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Rechtsprechung

Aktenzeichen: III-3 RVs 33/12 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Aus der von § 163b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 StPO angeordneten entsprechenden Anwendung des § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO folgt, dass dem Verdächtigen bei Beginn der ersten Maßnahme, die nach § 163b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 oder Satz 2 StPO der Identitätsfeststellung dient, zu eröffnen ist, welcher Straftat (oder Ordnungswidrigkeit) er verdächtig ist.
2. Diese Belehrungspflicht stellt eine wesentliche Förmlichkeit der Diensthandlung dar, deren Nichtbeachtung die Diensthandlung im Sinne des sogenannten "strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes" (§ 113 Abs. 3 Satz 1 StGB) unrechtmäßig macht.
3. Von der Belehrung kann ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn der Grund für die Personalienfeststellung für den Betroffenen offensichtlich ist oder die Belehrung den Vollstreckungszweck gefährden würde.
4. Zur Frage, ob der Grund für die Personalienfeststellung für den Betroffenen im konkreten Einzelfall offensichtlich war.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Belehrung, Zeitpunt, Identitätsfeststellung

Normen: StPO § 163a; StPO § 163b

Beschluss:

In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm 1m 10.05.2012 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Der Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe
I.
Das Amtsgericht – Jugendrichterin – verurteilte den Angeklagten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10 €. Mit seiner (Sprung-)Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Freisprechung des Angeklagten.

1. Die Feststellungen des Amtsgerichts vermögen die Verurteilung wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) nicht zu tragen. Nach den Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Diensthandlungen der Polizei, gegen die der Angeklagte sich zur Wehr gesetzt hat, nicht rechtmäßig waren (§ 113 Abs. 3 Satz 1 StGB).

a) Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
„Am 7. Mai 2011 fand in Bielefeld eine sogenannte ,Antifa-Biketour‘ statt, die um 15.00 Uhr beim Arbeiterjugendzentrum an der Heeper Straße 132 begann. Es handelte sich dabei um eine nicht genehmigte Versammlung. Zu der Versammlung war durch das Internet bereits Tage vorher aufgerufen worden. Vor Start der Fahrradtour begaben sich mehrere Polizeibeamte, darunter auch die Zeugen PK’in F und PK T zur Anschrift des AJZ an der Heeper Straße, um dort die Vorgehensweise der Versammlung abzuklären und noch auf eine kurzfristige Anmeldung der Versammlung hinzuwirken. Die Polizeibeamten sprachen mehrere Personen, die das Haus betraten, an, wurden jedoch von diesen ignoriert. Als ca. 35 bis 40 Personen das AJZ mit Fahrrädern verließen, wurden diese ebenfalls durch den dort befindlichen Polizeibeamten I wiederholt darauf angesprochen, dass es sich bei der Veranstaltung um eine Demonstration handele und ein Ansprechpartner gewünscht werde. Dies wurde ebenfalls ignoriert. Die Teilnehmer der Versammlung befuhren diverse Straßen im Bielefelder Osten, bis sie die Alsenstraße in Höhe des Hauses Nr. 38 in Bielefeld erreichten. Dort blockierten die Teilnehmer der Versammlung mit ihren Fahrrädern die Fahrbahn über einen Zeitraum von ca. zehn Minuten. Im Rahmen der dort stattfindenden Veranstaltung wurden Sprechchöre gerufen und Flugblätter an Passanten verteilt. Durch die Blockierung der Straße konnten drei bis vier Verkehrsteilnehmer mit ihren Fahrzeugen die Fahrbahn der Alsenstraße nicht passieren, da diese durch die Teilnehmer der Veranstaltung komplett blockiert war. Der Polizeibeamte I forderte die Teilnehmer der Veranstaltung durch Außenlautsprecher, der auf der Straße gut wahrnehmbar war, auf, die Straße zu räumen. Die Teilnehmer der Veranstaltung ignorierten diese Aufforderung und blieben mit ihren Fahrrädern auf der Fahrbahn und blockierten die Fahrbahn weiter, so dass den anderen Verkehrsteilnehmern kein Passieren der Engstelle möglich war. Daraufhin teilte der Polizeibeamte I über Außenlautsprecher mit, dass die Veranstaltung aufgelöst sei.

Die Teilnehmer entfernten sich nicht aus der Alsenstraße, sondern setzten im Pulk ihre Fahrt durch die Bielefelder Innenstadt fort. Sie begaben sich dabei unter anderem über die Arndtstraße – zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte auf jeden Fall Teilnehmer der Veranstaltung –, bis sie schließlich zur Schlosshofstraße gelangten, wo die Veranstalter vor dem Haus (…) mit der Hausnummer x zum Stehen kamen. Dort beabsichtigten die Polizeibeamten, die Personalien der Teilnehmer der mittlerweile aufgelösten Veranstaltung festzustellen, um gegen diese ein Bußgeldverfahren wegen der Teilnahme an einer aufgelösten Versammlung durchführen zu können. Auf der Schlosshofstraße vor dem Haus Nr. x kam es, nachdem diverse Personen aus der Gruppe der Veranstaltungsteilnehmer wegen ihrer Personalien angesprochen worden waren, zu Widerstandshandlungen, die der Angeklagte auch beobachten konnte, da er sich mit seinem Fahrrad auf der Schlosshofstraße vor dem Haus Nr. x befand. Vor seinen Augen konnte der Angeklagte erleben, wie andere Teilnehmer der Veranstaltung nicht bereit waren, ihre Personalien freiwillig abzugeben, und durch anwesende Polizeibeamte aufgrund geleisteten Widerstandes in Gewahrsam genommen werden mussten. Der Zeuge PK X sprach den Angeklagten an und bat diesen, sich auszuweisen und seine Personalien anzugeben. Der Angeklagte ignorierte diese Aufforderung. Er beabsichtigte, sich umzudrehen und sich vom Zeugen PK X zu entfernen. Der Zeuge hielt den Angeklagten fest, woraufhin dieser sich mit dem linken Arm losriss. Er machte eine wegschlagende Bewegung mit seinem Arm, so dass das von ihm mitgeführte Fahrrad hinfiel. Der Zeuge griff erneut an den Arm des Angeklagten und zog ihn in Richtung Streifenwagen. Als dieser nicht mitkam, brachte er den Angeklagten zu Boden und fesselte ihn mit Handfesseln.

Der Angeklagte wusste, dass er sich an einer nicht genehmigten Veranstaltung beteiligt hatte und die Polizei seine Personalien feststellen wollte. Er wollte seine Personalien gegenüber dem einschreitenden Polizeibeamten PK X nicht angeben und versuchte, sich der Personalienfeststellung durch Flucht zu entziehen.“

b) Eine Strafbarkeit wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte besteht nach § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht, wenn die Diensthandlung, gegen die sich der von ihr Betroffene zur Wehr setzt, nicht rechtmäßig ist. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ist ein spezifisch strafrechtlicher Rechtmäßigkeitsbegriff zugrundezulegen (Fischer, StGB, 59. Aufl. [2012], § 113 Rdnr. 11 m.w.N.), der geringere Anforderungen stellt (KG, NJW 2002, 3789), bei dem mithin nicht sämtliche formellen und materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des in Rede stehenden Verwaltungshandelns zu überprüfen sind. Auch in strafrechtlicher Hinsicht ist eine Diensthandlung indes jedenfalls dann nicht rechtmäßig, wenn die für sie geltenden wesentlichen Förmlichkeiten nicht eingehalten werden (Fischer, a.a.O., Rdnr. 17 m.w.N.). Dies ist hier der Fall.

aa) Nach den Ausführungen des Amtsgerichts diente die von der Polizei beabsichtigte Feststellung der Personalien des Angeklagten ausschließlich repressiven und nicht präventiven Zwecken, nämlich der Einleitung eines Bußgeldverfahrens wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 des Versammlungsgesetzes (nicht unverzügliches Entfernen trotz Auflösung einer öffentlichen Versammlung oder eines Aufzuges durch die zuständige Behörde). Damit handelte es sich bei den polizeilichen Diensthandlungen gegenüber dem Angeklagten nicht um gefahrenabwehrrechtliche, sondern um an § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 163b Abs. 1 StPO zu messende Maßnahmen. Nach § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 163b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO können die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung der Identität einer Person, die der Begehung einer Ordnungswidrigkeit verdächtig ist, erforderlichen Maßnahmen treffen. Nach § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO darf der Verdächtige hierzu auch festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Aus der von § 163b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 StPO angeordneten entsprechenden Geltung des § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO folgt jedoch, dass dem Verdächtigen bei Beginn der ersten Maßnahme, die der Identitätsfeststellung dient, zu eröffnen ist, welcher Straftat oder Ordnungswidrigkeit er verdächtig ist (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl. [2011], § 163b Rdnr. 3). Diese Belehrungspflicht stellt nach einhelliger Auffassung eine wesentliche Förmlichkeit dar, deren Nichtbeachtung die Diensthandlung nach § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB unrechtmäßig macht (OLG Celle, Beschluss vom 8. Juli 2011 – 31 Ss 28/11 –, BeckRS 2011, 19407; KG, a.a.O.; OLG Düsseldorf, NJW 1991, 580; Meyer-Goßner, a.a.O.). Den Feststellungen des Amtsgerichts lässt sich nicht entnehmen, dass der Angeklagte nach § 46 Abs. 1 OWiG iVm §§ 163b Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, 163a Abs. 4 Satz 1 StPO belehrt worden ist.

bb) Es liegt auch keine Sachverhaltskonstellation vor, in der die Polizei ausnahmsweise von der Belehrung hätte absehen dürfen. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Grund für die Personalienfeststellung für den Betroffenen offensichtlich ist (OLG Celle, a.a.O.; KG, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.; vgl. auch OLG Hamm, NStZ 1982, 76) oder die Belehrung den Vollstreckungszweck gefährden würde (KG, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.).

Dass im vorliegenden Falle eine ordnungsgemäße Belehrung des Angeklagten den Zweck der Maßnahme gefährdet hätte, ist nicht erkennbar. Der Grund für die von der Polizei beabsichtigte Personalienüberprüfung war für den Angeklagten nach den Feststellungen des Amtsgerichts auch nicht offensichtlich. Der Senat kann dabei die von der Revision in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage nach der (verwaltungsrechtlichen) Rechtmäßigkeit der in der Alsenstraße ergangenen polizeilichen Auflösungsanordnung offenlassen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass dem Angeklagten diese Auflösungsanordnung überhaupt bekannt war. Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen zwar ausgeführt, der Angeklagte habe gewusst, dass er sich an einer nicht genehmigten Veranstaltung (gemeint sein dürfte: an einer durch die Polizei aufgelösten Versammlung) beteiligt habe. Diese Aussage entbehrt indes einer Grundlage in den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils.

(1) Das Amtsgericht hat nicht festgestellt, dass der Angeklagte bereits zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Auflösungsanordnung in der Alsenstraße Teilnehmer der „Biketour“ war und auf diese Weise Kenntnis von der Auflösungsanordnung erlangen konnte. Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass sich aus der Formulierung der Urteilsgründe ergibt, dass das Amtsgericht lediglich feststellen konnte, dass der Angeklagte nach der Bekanntmachung der Auflösungsanordnung an der Fahrradtour teilgenommen hat, und die Frage der Teilnahme des Angeklagten vor und während der Bekanntmachung der Auflösungsanordnung nicht klären konnte. Hierin liegt – entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft – kein „urteilsfremder Angriff gegen die Feststellungen“, sondern vielmehr ein berechtigter Hinweis der Revision auf die bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts zu beachtende Entscheidungsregel „in dubio pro reo“. Danach ist im vorliegenden Zusammenhang zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass er zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Auflösungsanordnung noch nicht Teilnehmer der Radtour war.

(2) Den Feststellungen des Amtsgerichts lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Angeklagte auf anderem Wege Kenntnis von der Auflösungsanordnung erhalten hat. Die in den Urteilsgründen – im Abschnitt über die rechtliche Würdigung – zu findende Argumentation des Amtsgerichts, dem Angeklagten müsse spätestens in der Schlosshofstraße bewusst geworden sein, dass er an einer von der Polizei „nicht weiter geduldeten“ Veranstaltung teilnahm, greift zu kurz. Da die Abhaltung von Veranstaltungen in Deutschland grundsätzlich nicht von einer polizeilichen Genehmigung oder „Duldung“ abhängt, wäre der Grund für die von der Polizei beabsichtigte Personalienfeststellung für den Angeklagten nur dann offensichtlich gewesen, wenn er gewusst hätte, warum die Polizei die Veranstaltung „nicht weiter duldete“. Dies hat das Amtsgericht aber gerade nicht festgestellt.

2. Da sich das vom Amtsgericht festgestellte Verhalten des Angeklagten auch unter keinen anderen Straftat- oder Bußgeldtatbestand subsumieren lässt und auch keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind, kann der Senat in Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst abschließend entscheiden und den Angeklagten freisprechen.

3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.


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