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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ausl. 105/15 OLG Hamm

Leitsatz: Das Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 466 ff. der rumänischen Strafprozessordnung genügt grundsätzlich den Anforderungen des § 83 Abs. 4 IRG hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung zur Strafvollstreckung aus einem Abwesenheitsurteil.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungsverfahren

Stichworte: Auslieferung, Rumänien, Abwesenheitsurteil

Normen: IRG 83

Beschluss:

Auslieferungsverfahren
In pp.
hat der 2. Strafsenat des OLG Hamm am 29.10.2015 beschlossen

Die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien zur Strafvollstreckung auf der Grundlage der ihm in dem Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Corabia vom 13.02.2012 (Nr. 1/13.02.2012; 2557/213/2011) i.v.m. dem Urteil des Amtsgerichts Corabia vom 15.11.2011 (Nr. 206) zur Last gelegten Tat ist zulässig.


Gründe:
I.
Die rumänischen Behörden betreiben gegen den Verfolgten das Auslieferungsverfahren zur Strafvollstreckung und haben ihn im Schengener Informationssystem unter der SIDN X000000 159840600001 zur Festnahme ausgeschrieben. Die Ausschreibung gründet sich auf den Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Corabia vom 13.02.2012 (Nr. 1/13.02.2012; 2557/213/2011), der sich wiederum auf den nationalen Haftbefehl dieses Gerichts vom 08.12.2011 (Nr. 250) gründet, der wiederum seine Grundlage in dem – seit dem 08.12.2011 rechtskräftigen - Urteil des Amtsgerichts Corabia vom 15.11.2011 (Nr. 206) hat.

Mit dem vorgenannten Urteil wird dem Verfolgten zur Last gelegt, es in den Jahren 2009 bis 2011 in Corabia/Rumänien pflichtwidrig unterlassen zu haben, seiner richterlich verfügten Unterhaltspflicht gegenüber seinem minderjährigen Kind O B nachzukommen.

Es handelt sich um ein strafbares Verhalten nach Art. 305 des rumänischen Strafgesetzbuches. Wegen dieser Tat ist der Verfolgte mit dem vorbezeichnetem Urteil zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, die er noch vollständig zu verbüßen hat.

Das Urteil des Amtsgerichts Corabia vom 15.11.2011 (Nr. 206) ist ausweislich der Zuschrift der rumänischen Behörden vom 19.08.2015 in Abwesenheit des Verfolgten ergangen. Der Verfolgte ist weder zu dem Hauptverhandlungstermin persönlich geladen noch ist ihm das Urteil bislang zugestellt worden. Der Verfolgte war in der Hauptverhandlung, die zu dem Abwesenheitsurteil geführt hat, auch nicht durch einen (Wahl- oder Pflicht-)Verteidiger vertreten.

Der Verfolgte ist am 09.07.2015 in F vorläufig festgenommen worden und befand sich seit diesem Tage zunächst aufgrund der Festhalteanordnung des Amtsgerichts F vom 09.07.2015 (71 Gs 1192/15) in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt F, sodann ab dem 16.07.2015 aufgrund des förmlichen Auslieferungshaftbefehls des Senats vom selben Tage, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

Anlässlich seiner Vorführung bei dem Amtsgericht F am 09.07.2015 hat der Verfolgte angegeben, er sei rumänischer Staatsangehöriger und zuletzt unter seiner Meldeanschrift in F wohnhaft gewesen. Er habe etwa zwei Jahre in Deutschland gearbeitet, sei zurzeit jedoch arbeitslos. Zunächst habe er von ALG I gelebt, mittlerweile lebe er aber von ALG II. Er habe zwei Kinder. Er bitte darum, dass seine Lebensgefährtin in F benachrichtigt werde. Zu dem Tatvorwurf hat er sich nicht geäußert.

Der Verfolgte hat Einwendungen gegen seine Auslieferung erhoben.

Bei der Anhörung im Rahmen der Verkündung des förmlichen Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 16.07.2015 durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hamm am 28.07.2015 hat der Verfolgte zu dem Tatvorwurf angegeben, er wisse nicht, ob das Kind von ihm sei, für das er Unterhalt zahlen solle. Er habe 2005 den letzten Kontakt gehabt. Danach sei er in Spanien gewesen. Später sei er festgenommen worden und habe sich dann in Rumänien wieder integrieren müssen. Als er freigekommen sei, sei er 2011 bereits nach Deutschland gekommen und sei seitdem in hier in F gemeldet. Das Kind habe schon seinen Namen gehabt, was unmöglich sei. Die zwei Kinder, die hier in Deutschland bei seiner Lebensgefährtin lebten, seien dagegen seine Kinder.

Der deutsche Staat könne ihm nicht helfen; er werde das mit den rumänischen Behörden klären. Er sei daher nunmehr mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 01.09.2015 gem. § 24 Abs. 2 Satz 2 IRG die Entlassung des Verurteilten aus der Auslieferungshaft veranlasst.

Hintergrund war, dass die rumänischen Behörden in Bezug auf das Abwesenheitsurteil mit Zuschrift vom 19.08.2015 auf die Nachfrage der Generalstaatsanwaltschaft, welche Garantien auf ein neues Strafverfahren im Hinblick auf Art. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13.06.2012 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (RB-EuHB) abgegeben werden können, lediglich mitgeteilt haben, „es besteht die Möglichkeit, dass der Verfolgte das Wiederaufnahmeverfahren beansprucht, Rechtsbehelf gegen [die] Vollstreckungsentscheidung oder Revisionsantrag einlegt“.

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte darauf mit Zuschrift vom 01.09.2015 beantragt, die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts Corabia vom 13.02.2012 (Nr. 1/13.02.2012; 2557/213/2011) für unzulässig zu erklären und den förmlichen Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 16.07.2015 aufzuheben.

Der Senat hat mit Beschluss vom 03.09.2015 den förmlichen Auslieferungshaftbefehl vom 16.07.2015 aufgehoben. Die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung hat der Senat zurückgestellt, weil er die Fragen der Generalstaatsanwaltschaft vom 24.07.2015 hinsichtlich etwaiger Garantien bezüglich eines neuen Strafverfahrens, in dem der dem Verfolgten zur Last gelegte Tatvorwurf erneut umfassend geprüft wird, als nicht ausreichend beantwortet angesehen hat. Wegen der Einzelheiten wird auf den Senatsbeschluss vom 03.09.2015 verwiesen.

Auf erneute Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft vom 10.09.2015 hinsichtlich etwaiger Garantien bezüglich eines neuen Strafverfahrens, in dem der dem Verfolgten zur Last gelegte Tatvorwurf erneut umfassend geprüft wird, haben die rumänischen Behörden mit Zuschrift vom 16.09.2015 mitgeteilt, dass dem Verfolgten, dem das Urteil des Amtsgerichts Corabia vom 15.11.2011 (Nr. 206) bislang nicht zugestellt worden sei, dieses innerhalb einer Frist von 10 Tagen nach seiner Auslieferung übergeben werde. Sodann habe er die Möglichkeit unter den Voraussetzungen des Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen.

Die erneute – wie folgt formulierte - Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft vom 21.10.2015:

1.) Steht dem Verfolgten aufgrund der Vorschrift des Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung im vorliegenden konkreten Fall das Recht auf ein neues Strafverfahren, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassend geprüft wird, zu?

2.) Ist die Durchführung eines neuen Strafverfahrens, in dem der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassen geprüft wird, allein vom Willen des Verfolgten abhängig, wenn dieser rechtzeitig die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung beantragt hat?

3.) Wird im vorliegenden konkreten Fall die Durchführung eines neuen Strafverfahrens, in dem der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend geprüft wird, garantiert?

haben die rumänischen Behörden – Amtsgericht Corabia, Abteilung Strafvollstreckungen - mit Zuschrift vom 23.10.2015 hinsichtlich der Frage zu 2.) uneingeschränkt bejaht; hinsichtlich der Fragen zu 1.) und 3.) haben sie erneut auf die Vorschrift des Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung verwiesen, wobei über das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift der zuständige Richter zu entscheiden habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin mit Zuschrift vom 26.10.2015 unter Bezugnahme auf ihren diesbezüglichen Antrag vom 01.09.2015 (erneut) beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für unzulässig zu erklären.

II.

Obwohl sich der Verfolgte mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat, bedarf es aufgrund des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 29 Abs. 2 IRG einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung.

Entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war die Auslieferung für zulässig zu erklären.

Die erforderlichen Auslieferungsunterlagen liegen vollständig vor. Der Europäische Haftbefehl des Amtsgerichts Corabia vom 13.02.2012 genügt den Anforderungen des § 83 a Abs. 1 Nr. 1 - 6 IRG.

Der Verfolgte ist ausschließlich rumänischer Staatsangehöriger.

Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten zur Last gelegten Straftat ergibt sich aus §§ 3 Abs. 1, 81 Nr. 2 IRG. Die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat ist sowohl nach rumänischem Recht nach der vorbezeichneten Vorschrift des rumänischen Strafgesetzbuches, als auch nach § 170 Abs. 1 StGB als Verletzung der Unterhaltspflicht strafbar. Die besonderen Voraussetzungen des § 81 Nr. 2 IRG liegen ebenfalls vor, da eine Freiheitsstrafe von noch mehr als vier Monaten zu vollstrecken ist.

Vollstreckungsverjährung tritt nicht vor dem 08.12.2017 ein.

Ein Auslieferungshindernis gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 3 IRG mit Blick auf das in Abwesenheit des Verfolgten gegen ihn ergangene Urteil des Amtsgerichts Corabia vom 15.11.2011 (Nr. 206) liegt im Ergebnis nicht vor.

Da es sich bei dem Urteil des Amtsgerichts Corabia vom 15.11.2011 (Nr. 206) um ein Abwesenheitsurteil handelt und der Verfolgte zur Hauptverhandlung weder persönlich geladen noch durch einen Verteidiger vertreten war, ist eine Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien nach deutschem Recht gemäß § 83 Abs. 4 IRG i.V.m. § 83 Abs. 3 Satz 2 IRG nur zulässig, wenn ihm das Recht auf eine Wiederholung des gegen ihn geführten Strafverfahrens, in dem der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend geprüft wird, zusteht und dem Verfolgten unverzüglich nach seiner Übergabe an die rumänischen Behörden das Urteil persönlich zugestellt wird und er über sein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt wird.

Das Recht des Verfolgten auf eine Wiederholung des gegen ihn geführten Strafverfahrens, in dem der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend geprüft wird, ergibt sich vorliegend aus Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung, der die Wiederaufnahme des Strafprozesses im Falle eines Verfahrens in Abwesenheit der verurteilten Person regelt, i.V.m. Art. 469 der rumänischen Strafprozessordnung, der die Verhandlung über den Antrag zur Wiedereröffnung des Prozesses regelt.

Die Vorschrift des Art. § 466 der rumänischen Strafprozessordnung ist – bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen - grundsätzlich und per se geeignet, das Recht des Verfolgten auf ein neues Strafverfahren, in dem der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend geprüft wird, sicherzustellen und die europäischen Mindeststandards hinsichtlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs bei Abwesenheitsurteilen zu gewährleisten.

Die Vorschrift des Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung hat folgenden Wortlaut:

(1) Die rechtskräftig verurteilte Person, gegen die in Abwesenheit verhandelt wurde, kann innerhalb eines Monats ab dem Tag an dem sie durch jegliche offizielle Mitteilung zur Kenntnis genommen hat, dass ein Strafprozess gegen sie stattgefunden hat, die Wiedereröffnung des Strafprozesses beantragen.

(2) Als eine Person, gegen die in Abwesenheit verhandelt wurde, gilt die Person, die nicht zum Prozess geladen wurde und in keiner anderen offiziellen Weise von der Verhandlung Kenntnis genommen hat, bzw. obwohl sie Kenntnis von der Verhandlung hatte, entschuldigt von dieser fernblieb und dabei das Gericht nicht in Kenntnis setzen konnte. Als eine Person, gegen die in Abwesenheit verhandelt wurde, gilt nicht die Person, die einen Verteidiger oder einen Prozessbevollmächtigten beauftragt hat und diese sich im Laufe der Verhandlung gemeldet haben, auch nicht die Person, die nach gesetzlicher Urteilsverkündung keinen Einspruch eingelegt hat, darauf verzichtet oder den Einspruch zurückgenommen hat.

(3) Für eine rechtskräftig verurteilte Person, gegen die in Abwesenheit verhandelt wurde und gegen die ein ausländischer Staat die Abschiebung oder die Übergabe aufgrund des Europäischen Haftbefehls angeordnet hat, läuft die Frist gemäß Absatz (1) ab dem Datum, an dem ihr das Urteil mitgeteilt wurde, nachdem sie in die Heimat gebracht wurde.

(4) Der Strafprozess kann nicht wieder eröffnet werden, wenn die verurteilte Person die Verhandlung in Abwesenheit beantragt hat.

(5) […]

Art. 469 der rumänischen Strafprozessordnung hat folgenden Wortlaut:

(1) nach Anhörung des Vertreters der Staatsanwaltschaft, der Parteien und der Hauptbeteiligten im Prozess, prüft das Gericht ob:

a) der Antrag fristgerecht und von einer in Art. 466 vorgesehenen Person gestellt wurde;

b) die Rechtsgrundlagen zur Wiedereröffnung des Strafprozesses aufgeführt

wurden;

c) die Gründe, auf denen dieser Antrag beruht, nicht in einem vorherigen Antrag

zur Wiedereröffnung des Strafprozesses, welcher endgültig verhandelt wurde, vorgetragen wurden.

(2) […]

(3) Sollte das Gericht feststellen, dass die im Absatz (1) vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind, veranlasst es durch Beschluss die Zulassung des Antrages zur Wiedereröffnung des Strafprozesses.

(4) Sollte das Gericht feststellen, dass die Bedingungen des Artikels 466 nicht erfüllt sind, wird es durch Urteil den Antrag zur Wiedereröffnung des Strafprozesses ablehnen.

(5) Gegen den Beschluss zur Zulassung des Antrags auf Wiedereröffnung des Strafprozesses kann Widerspruch im Hauptverfahren eingelegt werden.

(6) Das Urteil zur Ablehnung des Antrags auf Wiedereröffnung des Strafprozesses unterwirft sich den gleichen Rechtsmitteln, wie das in Abwesenheit der verurteilten Person verkündete Urteil.

(7) Die Zulassung des Antrags auf Wiedereröffnung des Strafprozesses hat als Rechtsfolge die Aufhebung des in Abwesenheit der verurteilten Person verkündeten Urteils.

(8) […]

(9) […]

Abschließend heißt es in Art. 470 der rumänischen Strafprozessordnung:

Die Neuverhandlung der Sache erfolgt gemäß den Regeln der Strafprozessordnung für die Instanz, in der die Wiedereröffnung des Strafprozesses verfügt wurde.

Anders als die die früher die Wiederaufnahme eines Strafverfahrens im Falle von Abwesenheitsurteilen regelnde – durch Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung ersetzte – Vorschrift des Art. 522 der rumänischen Strafprozessordnung, die bei Vorliegen eines Abwesenheitsurteils keine völkerrechtlich verbindliche Zusage der Gewährung eines neuen Verfahrens darstellte, da sich aus dieser Vorschrift lediglich ergab, dass der Verfolgte einen Antrag auf Wiederaufnahme stellen konnte, über dessen Gewährung das zuständige Gericht nach seinem Ermessen entschied (vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 5. Aufl., § 73 Rdz. 87 m.w.N.; so auch Senatsbeschlüsse vom 18.03.2014 - III - 2 Ausl. 39/14 - und vom 26.07.2012 – III - -2 AusI: 59/12 -m.w.N.), stellt sich die Rechtslage nach Einführung der Art. 466 ff der rumänischen Strafprozessordnung nunmehr grundsätzlich anders dar.

Die die Wiederaufnahme des Verfahrens im Falle von Abwesenheitsurteilen regelnden Vorschriften der Art. 466 ff der rumänischen Strafprozessordnung sind nach Mitteilung der rumänischen Behörden vom 17.09.2015 durch Paragraph III des Gesetzes 302/2004 hinsichtlich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, modifiziert und ergänzt durch das Gesetz 300/2013 in Umsetzung der Vorschriften des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (2002/584/JI) in das rumänische Recht eingeführt worden. Sie sind am 01.02.2014 in Kraft getreten. Die Vorschrift des Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung entspricht dabei nunmehr Art. 4a Abs. 1 und 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (2002/584/JI) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung sowie Art. 9 Abs. 1 i) des Rahmenbeschlusses des Rates 2008/909/JI vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union (RB-Freiheitsstrafe) sowie auch der deutschen Vorschrift des § 83 Abs. 4 IRG.

Bereits aus dieser Entstehungsgeschichte der Vorschriften der Art. 466 ff der rumänischen Strafprozessordnung wird deutlich, dass diese durch den rumänischen Gesetzgeber eingeführt worden sind, um die rumänischen Gesetzesvorschriften an die europäischen Normen anzugleichen und die europäischen Mindeststandards hinsichtlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs – gerade auch – bei Abwesenheitsurteilen zu gewährleisten.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift des Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung, der sich, wie dargelegt, eng an den Wortlaut der entsprechenden Vorschriften in den oben genannten Rahmenbeschlüssen anlehnt, steht daher nunmehr einem Verfolgten das Recht auf ein Wiederaufnahmeverfahren – zwingend – zu, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Dies wird auch belegt durch die Antwort der rumänischen Behörden in einem weiteren bei dem Senat anhängigen, dem vorliegenden Verfahren vergleichbaren Auslieferungsverfahren (III – 2 Ausl. 81/15), in dem die von der Generalstaatsanwaltschaft im vorliegenden Verfahren mit Schreiben vom 21.10.2015 gestellten gleichlautenden Fragen, ob dem Verfolgten aufgrund der Vorschrift des Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung […] das Recht auf ein neues Strafverfahren, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf umfassen geprüft wird, zustehe; ob die Durchführung eines neuen Strafverfahrens, in dem der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend geprüft wird, allein vom Willen des Verfolgten abhängig sei, wenn dieser rechtzeitig die Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung beantragt habe und ob [im Parallelverfahren III – 2 Ausl. 81/15] die Durchführung eines neuen Strafverfahrens, in dem der gegen den Verfolgten erhobene Vorwurf umfassend geprüft wird, garantiert werde, sämtlich uneingeschränkt bejahend beantwortet worden sind.

Aufgrund der strukturellen Gleichheit der Vorschrift des Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung mit § 83 Abs. 4 IRG und Art. 4 a Abs. 1 und 2 bzw. Art. 9 Abs. 1 i) der obengenannten Rahmenbeschlüsse kann der Senat im Regelfall – vorbehaltlich vom Einzelfall abhängiger etwaiger Nachfragen bei den rumänischen Behörden hinsichtlich des Vorliegens von Tatbestandsmerkmalen - grundsätzlich selbst prüfen, ob der Anwendungsbereich der Vorschrift eröffnet ist und ob deren tatbestandlichen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Strafverfahrens vorliegen.

Vorliegend sind diese Voraussetzungen erfüllt.

Der Verfolgte gilt gem. Art. 466 Abs. 2 der rumänischen Strafprozessordnung als Person, gegen die in Abwesenheit verhandelt worden ist, da er zur Hauptverhandlung weder persönlich geladen noch auf andere Weise förmlich von dem Hauptverhandlungstermin erfahren hatte und in der Hauptverhandlung auch nicht durch einen beauftragten (Wahl-) Verteidiger vertreten worden war. Dass der Verfolgte als eine Person gilt, in dessen Abwesenheit verhandelt worden ist, haben die rumänischen Behörden zudem mit Zuschrift vom 17.09.2015 bestätigt.

Damit steht dem Verfolgten, sofern er binnen der Frist von einem Monat ab förmlicher Zustellung des Urteil die Wiederaufnahme beantragt (Art. 466 Abs. 1 der rumänischen Strafprozessordnung), grundsätzlich das Recht auf ein neues Strafverfahren, in dem der gegen ihn erhobene Vorwurf vollumfänglich überprüft wird, zu.

Auch die weiteren Voraussetzungen des § 83 Abs. 4 IRG i.V.m. § 83 Abs. 3 Satz 2 IRG liegen vor.

Ausweislich der Zuschrift der rumänischen Behörden vom 17.09.2015 wird dem Verfolgten gem. Art 92 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 302/2004 binnen einer Frist von zehn Tagen nach seiner Übergabe an die rumänischen Behörden das Urteil des Amtsgerichts Corabia vom 15.11.2011 (Nr. 206) persönlich zugestellt und er über sein Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. Art. 466 der rumänischen Strafprozessordnung sowie über die hierfür geltenden Fristen belehrt.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 16.10.2015 aufgrund des Wortes „gegebenenfalls“ in der Zuschrift der rumänischen Behörden vom 17.09.2015 (vgl. Bl. 141 d.A.) die Auffassung vertritt, dass offen bleibe, ob dem Verfolgten das Urteil im Fall einer Überstellung bekannt gemacht würde, beruht dies auf der missverständlichen Übersetzung. Wie sich aus einem Vergleich mit der weiteren Übersetzung derselben Zuschrift der rumänischen Behörden vom 17.09.2015 (vgl. Bl. 137 d.A.) ergibt, bezieht sich die Formulierung „gegebenenfalls“ offensichtlich allein auf die Frage, wer für die Zustellung des Urteils zuständig ist, was davon abhängig ist, ob der Verfolgte in einer (dem Innenministerium unterstellten) Untersuchungshaftanstalt aufgenommen wird oder zunächst aufgrund des – bis zur gerichtlich beschlossenen Wiederaufnahme des Verfahrens rechtskräftigen Urteils - in Strafhaft genommen wird.

Bewilligungshindernisse gemäß § 83 b Abs. 1 IRG sind nicht ersichtlich.

Die Absicht der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse nach Maßgabe von § 83 b Abs. 2 IRG geltend zu machen, lässt keine Rechts und/oder Ermessensfehler erkennen. Der Verfolgte, der sich nach eigenen Angaben seit 2011 in Deutschland aufhalten will, war ausweislich der vorliegenden amtlichen Meldeauskunft erstmals im Februar 2014 in Essen gemeldet. Er geht keiner entlohnten und dauerhaften Beschäftigung nach, sondern lebt von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Seine sozialen Anbindungen beschränken sich offensichtlich auf das gemeinsame Zusammenleben mit einer Lebensgefährtin und den zwei gemeinsamen Kindern. Bei seiner Anhörung benötigte er einen Dolmetscher für die rumänische Sprache. Auch unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Verfolgten – der zudem seiner vereinfachten Auslieferung zugestimmt hatte – an einer Strafvollstreckung im Inland nicht anzunehmen, zumal die familiären Belange des Verfolgten auch nach deutschem Recht die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nicht hindern würden, die regelmäßig zu vielgestaltigen Beeinträchtigungen des Familienlebens führen, so dass auch die auslieferungsrechtliche Abwägung zu Art. 6 Abs. 1 GG nicht gegenteilig vorzunehmen ist, sofern die eintretenden Beeinträchtigungen – was regelmäßig und auch hier der Fall ist -, im Wesentlichen denen vergleichbar sind, die bei einer Strafvollstreckung in Deutschland entstehen könnten.




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