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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss OWi 599/09 OLG Hamm

Leitsatz: Ein in der Hauptverhandlung gestellter Antrag auf Ladung und Vernehmung eines Sachverständigen ist dann kein Beweisantrag, wenn er keine bestimmte Beweistatsache enthält. Die Behauptung des Betroffenen, dass zwischen ihm und der auf einem als Beweismittel dienenden Radarfoto nur teilweise erkennbaren Person keine Identität besteht, benennt ein Beweisziel und keine Beweistatsache.

Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Beweisantrag, Anorderungen, Beweistatsache, Beweisziel, Rechtsbeschwerde, Zulassung, Verletzung des rechtlichen Gehörs

Normen: StPO 244

Beschluss:

Bußgeldsache
In pp.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 75 Euro verurteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffenen mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde und rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs sowie die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Da das Amtsgericht den Betroffenen zu einer Geldbuße von nicht mehr als
100 Euro verurteilt hat, ist die Rechtsbeschwerde gem. § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung anderer Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts und darüber hinaus wegen der Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.
1.
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages, welche eine Verletzung rechtlichen Gehörs begründen könnte, liegt nicht vor.
a) Der von dem Betroffenen in der Hauptverhandlung am 18.03.2009 gestellte Antrag auf Ladung und Vernehmung einer Sachverständigen ist schon kein Beweisantrag. Ein Beweisantrag muss eine bestimmte Beweistatsache, die mit dem benannten Beweismittel unmittelbar bewiesen werden soll, enthalten (vgl. BGH NStZ 2007, 112, 113; BGH NStZ 1999, 630, 631; BGH NStZ 1995, 96, 97). Von ihr ist das Beweisziel zu unterscheiden. Dies ist das Beweisergebnis, welches sich der Antragsteller aus dem begehrten Beweis erhofft (BGH Urt.v. 24.01.2006 – 5 StR 410/05 = BeckRS 2006, 01989; OLG Hamm NZV 1998, 425, 426; Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 244 Rdn. 20, 20a).
Die in dem genannten Antrag unter 1. aufgestellte Behauptung („Zwischen dem Betroffenen und der auf dem als Beweismittel dienenden Frontfoto nur teilweise erkennbaren Person besteht keine Identität“) benennt das Beweisziel und keine Beweistatsache. Ob die fragliche Identität besteht oder nicht, ist ein Schluss, der sich aus einem Vergleich zwischen Foto und Betroffenem sowie den darauf erkennbaren Merkmalen ergibt. Diesen Schluss hat das Gericht zu ziehen (§ 261 StPO). Ein Sachverständiger kann insoweit nur unterstützend tätig werden und dem Tatrichter die Sachkunde vermitteln, die er ggf. selbst nicht besitzt (vgl. Meyer-Goßner a.a.O. Vor § 72 Rdn. 8). Im vorliegenden wäre dies z.B. denkbar, wenn es um die nicht mit bloßem Auge mögliche Erkennbarkeit morphologischer Merkmale oder deren Häufigkeit in der Bevölkerung geht. Eine Umdeutung des Antrages in einen Beweisantrag scheidet bei den vielfältigen Möglichkeiten, worauf die behauptete Nichtfeststellbarkeit der Identität der auf dem Radarfoto abgebildeten Person mit dem Betroffenen beruhen kann, aus. Die Benennung einzelner Umstände, die entweder eine Identifizierung ausschließen oder die gegen die Nichtidentität der auf dem Radarfoto abgebildeten Person mit dem Betroffenen sprechen wäre auch ohne weiteres möglich gewesen. Der Fall ist hier anders gelagert, als derjenige, in dem der Beweisantrag darauf zielt, einen Zeugen dazu zu vernehmen, dass ein Angeklagter nicht mit dem Täter einer Tat, die der Zeuge beobachtet haben soll, identisch ist (vgl. dazu u.a. BGH NStZ 2008, 232, 233; BGH NStZ 2006, 585, 586). Denn ob ein Zeuge eine Person wiederkennt, ist ein Umstand, der anders als hier die Beurteilung der Fahreridentität, nicht der tatrichterlichen Würdigung unterliegt, sondern nur durch den Zeugen selbst dargetan werden kann.
Der Antrag zu 2., dass das bei der Messung verwendete Fotomaterial des 35 mm-Silberbromidfilms wegen seiner Emulsionseigenschaften ein kritisch zu bewertendes Untersuchungsmaterial sei (was näher ausgeführt wird) zielt ebenfalls bereits auf ein Beweisziel. Die Formulierung der weiteren Ausführungen („schränkt die menschliche Wahrnehmung ein“, „viele Details werden nicht oder nicht in der korrekten Darstellung abgebildet“, „die viele Details im Bild löscht bzw. deren Abbildung verfälscht oder nicht ermöglicht“; „So kann unter Umständen …“) enthält auch schon keine bestimmte Tatsachenbehauptung. Dazu hätte es der konkreten Behauptung bedurft, welche Details vorliegend nicht korrekt dargestellt wurden etc. und nicht was „unter Umständen“ der Fall sein könnte.
Der Antrag zu 3. enthält in seinem zweiten Satz ebenfalls keine bestimmte Tatsachenbehauptung. Statt zu sagen, dass auf dem nicht verdeckten Teil des Gesichtes des Fahrers auf dem Radarfoto nur Merkmale übrig blieben, die eine große Gruppe von Personen besitzen und die nicht individuell seien, hätte es – bei der Vielzahl von in Frage kommenden Merkmalen – deren konkreter Bezeichnung bedurft. Der erste Teil des Antrags „Neben der Abbildungsgröße ist es hier die Person des Fahrers im Fahrzeug, die zu einer erheblichen teilweisen Verdeckung der Gesichtspartie führt“ ist schlicht unverständlich und ergibt keinen Sinn. Eine Abbildungsgröße kann nicht zu einer Verdeckung führen. Auch „die Person des Fahrers“ kann kaum zu einer Verdeckung (seiner eigenen) Gesichtspartie führen (höchstens könnte der Fahrer – worum es aber ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung und des Urteils offenbar nicht geht – mit einzelnen Körperteilen sein Gesicht teilweise verdeckt haben).
Unter Ziffer 4. des Antrages werden ebenfalls keine bestimmten Beweistatsachen mehr dargelegt. Vielmehr handelt es sich insoweit um die nähere Begründung, warum ein auf dem Gebiet der Foto- und Videoanalytik spezialisierter Sachverständiger eine bessere Sachkunde zur Identifikation aufweist, als der Tatrichter.
b) Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre der Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehör nicht verletzt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift insoweit ausgeführt:
„Zwar kann die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages eine Verletzung rechtlichen Gehörs darstellen (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rdnr. 16b). Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei hat und wenn durch sie zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt wird. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass einerseits dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, sich dem Gericht gegenüber zu dem gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen, und soll andererseits das Gericht dazu verpflichten, seine Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811 f.; OLG Hamm, Beschlüsse vom 13.02.2009 – 2 Ss OWi 53/09 – und vom 25.05.2005 – 2 Ss OWi 335/05 –). Eine Aufhebung des Urteils kommt nur dann in Betracht, wenn es sich aufdrängt, dass es einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten würde (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).
Demgegenüber ist die Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts – hier § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG – vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zu überprüfen. Selbst wenn also das erkennende Gericht einen Beweisantrag des Betroffenen entgegen den Grundsätzen des § 77 Abs. 2 OWiG zurückgewiesen hätte, läge darin noch nicht eine zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führende Versagung des rechtlichen Gehörs (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Anderes würde nur dann gelten, wenn das Gericht den Beweisantrag ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückzuführende Begründung abgelehnt hätte und die Zurückweisung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich wäre (vgl. BVerfG, a.a.O.). Im vorliegenden Fall lässt die Begründung, auf die das Gericht die Ablehnung des auf Einholung eines Sachverständigengutachtens bezüglich der Feststellung der Identität des Fahrers gerichteten Beweisantrages gestützt hat, einen Schluss auf ein willkürliches Verhalten nicht zu, da das Gericht seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht hat, dass die beantragte Beweiserhebung kein anderes Ergebnis als die Inaugenscheinnahme des Fahrerfotos vom Vorfallstage und dessen Vergleich mit dem Betroffenen (sowie dessen Bruder) erbringen würde.“
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung. Der Tatrichter hat hier den Antrag des Betroffenen zur Kenntnis genommen und sowohl im Rahmen des Ablehnungsbeschlusses mit einer zulässigen (vgl. Senge- in KK-OWiG 3. Aufl. § 77 Rdn. 40) Kurzbegründung und darüber hinaus im Urteil mit einer Begründung, die dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung seiner Ermessensentscheidung ermöglicht, abgelehnt.
2.
Auch zur Fortbildung des materiellen Rechts war die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen.
Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde nur dann zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Es muss deshalb eine entscheidungserhebliche, noch klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage vorliegen. Solche hat die Rechtsbeschwerdebegründung, die – soweit sie abweichende Messwerte benennt – urteilfremde Tatsachen zur Begründung heranzieht, nicht aufgezeigt, noch sind sie sonst ersichtlich. Welche Anforderungen an die Beweiswürdigung allgemein (vgl. nur: Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 267 Rdn. 12 ff.m.w.N.) und an die Darlegungen im tatrichterlichen Urteil zu Geschwindigkeitsmessungen mittels standardisierten Messverfahren (OLG Hamm Beschl.v. 04.02.2008 – 3 Ss OWi 28/08 – juris m.w.N.), zur Eichung des Messgerätes (OLG Hamm a.a.O.) und an die Darstellung der Beschilderung zu stellen sind (OLG Hamm Beschl.v. 21.12.2007 – 3 Ss OWi 315/07 – juris m.w.N.), ist höchstrichterlich geklärt. Die Prüfung, ob die Rechtsanwendung im Einzelfall frei von Rechtsfehlern ist, kann, wenn die o.g. Voraussetzungen nicht vorliegen, hingegen nicht mit einem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde erreicht werden (vgl. OLG Hamm Beschl.v. 20.11.2007 – 3 Ss OWi 711/07 – juris).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.




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