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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 RVs 90/16 OLG Hamm

Leitsatz: Zu den Anforderungen/Voraussetzungen bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das AufentG.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: AufentG, Feststellungen, Anforderungen

Normen: AufentG

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgericht Hamm am 13.12.2016 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts – Strafrichter – Minden zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Minden hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil vom 28. Juli 2016 wegen unerlaubter Einreise zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt. Dem Verfahren liegt der Strafbefehl vom 26. November 2014 zugrunde, der dem Angeklagten am 28. November 2014 zugestellt wurde und gegen den er am 3. Dezember 2014 Einspruch eingelegt hat.

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Angeklagte algerischer Staatsangehöriger. Zur Sache hat das Amtsgericht die folgenden Feststellungen getroffen:
„Der Angeklagte wurde am 01.09.2010 aus der Bundesrepublik Deutschland nach Algerien mittels Flugabschiebung abgeschoben, nachdem ein Asylantrag, welchen er unter dem falschen Namen X1 gestellt hatte, rechtskräftig abgelehnt worden war. Obwohl er wusste, dass er nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen durfte, reiste er im September 2012 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und hielt sich seitdem hier auf. Ein am 01.11.2012 erneut gestellter Asylantrag unter dem Namen X2 wurde durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch Bescheid vom 23.05.2013, bestandskräftig seit dem 03.01.2014, als offensichtlich unbegründet abgelehnt.“

III.
Die zulässig erhobene und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils.

1. Dabei legt der Senat seiner Entscheidung zugrunde, dass das Amtsgericht entgegen der Fassung der Urteilsformel nicht nur den Tatbestand der unerlaubten Einreise gem. § 95 Abs. 2 Nr. 1a AufenthG, sondern auch den anschließenden unerlaubten Aufenthalt i.S.v. § 95 Abs. 2 Nr. 1b AufenthG abgeurteilt hat. In diesem Fall besteht zwischen beiden Delikten Tateinheit i.S.v. § 52 StGB (Huber-Hörich, AufenthG, 2. Aufl., § 95, Rdnr. 220; Mosbacher in: GK-AufenthG, Stand: Juli 2008, § 95, Rdnr. 233; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 – 1 StR 118/00, NStZ 2001, 101). In dem Strafbefehl vom 26. November 2014 sind als Tatzeitraum und Tatort „in der Zeit vom 16. Februar 2009 bis zum 12. Oktober 2012 in Z“ angegeben; inhaltlich wird dem Angeklagten vorgeworfen, dass er entgegen § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist sei und sich seit diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Eine Beschränkung dieses Tatvorwurfs ist nicht erfolgt. Die Liste der angewandten Vorschriften nennt beide Tatbestandalternativen. Auch die Feststellungen zur Tat belegen, dass nicht nur die unerlaubte Einreise, sondern auch der unerlaubte Aufenthalt Gegenstand der Verurteilung sein soll. Soweit der Angeklagte nach der Urteilformel lediglich wegen unerlaubter Einreise verurteilt wurde, dürfte es sich um ein Fassungsversehen handeln.

2. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung wegen unerlaubter Einreise und unerlaubten Aufenthaltes nach § 95 Abs. 2 Nr. 1a, Nr. 1b AufenthG nicht. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist in Bezug auf den Zeitpunkt der erneuten Einreise lückenhaft. Zudem fehlt es in den Urteilsgründen auch an den für erwiesen erachteten Tatsachen hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes.

a) Anhand der getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht überprüfen, ob zum angegeben Tatzeitpunkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG a.F. bestand, das die erneute Einreise und den anschließenden Aufenthalt des Angeklagten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unerlaubt machte.

aa) Das Amtsgericht hat bei seiner Entscheidung die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und deren durch Auslegung gewonnene Konkretisierung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen vom 19. September 2013 (C-297/12, juris) und vom 1. Oktober 2015 (C-290/14, NvWZ-RR 2015, 952) nicht berücksichtigt.

(1) Die sog. Rückführungsrichtlinie, die auf Art.  63 Abs. 3b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gem. Art. 2 Abs. 1  – vorbehaltlich der Klausel in Absatz  2 der Vorschrift – Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen (5. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie  definiert die Rückkehrentscheidung als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Rückkehrentscheidungen gehen in den in Art. 11 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie genannten Fällen mit einem Einreiseverbot einher; gemäß Satz 2 der Vorschrift können sie in anderen Fällen mit einem Einreiseverbot einhergehen. Das Einreiseverbot definiert Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Die Dauer des Einreiseverbots wird gem. Art. 11 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Die Dauer des Einreiseverbots kann jedoch nach Satz 2 der Vorschrift fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt (BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11, NVwZ 2013, 365, Rdnr. 35).

(2) Die Rückführungsrichtlinie trat am 13. Januar 2009 in Kraft und war nach Art. 20 Abs. 1 bis zum 24. Oktober 2010 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Der deutsche Gesetzgeber setzte die Richtlinie verspätet um. Das Richtlinienumsetzungesetz vom 22. November 2011 trat am 26. November 2011 in Kraft; die Änderungen betrafen u.a. das in § 11 AufenthG geregelte Einreise- und Aufenthaltsverbot, das nach § 11 Abs. 1 AufenthG alter und neuer Fassung eingreift, wenn ein Ausländer ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist. § 11 Abs. 1 S. 3 AufentG in der bis zum 25. November 2011 geltenden Fassung sah vor, dass diese Wirkungen auf Antrag befristet werden. § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG in der seit dem 26. November 2011 geltenden Fassung verschaffte dem Ausländer zwar einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11, NVwZ 2013, 365, Rdnr. 34), es blieb jedoch dabei, dass die Befristung nur auf Antrag erfolgte. Seit dem 24. Oktober 2015 ist die aktuelle Fassung von § 11 AufenthG in Kraft; nach § 11 Abs. 2 S. 1 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot nunmehr von Amts wegen zu befristen.

bb) Der Angeklagte fällt als Drittstaatsangehöriger, der im Jahr 2009 abgeschoben wurde und erneut eingereist ist, in den Anwendungsbereich der Richtlinie (vgl. Art. 1, Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie). Dem steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt seiner Abschiebung die Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten noch nicht abgelaufen war. Denn nach dem Urteil des EuGH vom 19. September 2013 (C-297/12, juris, Rdnr. 41) ist die Richtlinie auch auf die Wirkungen von Einreiseverboten anwendbar, die nach innerstaatlichen Vorschriften erlassen wurden, die galten, bevor die Richtlinie in dem betreffenden Mitgliedstaat anwendbar war. Die gegenteilige Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 14. Februar 2012 – 1 C 7/11, NVwZ 2012, 1558, Rdnr. 35; Urteil vom 22. März 2012 – 1 C 3/11, NVwZ-RR 2012, 529, Rdnr. 15; offengelassen im Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19/11, NVwZ 2013, 365, Rdnr. 45) und des Oberlandesgerichts München für den Bereich der strafrechtlichen Ahndung (Urteil vom 16. Juli 2012 – 4 StRR 107/12, NStZ 2013, 109) ist durch die Entscheidung des EuGH vom 19. September 2013 überholt.

cc) Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten durch die Richtlinie 2008/115 EG nicht gehindert, strafrechtliche Sanktionen gegen illegal aufhältige Drittstaatsangehörige vorzunehmen, bei denen die Anwendung des durch die Richtlinie geschaffenen Verfahrens zu einer Rückführung geführt hat und die unter Verstoß gegen ein Einreiseverbot erneut in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einreisen (EUGH, Urteil vom 1. Oktober 2015 – C-290/14, NvWZ-RR 2015, 952). Jedoch darf ein Mitgliedstaat einen Verstoß gegen ein Einreiseverbot, das in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/15/EG fällt, nicht strafrechtlich ahnden, wenn die Aufrechterhaltung der Wirkungen dieses Verbots nicht mit Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie in Einklang steht (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 – C-297/12, juris, Rdnr. 37); die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion ist demnach nur unter der Voraussetzung zulässig, dass das gegen den Drittstaatsangehörigen verhängte Einreiseverbot mit Art. 11 der Richtlinie in Einklang steht; dies zu prüfen ist Sache der nationalen Strafgerichte (EuGH, Urteil vom 1. Oktober 2015 – C-290/14, NvWZ-RR 2015, 925; Huber-Hörich, AufenthG, 2. Aufl., Vorb § 95, Rdnr. 38).

(1) Nach der zum Zeitpunkt der Abschiebung des Angeklagten geltenden Fassung des § 11 Abs. 1 S. 1 und 2 AufenthG wurde durch die Abschiebung des Angeklagten ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot ausgelöst, das nach § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG nur auf Antrag befristet wurde. Auch die ab dem 26. November 2011 gültige Fassung des Aufenthaltsgesetzes sah, wie bereits dargelegt, in § 11 Abs. 1 S. 3 vor, dass die durch Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung ausgelösten Wirkungen nur auf Antrag zu befristen waren. Ein unbefristetes Einreiseverbot, das nur auf Antrag befristet wird, widerspricht allerdings Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG (EuGH, Urteil vom 19. September 2013 – C-297/12, juris, Rdnr. 34), dies gilt auch für die kraft Gesetzes angeordnete unbefristete Einreisesperre der Abschiebung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. März 2014 – OVG 12 S 113.13, juris, Rdnr. 18; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: März 2014, § 59, Rdnr. 284).

(2) In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wurde in diesem Zusammenhang vertreten, dass eine unter Geltung von § 11 Abs. 1 AufenthG a.F. vollzogene Abschiebung dann rechtmäßig sei und eine Einreisesperre auslöse, wenn die Wirkungen der Abschiebung in unionskonformer Anwendung des § 11 Abs. 1 AufenthG von Amts wegen noch vor der zwangsweisen Beendigung des Aufenthalts befristet wurden (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 11 S 2303/12, juris, Rdnr. 9, 10; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. März 2014 – OVG 12 S 113/13, juris, Rdnr. 20 und Beschluss vom 9. November 2016 – OVG 12 N 30.16, juris, Rdnr. 4, Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: März 2014, § 59, Rdnr. 287).

(3) Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Abschiebungshaftsachen entschieden, dass mit Blick auf die Vorgabe des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG bei einem Betroffenen, der nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG a. F. kraft Gesetzes einem unbefristeten Einreiseverbot unterlag, nachträglich über eine Befristung befunden werden müsse, sofern an ein Einreiseverbot anknüpfende Maßnahmen getroffen werden sollten; ohne eine solche nachträgliche einzelfallbezogene Entscheidung, auf die der Betroffene abgesehen von den Ausnahmetatbeständen des § 11 Abs. 1 S. 7 AufenthG n.F. ein subjektives Recht habe, dürfe eine unerlaubte Einreise demnach nicht bejaht werden (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014 – V ZB 137/12, juris, Rdnr. 8; Beschluss vom 20. Februar 2014 – V ZB 76/13, juris, Rdnr. 6; Beschluss vom 16. September 2015 – V ZB 194/14, juris, Rdnr. 5).

(4) Für den Bereich der strafrechtlichen Ahndung bedeutet dies, dass eine Bestrafung nach § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG dann ausscheidet, wenn zum Tatzeitpunkt kein durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln bewirktes Einreise- und Aufenthaltsverbot bestand.

(a) Die einzelnen Straftat- und Bußgeldtatbestände des Ausländerstrafrechts verweisen häufig auf verwaltungsrechtliche Normen des jeweiligen Gesetzes bzw. knüpfen tatbestandlich an ein Handeln der Verwaltung an, sog. Verwaltungsakzessorietät (Huber-Hörich, AufenthG, 2. Aufl., Vorb § 95, Rdnr. 31 ff., § 95, Rdnr. 214; Hofmann-Fahlbusch, Ausländerrecht, 2. Aufl., Vor § 95 AufenthG, Rdnr. 6; Bergmann/Dienelt-Winkelmann, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 95 AufenthG, Rdnr. 7; Mosbacher in GK-AufenthG, Stand Juli 2008, Vor §§ 95 ff., Rdnr. 9). Die Strafbarkeit bei Verstößen gegen belastende Verwaltungsakte setzt deren vollstreckungsrechtliche (formelle) Vollziehbarkeit voraus (Huber-Hörich, AufenthG, 2. Aufl., Vorb § 95, Rdnr. 34; Hofmann-Fahlbusch, Ausländerrecht, 2. Aufl., Vor § 95 AufenthG, Rdnr. 7; Mosbacher in: GK-AufenthG, Stand: Juli 2008, Vor §§ 95 ff., Rdnr. 15 ff.). Die Fehlerhaftigkeit von Verwaltungsakten wirkt sich auf die strafrechltiche Beurteilung dann aus, wenn der zugrunde liegende Verwaltungsakt nichtig i.S.d. § 44 VwVfG ist; in diesem Fall kommt eine strafrechtliche Sanktionierung nicht in Betracht. Der durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt Betroffene muss sich nach der herrschenden Praxis darauf verweisen lassen, Rechtsmittel einzulegen; bis zu einem Erfolg seines Rechtsmittels ist er an die Vorgaben des Verwaltungsakts gebunden, so dass aus ihm als Folge des verwaltungsakzessorischen Strafrechts eine Strafbarkeit gem. § 95 AufenthG resultieren kann (Huber-Hörich, AufenthG, 2. Aufl., Vorb § 95, Rdnr. 36ff.; Hofmann-Fahlbusch, Ausländerrecht, 2. Aufl., Vor § 95 AufenthG, Rdnr. 8). Dies hat ebenfalls zur Folge, dass die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts im Strafverfahren in der Regel nicht überprüft werden muss (Mosbacher in: GK-AufenthG, Stand: Juli 2008, Vor §§ 95 ff., Rdnr. 26; BGH, Beschluss vom 23. Juli 1969 – 4 StR 371/68, juris).

(b) Der Grundsatz der Verwaltungsakzessorietät gilt jedoch nach herrschender Meinung im Rahmen des Tatbestandes des § 95 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht (Erbs/Kohlhaas-Senge, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: Juli 2014, § 95 AufenthG, Rdnr. 51; Hofmann-Fahlbusch, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 95 AufenthG, Rdnr. 203; Huber-Hörich, AufenthG, 2. Aufl., § 95, Rdnr. 214; Kluth/Heusch-Hohoff, Ausländerrecht, 2016, § 95 AufenthG, Rdnr. 84; a.A. MüKo-Gericke, StGB, § 95 AufenthG, Rdnr. 94). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Nach der unionsrechtswidrigen Konzeption des § 11 Abs. 1 AufenthG a.F. (s. auch Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: März 2014, § 59, Rdnr. 284, 286) ist das Einreiseverbot gesetzliche Folge einer Ausweisung, Abschiebung oder Zurückschiebung. Zwar folgt auch hier die verwaltungsrechtliche Pflicht des Ausländers direkt aus einem behördlichen Handeln, so dass man argumentieren könnte, dass für das Bestehen dieser Pflicht auch hier die Wirksamkeit des Verwaltungshandelns ausreicht. Allerdings würde dabei übersehen, dass Grundlage der Pflicht hier nicht direkt der die Pflicht auferlegende Verwaltungsakt ist, den der Betroffene mit Rechtsmitteln unmittelbar angreifen kann, sondern – aufgrund der gesetzlichen Verknüpfung – ein weiteres Behördenhandeln, nämlich der Vollzug der Abschiebung. Aufgrund der gesetzlichen Konstruktion des Einreiseverbotes als gesetzliche Folge der (zwangsweisen) Aufenthaltsbeendigung muss dieses Behördenhandeln als Grundlage der Strafbarkeit nicht nur wirksam, sondern rechtmäßig sein (ausführlich Huber-Hörich, AufenthG, 2. Aufl., § 95, Rdnr. 206, 215; ebenso Hofmann-Fahlbusch, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 95 AufenthG, Rdnr. 203; AG Bersenbrück, Beschluss vom 5. Juni 2014 – 6 Cs 940 Js 50521/13 (602/13)).

dd) Die bisherigen Feststellungen erlauben dem Senat nicht die Überprüfung, ob die im Jahr 2009 durchgeführte Abschiebung des Angeklagten geeignet war, ein Einreiseverbot auszulösen, das zum Zeitpunkt der Rückkehr in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland noch bestand. Dies hängt nach dem oben Gesagten davon ab, ob von der in § 11 Abs. 1 S. 3 AufenthG a.F. vorgesehenen Möglichkeit der zeitlichen Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes Gebrauch gemacht wurde und wie lang das Verbot ggf. andauerte. Aus diesem Grund müssen sich die Feststellungen mit dem Inhalt der gegen den Angeklagten ergangenen Bescheide der Ausländerbehörden befassen. Sofern die ergänzenden Feststellungen des Amtsgerichts ergeben, dass die zuständigen Ausländerbehörden weder auf Antrag, noch in europarechtskonformer Anwendung des § 11 Abs. 1 AufenthG a. F. von Amts wegen die Wirkungen der Abschiebung befristet haben, war die Abschiebung rechtswidrig und hatte kein Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Folge, so dass die Wiedereinreise des Angeklagten im Jahr 2012 und sein anschließender Aufenthalt im Bundesgericht nicht unerlaubt i.S.v. § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG waren.

b) Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts in Bezug auf den Zeitpunkt der erneuten Einreise, der in den Feststellungen mit September 2012 angegeben wird, ist lückenhaft. Der Angeklagte hat ausweislich der Urteilsgründe von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Im Rahmen der Beweiswürdigung befasst sich das Amtsgericht überwiegend mit den im Wege des Selbstleseverfahrens gem. § 249 Abs. 2 StPO in die Hauptverhandlung eingebrachten Urkunden. Aus dem mitgeteilten Inhalt der Urkunde ist jedoch nicht ersichtlich, woher die Information stammt, zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte erneut in das Bundesgebiet einreiste.

c) Die Feststellungen zum subjektiven Tatbstand werden nicht durch die den Vorsatz begründenden Tatsachen hinterlegt.

aa) Der Ausländer muss im Rahmen des § 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG die Tatumstände kennen, die für ihn das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG begründen, bedingter Vorsatz genügt (Erbs/Kohlhaas-Senge, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: Juli 2014, § 95 AufenthG, Rdnr. 52). Vorliegend ist nicht festgestellt, dass der Angeklagte den Inhalt der gegen ihn ergangenen Bescheide kannte bzw. er in einer ihm verständlichen Sprache belehrt wurde. Zu beachten ist auch, dass die Tatbestandsalternative des unerlaubten Aufenthaltes gem. § 95 Abs. 2 Nr. 1b AufenthG nach § 98 Abs. 1 AufenthG in der hier maßgeblichen Fassung vom 12. April 2011 im Falle fahrlässiger Begehungsweise auch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Im Falle einer erneuten Verurteilung wäre es daher erforderlich, die Vorsatzform in die Urteilsformel aufzunehmen.

bb) Zudem verhalten sich die Feststellungen nicht zu dem Zweck der erneuten Einreise des Angeklagten. Denn wenn dieser ursprünglich nicht vorgehabt hätte, in der Bundesrepublik Deutschland einen (erneuten) Asylantrag zu stellen, würden aus diesem Grund eine Rechtfertigung nach Art. 16a GG und eine Straflosigkeit nach § 95 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 31 GFK von vornherein ausscheiden (OLG Bamberg, Urteil vom 24. September 2014 – 3 Ss 59/13, juris, Rdnr. 16).

d) Das Eingreifen des persönlichen Strafausschließungsgrundes nach § 95 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 31 GFK hat das Amtsgericht ohne Rechtsfehler verneint

aa) In Bezug auf die Möglichkeit einer Überprüfung einer Rechtfertigung nach Art. 16a GG bzw. des Eingreifens eines persönlichen Strafausschließungsgrundes nach § 95 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 31 GFK ist es in den meisten Fällen erforderlich, Feststellungen zur Reiseroute des Angeklagten zu treffen. Denn ein Asylbewerber, der aus einem sicheren Drittstaat i.S.v. § 2 a Abs. 1 AsylVfG einreist, kann sich nicht auf Art. 16a GG berufen. Ob Art. 31 GFK im Fall einer Einreise über einen sicheren Drittstaat eingreifen kann, ist umstritten (vgl. dazu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. Dezember 2014 – 2 BVR 450/11, juris, Rdnr. 28, 29; OLG Köln, Urteil vom 21. Oktober 2003 – SS 270-271/03 – 141-142, NStZ-RR 2004, 24, 25), braucht an dieser Stelle vom Senat aber nicht entschieden zu werden. Ferner sind Zeitpunkt, Inhalt und Umstände der Erstmeldung des Angeklagten bei den Behörden darzulegen, damit geprüft werden kann, ob die Meldung unverzüglich erfolgt ist und dabei triftige Gründen i.S.v. Art. 31 GFK mitgeteilt wurden.

bb) Feststellungen zu diesen Punkten waren vorliegend jedoch entbehrlich. Denn der weitere Asylantrag des Angeklagten wurde zwischenzeitlich bestandskräftig abgelehnt. Der Senat tritt der Auffassung des Amtsgerichts bei, dass ein Asylfolgeantrag, der sich als von Anfang an unbegründet erweist, nicht geeignet ist, die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 2 Nr. 1a, Nr. 1b AufenthG entfallen zu lassen (Erbs/Kohlhaas-Senge, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: Juli 2014, § 95 AufenthG, Rdnr. 69; MüKo-Gericke, StGB, § 95 AufenthG, Rdnr. 121; Kluth/Heusch-Hohoff, Ausländerrecht, 2016, § 95 AufenthG, Rdnr. 112; BayObLG, Beschluss vom 30. Juni 1998 – 4St RR 83/98, juris, Rdnr. 21).

3. Wegen der aufgezeigten Mängel hebt der Senat das angefochtene Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 S. 1 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden zurück.

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgende Umstände hin:
a) Für den Fall einer erneuten Verurteilung weist der Senat darauf hin, dass die Dauer der Bewährungszeit aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Braunschweig vom 10. September 2009 nicht mitgeteilt ist. Es ist daher offen, ob zu dem mitgeteilten Tatzeitpunkt die reguläre Bewährungszeit bereits abgelaufen war. Das Amtsgericht hat im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er die Tat beging, während er unter laufender Bewährung stand. Anhand der mitgeteilten Tatsachen kann der Senat nicht überprüfen, ob diese Wertung frei von Rechtsfehlern ist.
b) Zudem hat das Amtsgericht keine Entscheidung über Zahlungserleichterung gem.
§ 42 StGB getroffen, obwohl sich aus den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten ergibt, dass er die verhängte Geldstrafe nicht in einer Summe bezahlen könnte, selbst wenn er sein gesamtes monatliches Einkommen einsetzen würde (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 – III-3 RVs 92/15 und Beschluss vom 12. Januar 2016 – III-3 RVs 93/15). Die Vorschrift ist zwingender Natur, so dass von einer Entscheidung nach § 42 StGB, soweit Anlass zu ihr besteht, nicht etwa deswegen abgesehen werden darf, weil auch die Vollstreckungsbehörde noch Zahlungserleichterungen bewilligen darf (BGH, Beschluss vom 17. August 1984 – 3 StR 283/84, juris; KG Berlin, Beschluss vom 28. November 2005 – (4) 1 Ss 427/05 (182/05), juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Juli 2008 – 2 Ss 346/08, juris; OLG Naumburg, Beschluss vom 10. Mai 2012 – 1 Ss 8/12, BeckRS 2012, 20554).



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