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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 396/16 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Kommt der Widerruf einer Jugendstrafe nach § 26 JGG in Betracht, ist dem Jugendlichen nach § 58 Abs. 1 S. 3 JGG unabhängig vom möglichen Widerrufsgrund zwingend Gelegenheit zur mündlichen Äußerung vor dem Richter zu geben.
2. Die Vorschrift des § 58 Abs. 1 S. 3 JGG gilt gemäß § 109 Abs. 2 S. 1 JGG auch in Verfahren, in denen der Richter gegen einen zur Tatzeit Heranwachsenden Jugendstrafrecht angewandt hat, und auch dann, wenn der Verurteilte zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung erwachsen ist.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Heranwachsender, Widerruf, Strafaussetzung zur Bewährung, mündliche Anhörung

Normen: JGG 58; JFF 26; JGG 109

Beschluss:

Strafsache
In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 08.11.2016 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Landgericht – Jugendkammer- Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe
I.
Der Verurteilte, der seit vielen Jahren betäubungsmittelabhängig ist, wurde durch Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Gütersloh vom 2. November 2009 unter Anwendung von Jugendstrafrecht wegen eines am 17. März 2009 begangenen Diebstahls schuldig gesprochen. Die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe wurde gem. § 27 JGG für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Am 24. November 2010 fand vor dem Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Gütersloh eine Verhandlung im Nachverfahren zur Prüfung der Frage, ob aufgrund schädlicher Neigungen eine nachträgliche Verurteilung zu Jugendstrafe erforderlich war, statt. Das Gericht beschloss am selben Tag, die Verhängung von Jugendstrafe bis zum Ende der Bewährungszeit am 9. November 2011 auszusetzen.

Durch Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Mai 2011 wurde der Verurteilte nach einem massiven Rückfall in seine Heroinabhängigkeit in dem Verfahren 35 KLs-139 Js 2249/10-24/11 wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freieheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die er nach Widerruf der Zurückstellung der Strafvollstreckung ab dem 11. Mai 2012 verbüßte. Mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 25. April 2013 wurde ein Strafrest bis zum 26. April 2016 zur Bewährung ausgesetzt.

Das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Gütersloh verurteilte den Verurteilten daraufhin durch Urteil vom 16. Juli 2012 im Nachverfahren wegen der Tat vom 17. März 2009 zu einer Jugendstrafe von sieben Monaten. Auf die dagegen gerichtete Berufung des Verurteilten hielt die 4. große Strafkammer – Jugendkammer – das Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 16. Juli 2012 mit der Maßgabe aufrecht, dass die Vollstreckung der Jugendstrafe von sieben Monaten zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist seit dem 7. Februar 2013 rechtskräftig.

Die Bewährungszeit wurde durch Beschluss vom 30. Januar 2013 zunächst auf drei Jahre festgesetzt und der Verurteilte der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt.

Der Verurteilte wurde in der Bewährungszeit straffällig und durch Urteil des Amtsgerichts Rheda-Wiedenbrück vom 27. November 2014 in dem Verfahren 1 Ds-302 646/14-58/14 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt. Nach mündlicher Anhörung des Verurteilten wurde die Bewährungszeit im Hinblick auf die erneute Straffälligkeit durch Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 25. Februar 2015 um ein Jahr verlängert.

Am 19. März 2015 wurde der Verurteilte erneut straffällig und in dem Verfahren 1 Ds-701 Js 546/15-148/15 Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück durch Urteil vom 18. Mai 2016, rechtskräftig seit dem 26. Mai 2016, wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt.

Am 18. Juli 2016 beantragte die Staatsanwaltschaft Bielefeld im Hinblick darauf den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.

Mit Schreiben vom 25. Juli 2016 hat die Jugendkammer dem zwischenzeitlich nach Polen verzogenen Verurteilten Gelegenheit gegeben, zu dem Widerrufsantrag binnen zehn Tagen Stellung zu nehmen, und angekündigt, nach Aktenlage zu entscheiden, falls der Verurteilte sich nicht äußert. Das Anschreiben wurde dem Bewährungshelfer des Verurteilten zur Kenntnisnahme übersandt.

Nach fruchtlosem Fristablauf hat die Jugendkammer durch den angefochtenen Beschluss vom 2. September 2016 die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des vom 30. Januar 2013 in Verbindung mit dem Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 16. Juli 2013 widerrufen.

Der Beschluss wurde dem Verurteilten am 20. September 2016 in Polen zugestellt. Bereits am 14. September 2016 hat der Verurteilte mit Telefax-Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag bei dem Landgericht Bielefeld Beschwerde eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die nach § 59 Abs. 3 i.V.m. § 109 Abs. 2 S. 1, § 2 Abs. 2 JGG statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.

1. Die Jugendkammer war nach §§ 58 Abs. 3 S. 1, 109 Abs. 2 S. 1 JGG für die weiteren Entscheidungen, die infolge der von ihr angeordneten Aussetzung erforderlich wurden, zuständig, auch wenn gegen den Verurteilten zwischenzeitlich eine Freiheitsstrafe vollstreckt wurde; die Zuständigkeitskonzentration des § 462a Abs. 4 StPO gilt in diesem Fall nicht, sondern der Jugendrichter bleibt für sämtliche Entscheidungen betreffend die Jugendstrafe zuständig, während sich die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer auf die Freiheitsstrafe beschränkt (BGH, Beschluss vom 22. Juni 1977 – 2 Ars 180/77, juris und Beschluss vom 26. Januar 2007 - 2 ARs 2/07 (ergangen auf Vorlage des LG Oldenburg), NStZ-RR 2007, 190; OLG Rostock, Beschluss vom 3. Juni 2003 – I Ws 167/03, juris, Rdnr. 7).

2. Der Beschluss vom 2. September 2016 war jedoch deswegen aufzuheben, weil die Jugendkammer es entgegen der Vorschrift des § 58 Abs. 1 S. 3 JGG unterlassen hat, dem Verurteilten vor ihrer Entscheidung über den Bewährungswiderruf Gelegenheit zur mündlichen Anhörung zu geben.

a) Kommt der Widerruf einer Jugendstrafe nach § 26 JGG in Betracht, ist der Jugendliche nach § 58 Abs. 1 S. 3 JGG unabhängig vom möglichen Widerrufsgrund mündlich anzuhören. Die Gelegenheit zur mündlichen Äußerung ist vor einer solchen Entscheidung zwingend zu geben (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Mai 2008 – 3 Ws 187/08, juris; KG Berlin, Beschluss vom 11. September 2012 – 4 Ws 77/12141 AR 376/12, juris, Rdnr. 11; OLG Rostock, Beschluss vom 3. Juni 2003 – I Ws 167/03, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. März 2016 – 2 Ws 150/16, juris; Eisenberg, JGG 18. Aufl., § 58 Rdnr. 7; jeweils m.w.Nachw.). Die Vorschrift gilt gemäß § 109 Abs. 2 S. 1 JGG auch in Verfahren wie dem vorliegenden, in denen der Richter gegen einen Heranwachsenden Jugendstrafrecht angewandt hat. Dass der Verurteilte inzwischen erwachsen ist, ändert hieran nichts. Dem Anhörungserfordernis ist die Jugendkammer mit dem Anschreiben vom 25. Juli 2016 nicht gerecht geworden, da es lediglich als Aufforderung zu einer schriftlichen Stellungnahme verstanden werden kann.

b) Die unzureichende Gewährung des rechtlichen Gehörs stellt einen schwerwiegenden Verfahrensmangel dar, der zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Jugendkammer zwingt; eine Nachholung der Anhörung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens kam nicht in Betracht, weil dem Verurteilten damit eine Instanz verloren ginge (vgl. Eisenberg, a.a.O.; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. März 2016 – 2 Ws 150/16, juris; BGH, BGH, Beschluss vom 5. Mai 1995 – 2 StE 1/94 - StB 15/95, NStZ 1995, 610 zum entsprechenden Fall unterlassener Anhörung nach § 454 Abs.1 S. 3 StPO).

c) Daneben hat die Jugendkammer es auch verabsäumt, den Bewährungshelfer gemäß § 58 Abs.1 S. 2 JGG zur Frage des Bewährungswiderrufs anzuhören. Die bloße Übersendung des an den Verurteilten gerichteten Anhörungsanschreibens an den Bewährungshelfer erscheint hierfür nicht ausreichend (OLG Hamm, Beschluss vom 14. August 2012 – III-1 Ws 422/12).




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