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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 411/17 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Die Ablehnung eines Antrages auf Bestellung eines Pflichtverteidigers im Berufungsrechtszug ist gemäß § 304 StPO mit der Beschwerde anfechtbar und nicht lediglich mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO. Dies gilt mangels rechtskräftigen Abschlusses des Verfahrens auch in den Fällen, in denen das Verfahren gemäß § 153 a StPO vorläufig eingestellt ist.
2. Bei Freispruch des Angeklagten im ersten Rechtszug und Berufung der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel der Verurteilung des Angeklagten besteht in der Regel unter dem Gesichtspunkt einer Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage Anlass für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, weil zwei mit der Strafverfolgung betraute Stellen über die Beurteilung der Sach- oder Rechtslage unterschiedlicher Auffassung sind und für den - freigesprochenen - Angeklagten das Risiko einer Verurteilung im Berufungsrechtszug besteht. Dies gilt indes nicht nach erfolgter vorläufiger Einstellung des Verfahrens, da eine Verurteilung des Angeklagten aktuell nicht mehr im Raum steht und dieser es vielmehr selbst in der Hand hat, mit Erfüllung der vereinbarten Auflage die endgültige Einstellung des Verfahrens herbeizuführen.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Freispruch, Pflichtverteidigerbestellung, Rechtsmittel, Einstellung

Normen: StPO 140

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 1. Strafsenat des OLG Hamm am 05.09.2017 beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Gründe:

I.
Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, unerlaubt Betäubungsmittel besessen zu haben. Bei einer polizeilichen Kontrolle sei bei dem Angeklagten ein Tütchen mit 0,54 g MDMA vorgefunden worden, wobei der Angeklagte nicht im Besitz betäubungsmittelrechtlicher Erlaubnisse sei. Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten am 29.03.2017 freigesprochen. Hiergegen wandte sich die Staatsanwaltschaft Dortmund mit der Berufung. Sie wandte ein, das Amtsgericht habe den Sachverhalt nicht umfassend gewürdigt. In der Berufungshauptverhandlung vom 06.07.2017 stellte der Angeklagte den Antrag, seinen Wahlverteidiger als notwendigen Verteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO beizuordnen. Diesen Antrag wies das Landgericht mit der Begründung zurück, dass der Sachverhalt überschaubar sei und weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufweise. Auch im Hinblick auf das zu erwartende Strafmaß – im Strafbefehlswege waren zuvor 40 Tagessätze festgesetzt worden – lägen die Voraussetzungen für eine Beiordnung nicht vor. Das Verfahren wurde sodann ebenfalls durch weiteren Beschluss gemäß § 153a StPO gegen eine Arbeitsauflage vorläufig eingestellt. Gegen die Ablehnung der Beiordnung wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde vom 25.07.2017. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 16.08.2017 nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Beschwerde beantragt.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 304 StPO zulässig. Auch wenn die Entscheidung im Rahmen der Berufungshauptverhandlung getroffen wurde, so ist sie dennoch mit der Beschwerde gemäß § 304 StPO anfechtbar und nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO lediglich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Es handelt sich nach allgemeiner Auffassung nicht um eine der Urteilsfällung im Sinne von § 305 S. 1 StPO vorausgehende Entscheidung (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 60. Auflage, StPO, § 141 Rn. 10a m.w.N.). Vorliegend ist die Beschwerde auch nicht deshalb unzulässig, weil das Verfahren derzeit gemäß § 153a StPO vorläufig eingestellt ist. Es fehlt an einem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, so dass die Beschwerde zulässig bleibt. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Das Landgericht hat zu Recht eine Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt, da weder ein in § 140 Abs. 1 StPO genannter Fall notwendiger Verteidigung vorliegt noch die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 S. 1 StPO gegeben sind. Nach letztgenannter Vorschrift bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen unter anderem dann einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat diese Regelung dahin konkretisiert, dass dem Angeklagten in der Regel ein Verteidiger beizuordnen ist, wenn die Staatsanwaltshaft gegen ein freisprechendes Urteil Berufung eingelegt hat und eine Verurteilung aufgrund abweichender Beweiswürdigung oder sonst unterschiedlicher Beurteilung der Sach- und Rechtslage erstrebt (vgl. Schmitt a.a.O., § 140 Rn. 26a m.w.N.).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die - zwingende - Beiordnung eines Pflichtverteidigers liegen derzeit nicht vor. Zwar besteht in Verfahrenskonstellationen der vorliegenden Art - Freispruch des Angeklagten im ersten Rechtszug und Berufung der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel der Verurteilung des Angeklagten - in der Regel Anlass für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, weil sie dokumentiert, dass zwei mit der Strafverfolgung betraute Stellen über die Beurteilung der Sach- oder Rechtslage unterschiedlicher Auffassung sind und für den - freigesprochenen - Angeklagten das Risiko einer Verurteilung im Berufungsrechtszug besteht. Hier ist indessen ein Ausnahmefall gegeben. Rechtliche Schwierigkeiten, auf die ein großer Teil der Oberlandesgerichte (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2002, 336; OLG Bremen, NJW 1957, 151; OLG Hamm, NZV 1989, 244) maßgeblich abstellt, bestehen derzeit nicht. Zweck der Beiordnung ist, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensabschluss gewährleistet ist. In tatsächlicher Hinsicht ist die Sachlage derzeit einfach und übersichtlich. Das Verfahren ist – wenn auch nur vorläufig – gemäß § 153a StPO eingestellt. Der Angeklagte hat es selbst in der Hand mit der Ableistung der ihm auferlegten Arbeitsstunden die endgültige Einstellung des Verfahrens herbeizuführen. Für den Angeklagten steht damit aktuell eine Verurteilung nicht im Raum. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das Verfahren nach Erfüllung der Auflage endgültig eingestellt wird. Bei dieser Sachlage besteht kein Grund für die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Erst dann, wenn eine endgültige Einstellung des Verfahrens wegen Nichterfüllung der Auflage nicht erfolgt und das Berufungsverfahren fortgesetzt wird, bestünde gegebenenfalls Anlass einen Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.


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