaten unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2 a StVG - nichts zu erinnern. Das Amtsgericht hat - jedenfalls insoweit rechtsfehlerfrei - keine Veranlassung gesehen, die Dauer des Fahrverbotes weiter zu verringern oder gar von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen.
Auch die erhobene Verfahrensrüge der fehlerhaften Zurückweisung eines Beweisantrages führt der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg. Der Betroffene hatte zum Beweis der Tatsache, daß es nicht möglich sei, mit einer Geschwindigkeit von 136 km/h in den Baustellenbereich einzufahren, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Diesen Antrag hat das Gericht jedoch angesichts der Zeugenaussagen der beiden Polizeibeamten, die das Fahrzeug des Betroffenen im Bereich der Verschwenkung mit eben dieser Geschwindigkeit gemessen und dabei diesen Bereich mit einer solchen Geschwindigkeit selbst befahren haben, zu Recht gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen. Die Aufklärungspflicht gebot die beantragte Beweiserhebung nicht.
III. Die danach erfolglose Rechtsbeschwerde des Betroffenen war mit der Kostenfolge aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.



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