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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ausl 115/15 OLG Hamm

Leitsatz: Gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Vollstreckung einer im Inland verhängten Freiheitsstrafe in Polen nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen auf Antrag der Vollstreckungsbehörde nach §§ 85 ff. IRG n.F.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungsverfahren

Stichworte: Vollstreckung, Freiheitsstrafe, Polen

Normen: IRG 85; IRG 85a; IRG 85c

Beschluss:

In pp.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgericht Hamm am 27.08.2015 beschlossen.
Die Vollstreckung des noch nicht verbüßten oder durch Anrechnung von Haftzeiten erledigten Strafrestes der gegen den polnischen Staatsangehörigen K , geboren am 11. Oktober 19XX in C/Polen, durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 (Az.: 71 KLs 6 Js 63/112/12) – rechtskräftig seit dem 13. Juli 2012 – verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren in Polen wird für zulässig erklärt.

Gründe:
I.
Der Verurteilte ist polnischer Staatsangehöriger.

Er war am 9. November 2011 auf deutsches Ersuchen (Europäischer Haftbefehl der StA Bielefeld vom 8. Juni 2011 – 6 AR 18/11) von der Republik Polen an die Bundesrepublik Deutschland zur Strafverfolgung ausgeliefert worden. Gemäß Art. 607t § 1 der polnischen Strafprozessordnung (und in Übereinstimmung mit Art. 5 Nr. 3 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten) hatten die polnischen Behörden die Auslieferung unter die Bedingung gestellt, dass der Verurteilte, wenn er in dem deutschen Strafverfahren rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden sollte, zur Vollstreckung dieser Strafe nach Polen rücküberstellt werde. Eine solche Rücküberstellung hatte der Leitende Oberstaatsanwalt in Bielefeld den polnischen Behörden bzw. dem zuständigen polnischen Gericht mit Verfügung vom 4. Oktober 2011 zugesichert.

Der Verurteilte ist in dem Strafverfahren, zu dessen Durchführung er ausgeliefert worden war, durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 (71 Kls 6 Js 63/11- 2/12), rechtskräftig seit dem 13. Juli 2012, wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei in sieben Fällen, davon in vier Fällen tateinheitlich begangen mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Die Freiheitsstrafe wird am 24. September 2016 vollständig verbüßt sein.

Mit bestandskräftiger Ordnungsverfügung des Landrates des Rhein-Erft-Kreises –Ausländeramt - vom 20. Januar 2015 hat der Verurteilte das Recht auf Einreise und Aufenthalt für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU verloren, wobei die Wirkung der Feststellung des Verlusts des Rechtes auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet auf drei Jahre, beginnend ab dem Tag der Ausreise, befristet ist.

Der Verurteilte ist zu der beabsichtigten Rücküberstellung nach Polen zur (weiteren) Vollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe am 14. November 2012 persönlich vor dem Amtsgericht Aachen angehört worden und hat dieser im Hinblick auf seinen langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und seine familiäre Situation (Ehefrau und zwei erwachsene Söhne, die jeweils in Deutschland leben) widersprochen.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Aachen hat in seiner Stellungnahme vom 3. Juni 2015 ausgeführt, dass der Verurteilte regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie habe. Die Ehefrau und einer seiner Söhne würden in Deutschland leben. Zu seinen Brüdern in Polen habe der Verurteilte nur geringen Kontakt. Aufgrund der familiären Bindung in Deutschland würde eine Rücküberstellung seiner Resozialisierung entgegenstehen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Bielefeld mit Zuschrift vom 29. Juli 2015 beantragt, die weitere Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe in Polen für zulässig zu erklären.

Der Verurteilte ist diesem Antrag mit Schreiben vom 19. August 2015 und mit Schriftsatz seines Beistandes vom 24. August 2015 entgegengetreten. Polen sei nicht mehr sein Heimatland. Hier befinde sich seine Familie, insbesondere seine Ehefrau.

II.
Die weitere Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 gegen den Verfolgten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe in Polen war antragsgemäß nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen gemäß § 85 c IRG (n.F.) für zulässig zu erklären.

1.Der Senat ist für die Entscheidung über die Zulässigkeit der weiteren Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 erkannten Freiheitsstrafe in Polen gemäß § 85 a Abs.1, § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 iVm § 71 Abs. 4 S. 2, 3 IRG (n.F.) zuständig.
15
2. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld als Vollstreckungsbehörde hat über die Generalstaatsanwaltschaft Hamm beantragt, die gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union – Polen – nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses Freiheitsstrafen zu übertragen, § 85 a Abs. 1 iVm § 85 Abs. 1 u. 2 S. 1 Nr. 2 IRG (n.F.).

3. Der Verurteilte ist polnischer Staatsangehöriger und damit Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaates. Er ist ausweislich der bestandskräftigen Ausweisungsverfügung des Landrates des Rhein-Erft-Kreises vom 20. Januar 2015 ausreisepflichtig gemäß § 50 AufenthG (§ 85 c Nr. 2 IRG n.F.).

4.Die weitere Vollstreckung der gegen den Verurteilten durch Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe ist auch nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union zulässig.

Das gegen den Verurteilten durch das Landgericht Hagen ergangene Urteil ist rechtskräftig und es verbleiben daraus gegenwärtig noch mehr als sechs Monate Freiheitsstrafe zu vollstrecken (Art. 9 Abs. 1 lit. h des Rahmenbeschlusses)

Des weiteren stellen die abgeurteilten Taten auch in Polen Straftaten dar (Art. 7 des Rahmenbeschlusses).

Das zu vollstreckende Urteil ist nicht vor dem 5. Dezember 2011 ergangen, § 98 b IRG.

Der Verurteilte hatte Gelegenheit zur mündlichen Stellungnahme (Art 6 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses und § 85 Abs. 1 S. 2 IRG); er ist am 14. November 2012 durch den Gs-Richter des Amtsgerichts Aachen zu der beabsichtigten Rücküberstellung angehört worden. Zudem hat sein Beistand mit Schriftsatz vom 14. November 2012 eine Erklärung für den Verurteilten abgegeben. Ferner hat sich der Verurteilte mit Schreiben vom 19. August 2015 und mit Schriftsatz seines Beistandes vom 24. August 2015 zu dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft geäußert.

5.Die Abgabe der weiteren Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Hagen vom 5. Juli 2012 verstößt auch nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung oder Vorschriften der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (MRK). Auch liegt kein Verstoß gegen grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Verurteilten, insbesondere seinem gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Anspruch auf Resozialisierung vor (vgl BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1997,NJW 1997, 3013 ff.).

Vorliegend ist nämlich insbesondere zu berücksichtigen, dass die polnischen Behörden die damalige Auslieferung des Verurteilten unter die Bedingung der Rücküberstellung für den Fall der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe gestellt haben und der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Bielefeld am 04. Oktober 2011 eine derartige Zusicherung abgegeben hat.

Diese an die Auslieferung gestellte Bedingung haben die Vollstreckungsbehörde und der Senat ebenso wie die Zusicherung zur Rücküberstellung durch den Leitenden Oberstaatsanwalt in Bielefeld bei ihren Entscheidungen gemäß § 72 IRG zu beachten.

Zudem ist von besonderem Gewicht, dass der Verurteilte aufgrund der bestands-kräftigen Ausweisungsverfügung des Landrates des Rhein-Erft-Kreises vom 20. Januar 2015 ausreisepflichtig ist. Die Wirkung der Feststellung des Verlustes des Rechtes auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet ist ab dem Tag der Ausreise auf 3 Jahre befristet worden. Der Verurteilte dürfte sich demnach auch nach vollständiger Vollstreckung der Freiheitsstrafe in Deutschland und seiner Entlassung aus der inländischen Strafhaft nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten. Das den Justizvollzug prägende Ziel der Resozialisierung kann daher durch eine weitere Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe in Deutschland nicht erreicht werden.

Eine soziale Wiedereingliederung des Verurteilten in Polen ist demgegenüber aber auch unter Berücksichtigung seiner familiären und sozialen Situation nicht ausgeschlossen.

Der Verurteilte, der im Dezember 1984 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, hat bisher die Hälfte seines Lebens in Polen und die andere Hälfte in der Bundesrepublik Deutschland verbracht. Zwar leben seine Ehefrau und einer seiner Söhne in Deutschland; Brüder des Verurteilten leben aber nach wie vor in Polen. Auch war der Verurteilte in der Vergangenheit des Öfteren in Polen, um Verwandte zu besuchen und ist dorthin vor der Strafverfolgung in dem hier zu Grunde liegenden Verfahren geflüchtet. Der deutschen Sprache ist der Verurteilte trotz des jahrelangen Aufenthaltes nicht ausreichend mächtig, wie die Hinzuziehung eines Dolmetschers zu dem Anhörungstermin am 14. November 2012 zeigt.

Zudem entsprach eine Rückkehr nach Polen zumindest phasenweise auch dem Wunsch des Verurteilten. So hatte er mit Schreiben vom 21. November 2013 bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld beantragt, zum Halbstrafenzeitpunkt in sein Heimatland Polen abgeschoben zu werden. Einen entsprechenden Antrag hatte der Verurteilte damals auch beim Ausländeramt des Rhein-Erft-Kreises gestellt.


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